Zeitschrift Aufsätze

Ulrich Falk

In dubio pro amico? Zur Gutachtenpraxis im gemeinen Recht

1.Ein Ausgangsfall
2.Zur Gutachtenpraxis im usus modernus pandectarum (Einführung)
3.Zur Multifunktionalität von Parteigutachten
4.Der Prozeßverlauf im Ausgangsfall
5.Zum rechtspolitischen Hintergrund
6.Zum wissenschaftsgeschichtlichen Kontext
7.Die apokryphe Methodenregel in dubio pro amico

1. Ein Ausgangsfall

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts erbten sechs Brüder ein Lehensgut. Bei der Erbteilung vereinbarten sie, daß einer von ihnen das Gut übernehmen sollte. Die anderen erhielten Abfindungen von jeweils 4.000 Reichstalern. Der Teilungsvertrag enthielt eine Rückzahlungsklausel. Für den Fall, daß einer von ihnen - so wörtlich im Vertrag - „ohne Leibeserben“ sterben würde, sollten seine Erben die Abfindung an die überlebenden Brüder zurückzahlen müssen.2)1
Viele Jahre später starb einer von ihnen, der nur drei nichtehelich geborene Kinder hinterließ. Nach gemeinem Recht galten nichteheliche Kinder nicht als verwandt mit ihrem Vater; sie besaßen ihm gegenüber kein gesetzliches Erbrecht, von engen Ausnahmen abgesehen. In unserem Fall hatte der Vater allerdings die Legitimation seiner Kinder durch eine Verfügung des Landesherrn erwirkt. Im Prinzip - aber auch nur im Prinzip - stand damit außer Frage, daß sie ehelichen Kindern rechtlich gleichgestellt waren. Andererseits ging es um eine Erbfolge im Lehensrecht, einem Rechtsgebiet, das viele Eigenheiten aufwies und zu einer besonders scharfen Ausgrenzung nichtehelicher Kinder tendierte. So war es durchaus denkbar, daß die Kinder zwar nach gemeinem Recht als Alleinerben ihres Vaters anzusehen waren, nicht aber als Leibeserben im lehensrechtlichen Sinne. 2
Die Entscheidung hing von mehreren Faktoren ab. Den Vorrang besaß an sich der Inhalt des konkreten Vertrages. Seine Auslegung wurde aber durch andere Fragen präjudiziert. Zu beachten waren die speziellen Bestimmungen, denen das Lehensgut der Brüder unterlag, und ebenso das Lehensrecht auf der Geltungsebene des Partikularrechts. Außerdem konnte es auf das Lehensrecht des ius commune ankommen, das seinen Ursprung im langobardischen Lehensrecht hatte. Als entscheidend betrachten konnte man aber auch die Regeln des gemeinen Rechts über die legitimatio (plena3)) per rescriptum principum,4) eines Rechtsinstituts, das sich in Anknüpfung an Gesetze des byzantinischen Kaisers Justinian (Novellen 74 und 89) unter dem Einfluß der päpstlichen5) und kaiserlichen Praxis ausgebildet hatte. In ihrem konkreten Gehalt hingen diese Regeln ihrerseits davon ab, wie man bestimmte Streitfragen des ius commune beantwortete. 3
Alle dogmenhistorischen Einzelheiten können hier jedoch dahinstehen. Es gilt lediglich festzustellen, daß es sich um einen der unzähligen Rechtsfälle jener Zeit handelte, die auf den ersten Blick eher trivial anmuten, aber wegen der Komplexität der juristischen Regelbildung sehr unterschiedlich entschieden werden konnten. 4

2. Zur Gutachtenpraxis im usus modernus pandectarum (Einführung)

Die überlebenden Brüder verklagten ihre Neffen auf Rückzahlung der 4.000 Taler. Vor Beginn des Prozesses hatten sie zu einer Maßnahme gegriffen, die aus heutiger Sicht verwundern könnte. Sie hatten bei einer juristischen Fakultät ein Rechtsgutachten über ihren Fall eingeholt. Auf ihre Zeitgenossen wird dieses Vorgehen keineswegs ungewöhnlich gewirkt haben. Schon seit dem 16. Jahrhundert hatten die Rechtsfakultäten gegen Zahlung eines Honorars, das sie nach ihrem Ermessen bzw. mehr oder weniger festen Gebührensätzen bestimmten, privaten Auftraggebern bereitwillig für die Erstattung von Gutachten zur Verfügung gestanden. 5
Bevor sich der Ausdruck Gutachten im 18. Jahrhundert einbürgerte, hatte man nach dem Vorbild des römischen Rechts und der italienischen Konsiliatoren des Mittelalters meist von consilia oder responsa gesprochen. Die Verfügbarkeit der Konsilien der Spruchkollegien wurde von den Parteien und ihren Advokaten ausgiebig genutzt. Grundsätzlich durften die Fakultäten und Schöffenstühle Rechtsgutachten für Privatpersonen nicht nur vorprozessual, sondern auch während eines laufenden Prozesses erstatten.6) Als unzulässig wurde es nur angesehen, wenn ein Kollegium zunächst ein Parteigutachten verfaßte und danach in derselben Sache im Auftrag des zuständigen Gerichts tätig wurde. 6
Wenn um bedeutende Vermögenswerte oder familienrechtliche Statusbeziehungen gestritten wurde, gehörte es beinahe zum Standard sorgfältiger anwaltlicher Interessenvertretung, wenigstens ein Gutachten einzuholen - nach Möglichkeit sogar mehrere, sofern das der Geldbeutel des Klienten zuließ. Die Konsilien eröffneten nämlich eine ganze Reihe von Möglichkeiten und Chancen, die zum Teil erst bei genauerer Betrachtung der Rechtspraxis deutlich werden. In der rechtshistorischen Literatur wird diese Multifunktionalität der Parteigutachten allenfalls am Rande wahrgenommen. In den meisten Arbeiten konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Tätigkeit der Fakultäten im Rahmen der gerichtlichen Aktenversendung. 7
Als Aktenversendung (transmissio actorum) bezeichnet man eine eigentümliche Institution, die in der Justizverfassung des Alten Reichs zentrale Bedeutung besaß.7) In den meisten Territorien hatten die Gerichte die Entscheidungen in Straf- und Zivilsachen nicht selbst getroffen, sondern die Urteilsfindung an die sogenannten Spruchkollegien der juristischen Fakultäten oder an sogenannte Schöffenstühle delegiert. Diese Schöffenstühle, namentlich jene in Leipzig, Wittenberg und Jena, waren nach der Rezeption des römisch-kanonischen Rechts ebenfalls mit gelehrten Juristen besetzt, dem mißverständlichen Ausdruck Schöffe zum Trotz. 8
Der berühmteste der sogenannten Schöffen des usus modernuspandectarum war Benedict Carpzov (1595-1666). Nach seiner Promotion hatte er fast zeitlebens einen erheblichen Teil seiner Arbeitszeit auf sein Assessorenamt am Leipziger Schöffenstuhl verwendet. Daneben judizierte er aber auch als Richter am Appellationsgericht Dresden, dem damals höchsten Gericht Kursachsens, und am Oberkonsitorium Leipzig. Aus dieser praxiszentrierten Tätigkeit sind seine wegweisenden, jeweils Folianten füllenden Werke zum Strafrecht, Zivilrecht, Kirchenrecht und Prozeßrecht entstanden.8) Obendrein hatte er für einige Jahre die ranghöchste Professur an der Leipziger Juristenfakultät bekleidet und war als Rat an den Hof des Kurfürsten nach Dresden berufen worden. Die Professur und die Stellung am Dresdener Hof hatte er aus freien Stücken wieder aufgegeben, um sich auf die von ihm höher geschätzten Aufgaben forensischer und literarischer Natur konzentrieren zu können. 9
Die zählebigen Fehlvorstellungen und Legenden, die sich in der älteren Sekundärliteratur um Carpzov als angeblichen Blut- und Hexenrichter ranken,9) könnten zu einem gewissen, wenn auch sicherlich eher kleinen Teil mit der Suggestion zusammenhängen, die von seinem Leipziger Schöffenamt ausgeht. Jedenfalls würde niemand auf den Gedanken verfallen, berühmte Juristen der Frühen Neuzeit wie Georg Adam Struve (1619-1692) oder Matthias Wesenbeck (1531-1586) als Schöffen zu bezeichnen, weil sie auch Mitglieder der Schöffenstühle in Jena bzw. Wittenberg waren. 10
Als geradezu grotesk würde es zweifellos empfunden werden, den legendären Strafrechtslehrer Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775-1833) mit diesem Etikett zu belegen. Feuerbach hatte im Jahr 1799 in Jena promoviert, war dort 1800 zum Extraordinarius und im folgenden Jahr zum außerordentlichen Beisitzer des Jenaer Schöffenstuhls ernannt worden, dessen Mitglieder fast durchweg Professoren der Rechtsfakultät waren.10)11
Feuerbachs Beispiel zeigt übrigens auch, daß die finanzielle Komponente der konsiliarjuristischen Tätigkeit bis ins 19. Jahrhundert hinein nicht zu unterschätzen ist. In einem Brief vom 27. November 1801 hatte er gegenüber der Kieler Juristenfakultät in Berufungsverhandlungen geltend gemacht, daß er am Schöffenstuhl „mit Arbeiten beinahe überladen“ sei. Monatlich erwachse ihm daraus ein hohes zusätzliches Einkommen. Das gelte es zu berücksichtigen, wenn jetzt sein künftiges Einkommen in Kiel festzusetzen sei, wo nur geringere Nebeneinkünfte zu erwarten seien.11)12
Wie bei den berühmten italienischen Konsiliatoren, so erwuchs auch aus der deutschen Gutachtenpraxis vom frühen 16. bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert ein großer Bestand an Sammlungen mit gedruckten Konsilien. Es handelt sich um mehr als 200 meist voluminöse Werke im Folio- oder Quartformat, die oft aus mehreren Bänden bestanden und mehrere Auflagen erlebten. In dieser Literaturgattung tritt der hohe Stellenwert der Konsiliarpraxis in der damaligen Rechtsordnung zu Tage. Darüber hinaus bergen die Archive „eine unübersehbare Menge“ ungedruckter Konsilien.12)13
Zum Beispiel hatte die Juristenfakultät Jena im Jahr 1675 nicht weniger als 709 Gutachten und Urteile in Zivilsachen verfaßt. Dies war durchaus kein Spitzenwert. Für 1744 bis 1750 lag der Durchschnitt bei 852 pro Jahr.13) Aus diesem Bestand erwuchsen mindestens 13 Entscheidungssammlungen, die von Jenaer Professoren herausgegeben wurden. Die Juristenfakultät Tübingen brachte es sogar auf 14 einschlägige Sammlungen, Halle auf 12, Leipzig auf 11 und Wittenberg auf 10.14)14
Die höchsten Geschäftszahlen im Alten Reich hatten wohl Wittenberg und Leipzig erreicht. Darin spiegelt sich die zentrale Stellung, die die sächsische Rechtspraxis im 16. und 17. Jahrhundert in Deutschland eingenommen hatte. So registrierte man in Wittenberg zu Anfang des 17. Jahrhunderts im Jahresdurchschnitt 1.150 Eingänge.15) Für den Leipziger Schöffenstuhl berichtet die Sekundärliteratur von zwei internen Sammelwerken mit mehr als tausend Bänden und einem vermutlichen Gesamtumfang „gegen eine Million Seiten“ und „mehreren Hunderttausend“ von Entscheidungen, die mit wörtlichen Auszügen verzeichnet sind.16)15
Bei dem erstaunlichen hohen Geschäftsanfall der sächsischen Kollegien bleibt zu bedenken, daß es in vielen Prozessen zu weit mehr als nur einer einzigen Aktenversendung kam, von Rechtsmitteln wie Appellation, Läuterung, Oberläuterung und Revision noch ganz abgesehen, die ebenfalls in weitem Umfang im Wege der transmissio actorum entschieden wurden. Viele Gerichte ließen nämlich nicht nur die Endurteile von Spruchkollegien ausarbeiten, sondern auch Zwischenentscheidungen zu Beweis- und Verfahrensfragen zur Aktenversendung. Das war im sächsischen Raum verstärkt der Fall, weil die kursächsische Gesetzgebung den Schöffenstühlen Leipzig und Wittenberg eine besonders starke Stellung in der Gerichtsverfassung zugewiesen hatte.17) Beispielsweise kam es in einem Strafverfahren wegen Kindestötung, an dem Christian Thomasius als junger Strafverteidiger beteiligt gewesen war,18) insgesamt zu fünf Entscheidungen des Schöffenstuhls Leipzig und einer weiteren des Wittenberger Schöffenstuhls. 16
Wenn man Übersichten in der neueren Sekundärliteratur19) zugrunde legt, nehmen sich die Zahlen anderer Kollegien neben ihren sächsischen Konkurrenten eher bescheiden aus. Für sich genommen dokumentieren sie allerdings immer noch eine „ungeheure Materialfülle“.20) Die erst 1693/94 gegründete Universität Halle soll immerhin 36.00021) erreicht haben, wovon mindestens 4.350 Konsilien gedruckt vorliegen.22) Für Göttingen rechnet man im Zeitraum von 150 Jahren mit etwa 25.000; eine mittlere Stellung sollen Rostock, Kiel und Marburg (jeweils um 36.000), der Schöffenstuhl Brandenburg (ca. 30.000) und Tübingen (25.000 oder 20.00023)) einnehmen. 17
Gegenüber solchen Zahlenangaben ist generelle Skepsis angebracht, weil in den Archivbeständen große Lücken klaffen. Zu vielen Kollegien liegen nur extrem grobe Schätzungen vor, deren Zuverlässigkeit daran leidet, daß der Geschäftsanfall im Laufe der Zeit beträchtlich schwanken konnte, ohne daß dies auf eindeutige externe Faktoren wie Kriegswirren oder Epidemien wie Pest und Cholera zurückzuführen ist. Eine wichtige Rolle beim Einbruch von Geschäftszahlen konnte etwa die Verkündung eines gesetzlichen Verbots der Aktenversendung in einem bestimmten Territorium spielen. Bemerkbar machen konnte sich auch der Verlust gerichtlicher Auftraggeber, die in früheren Jahren ihre gesamten Akten routinemäßig an das betroffene Kollegium versendet hatten. Zu einer solchen Abwendung konnte es unter anderem durch Veränderungen der Gerichtsverfassung oder durch die erfolgreiche Neugründung eines konkurrierenden Kollegiums kommen. Mitunter scheinen aber auch Verärgerung der Auftraggeber durch mißliebige Entscheidungen oder durch schleppende Bearbeitung der Akten eine Rolle gespielt zu haben. 18

3. Zur Multifunktionalität von Parteigutachten

Die gedruckten Sammlungen enthalten in bunter Mischung Gerichts- und Parteigutachten. In manchen Werken kann man allenfalls aus dem prozessualen Kontext erschließen, um welche Art von Konsilium es sich im jeweiligen Fall handelt. Andere Autoren, insbesondere Carpzov, haben in ihren Werken den Auftraggeber des jeweiligen Gutachtens konsequent bezeichnet. Nach allem Anschein ist der Anteil der consilia pro parte - so der Fachausdruck im ius commune - in den meisten Konsiliensammlungen des usus modernus hoch. 19
Welche Ziele hatten die privaten Auftraggeber mit ihrer Einholung verfolgt? 20
Eine wichtige Rolle spielte natürlich das Bedürfnis, sich Klarheit über die Rechtslage zu verschaffen. Ein hoher Informationsbedarf entstand vor allem durch die Komplexität der Rechtsquellen und die damals viel beklagten Defizite der Anwaltschaft, die zum großen Teil als wenig vertrauenswürdig galt.24) Dennoch sollte die praktische Relevanz des Informationszwecks nicht überschätzt werden. Oft dürfte es um anderes gegangen sein. 21
So konnten sich die Konsilien angesehener Fakultäten und Schöffenstühle bei Verhandlungen über einen Vergleich als äußerst nützlich erweisen. Mit ihnen konnte mancher Gegner zu Zugeständnissen bewegt werden, die heute nur in der mündlichen Gerichtsverhandlung unter massivem Anraten des Gerichts erzielt werden können. Ein besonders nachhaltiger Effekt war zu erhoffen, wenn der Gegner über keinen kompetenten Anwalt verfügte.25)22
Die Autorität der Gutachter konnte sich auch gegenüber dem Gericht bezahlt machen, vor allem, wenn es gelang, die Richter mit den konformen Gutachten mehrerer Spruchkollegien zu konfrontieren. Deshalb war die Approbation von Konsilien durch Zweit- und Drittgutachten ebenso verbreitet wie die Häufung mehrerer selbständiger Gutachten zum selben Fall.26)23
Wenn ein Bericht der Juristenfakultät Halle an den preußischen König im wesentlichen zutraf, muß die Einholung von Mehrfachgutachten zu Anfang des 18. Jahrhunderts gang und gäbe gewesen sein: Viele Parteien ließen sich in wichtigen Prozessen „gar offt an so vielen orten“ mit Rechtsgutachten versehen, daß bei einer späteren Aktenversendung kein Kollegium „übrig bleiben würde“, das nicht schon zuvor im Parteiauftrag mit der Sache befaßt gewesen sei.27)24
Parteigutachten spielten auch im Rahmen der Strafverteidigung eine wichtige Rolle, und zwar sogar in Hexenprozessen, wie entsprechende Arbeiten von Andrea Alciato (1492-1550),28) Johann Sichardt (1499-1552),29) Johann Fichard (1512-1581),30) Ernst Cothmann (1557-1624)31) und David Mevius (1609-1670)32) belegen. Dies ist in der Strafrechtsgeschichte oft übersehen worden. Rechtsgutachten, die von den Spruchkollegien auf Honorarbasis im Auftrag von Angeklagten, ihrer Verteidiger oder Familienangehöriger erstattet wurden, sind ein steter Bestandteil der Konsiliensammlungen des 16. bis 18. Jahrhunderts.33) Auch damit hängt es zusammen, daß die Freiräume und Erfolgsaussichten der Verteidigung im Strafprozeß des 16. bis 18. Jahrhunderts notorisch unterschätzt werden.34)25
Eine nicht unwichtige Funktion konnte Konsilien auch in summarischen Eilverfahren im Zivilprozeß zukommen, wenn der Auftraggeber Umstände glaubhaft machen mußte, die von unklaren Rechtsfragen abhingen. In Erbsachen war dies primär bei der Testamentsauslegung der Fall, die häufig Probleme bereitet. Die Praktiker des ius commune hatte schon im hohen Mittelalter Rechtsbehelfe für ein summarisches Verfahren in Erbsachen ausgebildet, das nur noch formal auf den römischen Rechtsquellen beruht.35) Einen entscheidendem Vorteil bot das Eilverfahren dadurch, daß der Erbanwärter keinen vollen Beweis seines Klagevortrags führen mußte, sondern nur „eine bloße Bescheinigung“36) beibringen mußte.37)26
Freilich hatte der Kläger hier auch eine zusätzliche Klagevoraussetzung zu erfüllen.38) Wollte er als gesetzlicher Erbe den Nachlaßbesitz erlangen, während sich sein Gegner auf ein Testament berief, so hatte er darzulegen, daß das Testament an einem sichtbaren Mangel (vitium visibile) leide. Diesen Mangel mußte er unverzüglich - das hieß: ohne aufwendige Beweisaufnahme und ohne Klärung komplizierter Rechtsfragen - darlegen können. Dies ließ sich mit dem Konsilium eines angesehenen Spruchkollegiums sehr viel plausibler machen als mit Rechtsausführungen in einem Anwaltsschriftsatz. 27
Außerordentlich relevant waren die Konsilien - auch wenn das erstaunlich klingen mag - zur Begrenzung des Prozeßkostenrisikos.39) Nicht anders als im heutigen Zivilprozeß galt auch im gemeinen Recht die Regel, daß der Verlierer dem Sieger die Prozeßkosten ersetzen mußte. Diese Regel wurde aber von Ausnahmen durchbrochen. Man sah die Rechtfertigung der Kostentragung nicht in der nackten Tatsache des Unterliegens, sondern in einer Strafe für den „Mißbrauch der richterlichen Hülfe“40) durch schuldhafte, leichtfertige Einlassung auf einen Prozeß („temeritate litigandi“41)). Diese Leichtfertigkeit wurde aber nur vermutet.42) Dem Verlierer blieb der Gegenbeweis offen, daß er in gutem Glauben an eine gerechte Sache gehandelt hatte. Dafür genügte, daß er vor Prozeßbeginn ein, besser zwei Gutachten eingeholt hatte, die ihm gute Erfolgsaussichten („probabilem causam litigandi“)43) attestierten. 28
Schließlich eröffneten die Konsilien der Spruchkollegien eine weitere Perspektive, die auf zielstrebige Parteien und Anwälte geradezu verführerisch wirken konnte. Grundsätzlich stand es im Ermessen des Gerichts, an welches Kollegium es seine Akten versendete. An vielen Gerichten herrschten jedoch feste Gewohnheiten. Erfahrenen Anwälten war dann häufig bekannt, welches Kollegium die Richter zu beauftragen pflegten. In diesem Fall konnte sich die Idee aufdrängen, durch die Einholung eines Parteigutachtens bereits im Vorfeld zu ermitteln, wie jenes Kollegium den Fall entscheiden würde.44) Fiel das Ergebnis günstig aus, konnte man der Aktenversendung vergnügt entgegensehen. Erhielt der Auftraggeber ein negatives Votum, bot das Prozeßrecht ein probates Mittel, die Verfasser des unvorteilhaften Gutachtens von der Urteilsfindung fernzuhalten. 29
Im gemeinen Recht galt nämlich die Regel, daß jede Partei ohne Begründung bis zu drei Kollegien, bei Darlegung trifftiger Gründe gegebenenfalls auch weitere, als verdächtig von der Aktenversendung ausschließen durfte (sog. ius eximendi, Recht der Protestation).45) Von dieser Möglichkeit wurde offenbar reger Gebrauch gemacht. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die von einer der Parteien erklärte Exemtion waren streitig. Außer Debatte stand aber, daß ein schwerer Verfahrensfehler vorlag. Unklar war nur, ob das Urteil, das auf einem Urteilsentwurf des eximierten Kollegiums beruht, als nichtig oder nur als anfechtbar anzusehen war.46)30
Andererseits barg die Einholung von - wenn der lässige Ausdruck erlaubt ist - Testgutachten auch gewisse Risiken. Erhielt ein Anwalt Kenntnis davon, daß ein Kollegium ein responsum favorabile für den Gegner verfaßt hatte, konnte er seinerseits die Ausschließung erklären. Als Testgutachten war das Konsilium dann nutzlos; zur Begrenzung des Kostenrisikos taugte es freilich immer noch. 31
Erfuhr das Gericht rechtzeitig von der Existenz eines Parteigutachtens, so war es verpflichtet, von einer Aktenversendung an die Verfasser des Gutachtens abzusehen. In der Jurisprudenz des usus modernus herrschte nämlich Einigkeit darüber, daß die Erstattung eines consilium pro parte die Besorgnis der Befangenheit begründete. Offenkundig waren sich viele Zeitgenossen, darunter berühmte Juristen, der Unparteilichkeit der Gutachterkollegien keineswegs sicher. Man war der Ansicht, daß ein Kollegium, das ein Gutachten für eine der Parteien verfaßt habe, der Gegenpartei verdientermaßen als verdächtig erscheinen müsse. Von diesem Grundsatz waren unter anderem Benedict Carpzov, Matthias Berlich (1586-1631), Johann Brunnemann (1608-1672) und Wolfgang Adam Lauterbach (1618-1678) ausgegangen.47)32
Friedrich Wilhelm I. von Preußen scheint dies nicht anders gesehen zu haben. Das zeigt ein „Königlicher Spezialbrief“ vom Jahr 1723 an die Juristenfakultät Halle. Die Hallenser Juristen hatten sich mehrfach über das gemeinrechtliche Verbot der gleichzeitigen Tätigkeit für Parteien und Gerichte in derselben Sache hinweggesetzt48) und waren dafür von der preußischen Regierung mehrfach scharf gerügt worden. Die abschließende Stellungnahme des erbosten Königs gegenüber der Fakultät lautete: „undt finden Wir alles dasjenige, was ihr (…) angeführet, von keiner Erheblichkeit. Es ist auch bekandt, daß Advocaten undt Consulenten in denen Sachen, wo Sie gerathen, nicht Richter seyn können, undt Responsa der Kollegien auf Anfrage einer Partei sind nicht anders anzusehen. Die Advocaten haben auch einen Eydt abgeschworen, daß sie nach ihrem Gewißen gerathen und geschrieben, finden dennoch in solchen Fällen keinen Glauben, weil bey Gerichten alles ohne Verdacht zugehen muß.“49)33
Mit besonderem Nachdruck betonte David Mevius, daß der Verfasser eines Parteigutachtens generell als befangen anzusehen sei. Es sei dem Gutachter nämlich unmöglich, keine Neigung für jene Seite zu entwickeln, für welche er sein Konsilium erstatte („quia non potest non fieri affectione ad causam pro qua consuluit“). Er wünsche unweigerlich, daß jene Partei den Sieg davontrage, die er mit seinem consilium für den Prozeß instruiert habe („quia desiderat victoriam ejus partis quam consiliis ad litem instruxit“).50)34
Zu diesen Äußerungen war Mevius durch einen heftigen Konflikt mit seinem Greifswalder Fakultätskollegen Matthias Stephani veranlaßt worden. Dieser hatte ein vorprozessuales Parteigutachten abgefaßt und seinem Auftraggeber beste Erfolgsaussichten attestiert. Als der Rechtsstreit einige Zeit später durch eine Aktenversendung an die Universität Greifswald gelangte, verschwieg Stephani zum großen Zorn von Mevius seine frühere Gutachterrolle. 35
Ein Anwalt, der „Testgutachten“ einholte, war gut beraten, wenn er sie vor dem Gericht und dem Gegner geheimhielt. Ganz leicht war das allerdings nicht. In der gemeinrechtlichen Literatur wurde den Richtern dringend geraten, die Parteien vor der Versendung vorzuladen, um sie darüber zu vernehmen, „bey welchem Schöppen=Stul, Juristen-Facultät, oder anderm Gericht eines oder das ander Part, sich hat informiren (…) lassen“.51) Außerdem sollte das Kollegium, das den Auftrag zur Urteilsfindung erhielt, aufgefordert werden, die Akte sofort unversehrt und ungeöffnet zurückzusenden, falls es zuvor ein Parteigutachten erstattet hatte („Acta integra & non aperta statim remittantur“). Für den Fall, daß nur ein einzelner Beisitzer des Kollegiums der Partei als Konsulent gedient habe („si unus ex collegio consultus operam navaverit uni parti“), sollte dieser von der Beratung und Entscheidung der Sache ausgeschlossen werden.52) Auf diese Weise könne der Richter das betroffene Kollegium als gleichsam suspekt bei der Versendung meiden („collegium tanquam suspectum evitare possit“).53) Die Mißachtung dieser Maßregeln sollte die Nichtigkeit eines etwaigen Urteils zur Folge haben.54)36
Einzelne Prozeßordnungen auf territorialer Ebene sahen diese Vorkehrungen ausdrücklich vor und drohten den Parteien und Anwälten mit Strafen für den Fall, daß sie Gutachten verheimlichten.55) Um diese Vorschriften zu unterlaufen, scheint so manches Parteigutachten anonym eingeholt worden zu sein. So sprach die Fakultät Halle in einem Bericht an den preußischen König vom 14. Dezember 1737 von „vielen hundert Responsis, welche Anonymis ertheilet werden“.56) Zumindest die Juristen zu Halle hatten also nicht gezögert, ihre Kompetenz auch in den Dienst anonymer Interessenten zu stellen. 37

4. Der Prozeßverlauf im Ausgangsfall

Doch zurück zu unserem Ausgangsfall, über den Johann Adam Seuffert (1794-1857),57) seinerzeit Professor in Würzburg, im Archiv für die civilistische Praxis berichtete. 38
Die Brüder erhielten von der Fakultät ein „mit Zweifels- und Entscheidungsgründen wohl ausgestattetes Gutachten“. Die Expertise war also nach dem traditionellen Schema aufgebaut. Danach sollte der Gutachter zuerst alle Gründe zusammenstellen, die gegen jene Entscheidung sprachen, der er den Vorzug geben wollte. Diese rationes dubitandi sollte er dann in seinen rationes decidendi Schritt für Schritt widerlegen. Die Juristenfakultät gelangte zum Ergebnis, daß nichteheliche Kinder auch nach ihrer Legitimation keine Leibeserben seien. Deshalb sei der Rückzahlungsanspruch begründet, so daß sich die Auftraggeber „im Falle des Prozesses (…) eines obsieglichen Urtheils mit gutem Grunde versehen könnten.“58) Zumindest was die Begrenzung des Kostenrisikos anging, konnten die Brüder also mit ihrem Gutachten zufrieden sein. 39
Das Gericht erster Instanz sah die Rechtslage anders und wies die Klage ab. Die Kläger griffen zu einem Rechtsmittel, der sogenannten Läuterung. Die Prozeßakte wurde vom Gericht im Wege der Aktenversendung einer Rechtsfakultät vorgelegt. Dieses Verfahren war auch noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts durchaus verbreitet, obwohl die Aktenversendung bereits starke Einschränkungen erfahren hatte. 40
Das Spruchkollegium bestätigte das erstinstanzliche Urteil. Es blieb bei der Klageabweisung. Dies muß den klagenden Brüdern eine herbe Enttäuschung bereitet haben. Das Gericht hatte nämlich die Akten ausgerechnet, wie Seuffert mit Ausrufezeichen hervorhob, „an dieselbe Juristenfacultät gesandt, welche früher das den Klägern günstige Gutachten ertheilt hatte, und nunmehr das dieselben abweisende Urtheil – bestätigte!“59)41
Wie hatte es zu diesem Widerspruch kommen können? Er wäre leicht zu erklären, wenn die Fakultät in ihren beiden Gutachten von unterschiedlichen Sachverhalten ausgegangen wäre. An sich ist das leicht vorstellbar. Parteigutachten ergingen stets nur auf der ungeprüften, als wahr unterstellten Grundlage des Sachverhalts, den der Auftraggeber vortrug, mochte seine Schilderung beschönigend, mit Lügen durchsetzt oder frei erfunden sein.60) Bei Gerichtsgutachten war dagegen jener Tatbestand maßgeblich, der sich nach Aktenlage auf der Grundlage der Darstellung beider Parteien ergab und meist auf eine Beweiserhebung zurückging. 42
Im unserem Fall ging es aber nicht um Differenzen im Sachverhalt. Der Gegensatz lag allein auf der normativen Ebene; mit den Worten von Seuffert: „Die Rechtsausführung blieb fast ganz dieselbe, nur hatten Zweifels- und Entscheidungsgründe ihre Plätze gewechselt“.61) Die Fakultät hatte ihre frühere Beurteilung der Rechtslage also geradezu auf den Kopf gestellt, oder - wenn man das zweite Gutachten für korrekt hält - vom Kopf auf die Füße. Damit ist auch die Erklärung ausgeschlossen, daß die Professoren in versehentlicher Unkenntnis ihrer ersten Expertise gehandelt haben könnten. Man hatte sich bewußt über das Verbot der Doppelbegutachtung hinweggesetzt, das auch im 19. Jahrhundert noch anerkannt war.62)43
Die Kläger griffen zu einem weiteren Rechtsmittel, der Nichtigkeitsbeschwerde, mit der sie einen schweren Verfahrensfehler rügten.63) Sie legten jetzt - erst jetzt - „das ihnen früher erteilte Gutachten“ vor und machten geltend, daß die Fakultät wegen der Gefahr der „Partheilichkeit“ kein Urteil habe fällen dürfen, nachdem sie schon ein Parteigutachten erstattet hatte.64) Das entsprach, wie erwähnt, der Rechtslage im gemeinen Recht. Trotzdem war das Vorgehen der Kläger dreist. Sie waren es ja gewesen, die jenes Gutachten nicht nur eingeholt, sondern obendrein vor dem Gericht und der Gegenpartei geheim gehalten hatten. 44
Ist aber nicht auch das Verhalten der Fakultät als dreist zu bezeichnen? Vor dieser Frage stand - nicht juristisch, aber in der Sache - auch Seuffert, der den Namen jener Fakultät nicht mitteilte. Seine Stellungnahme ist von doppeltem Interesse, weil er nicht nur literarisch, sondern als Mitglied der Spruchfakultät Würzburg auch von Amts wegen mit dem Fall befaßt war. Das Gericht hatte nämlich die Akten zur weiteren Entscheidung nach Würzburg versendet. 45
Das Würzburger Urteil folgte den Standards der damaligen Jurisprudenz, die man alsPandektistik bezeichnet. Als normativen Maßstab zog es allein die römischen Rechtsquellen heran, die Kaiser Justinian vor allem in den 50 Büchern der Pandekten (Digesten) zusammengestellt hatte. Über die Vereinbarkeit eines universitären Gutachtens mit einer Urteilsfindung im Wege der Aktenversendung fand sich in den Quellen nichts. „Eine analoge Anwendung“65) einzelner Stellen des Corpus Iuris blieb aber denkbar (vgl. D. 1,22,5; C. 2,6,pr.; C. 1,6,6. Unzulässig gewesen war nach römischem Recht, daß ein advocatus, der für seinen cliens tätig gewesen war, später in derselben Sache als judex amtieren wollte. Auch Assessoren (vgl. D. 1,22,1), die im Parteiauftrag agiert hatten, war es bei Strafe verboten, in jener Sache als gerichtlicher Beisitzer zu judizieren, weil sie - wie Justinian anmerkte - nicht den Namen eines unbestechlichen Richters tragen könnten („incorrupti judicis nomen non possit praeferre“ - C. 1,51,14 vom Jahr 529). 46
Im Ausgangspunkt sah man dies in Würzburg nicht anders. Seuffert gestand zu, daß „nicht zu erwarten sey, daß die sukzessiv in doppelter Eigenschaft thätige Person ihre frühere Meinung bei Ertheilung des Richterspruchs ändern werde.“ Ganz verschieden und daher nicht analogiefähig sei aber die Motivation von Advokaten und Konsiliarjuristen. Nur von einem Anwalt sei zu befürchten, daß er kurzerhand „zugunsten der früher von ihm vertretenen Partei“ entscheide. Dagegen sei „von dem ganz unparteyischen Respondenten, zumal wenn dieser ein Spruchkollegium ist, (…) mit vollem Vertrauen anzunehmen, daß er nur darum auf seinem früheren Ausspruche beharren werde, weil solcher nach reifer allseitiger Prüfung der Sache aus seiner innigsten Ueberzeugung hervorging“.66)47
Die ungenannte Juristenfakultät habe sich dieses Vertrauens in ihrem Läuterungsurteil sogar als besonders würdig erwiesen. „Denn zu ihrem Ruhme sei's gesagt“ - so die euphorische Formulierung von Seuffert -, daß sie sich als unbestechliches Gericht bewährt habe.67) Vollkommen abwegig war das nicht. Unleugbar hatten die Fakultätsjuristen keine Rücksicht mehr auf ihr eigenes Parteigutachten genommen. Für ihre Kollegen in Würzburg stand damit das Ergebnis fest: die Nichtigkeitsbeschwerde war abzuweisen; unsere Brüder hatten auch in letzter Instanz eine Niederlage erlitten. 48

5. Zum rechtspolitischen Hintergrund

Aus rechtshistorischer Sicht gibt der unbeschwerte Platzwechsel zwischen den rationes dubitandi und decidendi zu denken: Darf man wirklich glauben, daß auch dasParteigutachten aus einer reifen, allseitigen Prüfung und aus innigster Ueberzeugung hervorgegangen war? Darf man tatsächlich annehmen, daß es sich - um ein Sprachspiel des älteren ius commune zu gebrauchen - nicht nur um ein consilium pro parte, sondern auch pro veritate handelte?68)49
Diese Frage überging Seuffert mit konsequentem Schweigen. Nicht anders verhielt auch der Züricher Professor Sartorius, der im Jahr 1840 eine ausführliche, von Rechtshistorikern im 20. Jahrhundert viel benutzte Abhandlung zur Lehre von der Aktenversendung publizierte. Darin stimmte er dem Würzburger Urteil und der freundlichen Bewertung des Vorgangs durch Seuffert ausdrücklich zu.69) Über die Frage nach der Parteilichkeit des Parteigutachtens verlor auch er kein Wort. Statt dessen rühmte er die Aktenversendung „zum Heile der Justiz und zum Besten der Parteien“ als Wohltat. Im Anschluß an Nikolaus Thaddäus Gönner (1764-1827)70) und Vorkämpfer des Liberalismus wie Karl von Rotteck (1775-1840) und Karl Theodor Welcker (1790-1864) bezeichnete er sie als „Palladium deutscher Freiheit“. Die innere Legitimation der segensreichen Einrichtung liege in der „Erzielung des besten möglichen Urtheils“, was gleichermaßen den „wissenschaftlichen Gehalt“ wie die „höchste Unparteilichkeit“ betreffe.71)50
Dieses euphorische Lob galt einer Institution, die sich im 19. Jahrhundert aus strukturellen Ursachen in rapidem Niedergang befand. Durch die zunehmende Besetzung der Gerichte mit Berufsrichtern und den Ausbau der territorialen Gerichtsbarkeit war das Bedürfnis nach dieser Sonderform von Justiz stark zurückgegangen. In mehreren großen Territorien, insbesondere in Brandenburg-Preußen, war sie bereits im 18. Jahrhundert verboten oder massiv beschränkt worden. 51
Einen Beitrag zu dieser Entwicklung hatten auch vielbeklagte Schwachpunkte der Aktenversendung geleistet. Geradezu traditionell waren die Klagen über ihre Schwerfälligkeit, über die Zeitverluste, über die Möglichkeiten der Prozeßverschleppung, die durch sie eröffnet wurden, über die Gefahr, daß auf dem Postweg Akten mit unersetzlichen Originaldokumenten abhanden kamen, über die zusätzlichen, oft hohen Kosten, über die Vernachlässigung des universitären Unterrichts durch allzu viel beschäftigte Professoren und umgekehrt über die Vernachlässigung der Aktenarbeit durch theorielastige Akademiker. Hinzu kam der Vorwurf, daß bequeme oder verantwortungsscheue Richter viele überflüssige Versendungen veranlaßten. Obendrein kollidierte die totale Schriftlichkeit, die im Rahmen der Aktenversendung unvermeidlich war, mit den liberalen Forderungen nach Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Prozesse. 52
Paradoxerweise waren es aber gerade liberale Reformer, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vehement für die Erhaltung der traditionsreichen Aktenversendung eintraten. Sartorius stand für viele, wenn er die schwärzesten Seiten spätabsolutistischer Richterwillkür und politischer Justiz abhängiger Richter im Vormärz beschwor: „dolose Entziehungen des zuständigen Richters, Spezial-Kommissionen, Interventionen der Administrativ-Gewalt, Machtsprüche und Operationen gegen die kompetenten Gerichte ohne deren Willen, also offenbare Kränkungen, Staatsstreiche und Justizmorde“. Dagegen seien die Spruchkollegien der Universitäten „vermöge ihrer Unabhängigkeit von den Justiz-Ministerien, durch die Sorgfalt für ihren wissenschaftlichen Ruf, durch Unbekanntheit mit den Parteien u.s.w. den Gerichten an Unparteilichkeit nicht selten sehr überlegen“.72)53
Diese ehrenwerte rechtspolitische Argumentation besaß zwangsläufig einen blinden Fleck. Wer die Unparteilichkeit der Kollegien rühmte, um die Aktenversendung als Institution zu erhalten, der folgte einem Gebot praktischer Vernunft, wenn er über die Schwachstellen der Konsiliarjurisprudenz den Mantel wohlwollenden Schweigens breitete. Bedrohlich nahe lag die Gefahr, daß skeptische Äußerungen zur etwaigen Parteilichkeit eines Spruchkollegiums „von Gegnern der Actenversendung aufgegriffen werden“ könnten. Die Gegner konnten sich jeder kritischen Äußerung bedienen, um - so die bezeichnende Warnung Christian Friedrich Mühlenbruchs im Jahr 1828 - „die vermeintlichen Nachtheile dieser Versendungen in einem möglichst grellen Lichte erscheinen zu lassen“.73)54

6. Zum wissenschaftsgeschichtlichen Kontext

Dieser rechtspolitische Hintergrund ist der Rechtsgeschichte nicht präsent geblieben. In dogmen-, institutionen- und geistesgeschichtlichem Studien werden die Problemfelder der Konsiliarpraxis, falls sie überhaupt in den Blick geraten, häufig banalisiert. Überspitzt könnte man von einem rechtshistorischen Dogma der vollkommenen Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Spruchkollegien sprechen, wobei selbstverständlich auch einzelne Gegenstimmen und differenzierte Meinungen anzutreffen sind. 55
Zeitgenössische Kritiker der Konsiliarpraxis, die vom 13. bis zum 19. Jahrhundert in beachtlicher Zahl anzutreffen sind, hatten differenzierter, nicht selten mit erstaunlicher Schärfe geurteilt. Ihre Kritik ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der Vergessenheit anheim gefallen. Zu den prominentesten Kritikern zählen: Wilhelm Durantis in seinem speculum iudiciale,74) Andreas Alciat,75) Ulrich Zasius,76) Guy Coquille,77) Joachim Mynsinger von Frundeck,78) François Hotman,79) Hartmann Pistoris,80) Benedict Carpzov,81) Giambattista De Luca,82) Wolfgang Adam Lauterbach,83) Augustin Leyser,84) Johann Friedrich Seyfart,85) Johann Schilter,86) Friedrich II. von Preußen,87) Adolph Dietrich Weber,88) Jacob Friedrich Georg Emmrich89)und im 19. Jahrhundert schließlich Karl Friedrich Christian Wenck90) und Rudolph von Jhering.91)56
Als Adressat ihrer Anklagen gegen parteinehmende, auf das Interesse ihres jeweiligen Auftraggebers bedachte Konsiliarjuristen begegnen große Namen wie Baldus de Ubaldis, der mit seinen über 2.800 Konsilien eminenten Reichtum erworben hatte, Philippus Decius, Paulus de Castro und Alexander Tartagnus. Die Liste der Kritisierten führt - mit Wenck bzw. Jhering als Anklägern - bis zu Mühlenbruch im Städelschen Beerbungsfall und Heinrich Dernburg im Baseler Festungsstreit. Am Ende der Ahnenreihe scheint, auch wenn es sich um eine besondere Fallgestaltung handelt, der ehemalige OLG-Präsident Horst Henrichs zu stehen. 1996 hatte er als Honorar für eine gutachtenähnliche Nebentätigkeit,92) die man heute als „das Millionendingvon Frankfurt a.M.“ ironisiert, 1,34 Millionen DM eingestrichen.93)57
Zu den wenigen Juristen, deren Konsilienkritik nicht in Vergessenheit geraten ist, zählt neben Andrea Alciatus94) vor allem Ulrich Zasius. Seine zentrale These lautet insoweit: „Endlich lasse ich den ganzen Wald von Consilien völlig bei Seite, da sie meistens mehr aus finanziellem Gewinn und um den Richter zu überreden verfaßt sind, als um den wahren Sinn der Quellen zu vertheidigen.“95) Die deutsche Rechtsgeschichte neigt dazu, diese Äußerung als Besonderheit der humanistischen Jurisprudenz anzusehen, die zu einer überzogenen Kritik der traditionellen Jurisprudenz des sogenannten mos italicus neigte. Beim Studium der zeitgenössischen Quellen zeigt sich jedoch, daß diese historische Deutung zu kurz greift. 58
Ein drastisches Beispiel bietet Benedict Carpzov. In der Einleitung seiner Responsa juris electoralia, die erstmals im Jahr 1642 erschienen,96) trug er eine scharfe Anklagerede gegen die finanziellen Eigeninteressen seiner juristischen Kollegen vor. In seinem verdorbenen Jahrhundert - so Carpzov - würden die gelehrtesten Männer der Jurisprudenz nach materiellem Besitz trachten („pessimo hoc seculo […] doctissimi jurisprudentia haberi cupiunt“). Sie begäben sich fast nur noch deshalb in die Gerichte und Rathäuser, um Gewinn zu erzielen. Sie gierten nach dem Vermögen der streitenden Parteien, seien nicht um die Wahrheit bemüht, sondern das Gold liebend, die Gerechtigkeit vernachlässigend, nicht auf die Förderung des gemeinen Wohls und des Rechts bedacht, sondern auf ihre Geldbeutel, im ständigen Streben, ihre Häuser und ihre Taschen zu füllen („solius fere lucri gratia in forum & curiam se conferant, inhiantes litigantium opes, non operam veritati locantes, aurum amantes, justitiam negligentes, non publico bono, nec justitiae promovendae, sed suo marsupio consulentes, arcis & saccis implendis perpetuo intenti“). Die Gerechtigkeit werde von vielen prostituiert („justitia a multis prostituitur“), die gelobt hätten, sie mit allen Kräften zu pflegen und beschützen.97)59
Unter Berufung auf Charles DuMoulin (1500-1566), einen Vertreter der humanistischen Jurisprudenz, formulierte er dann die folgende These: „Quin & Consilia plerumque amore potius illorum, qui ea expetunt, quam veritatis & justitiae dari; Et Doctores in consulendo, aeris saepe magis, quam veritatis studio duci, experientia compertum habemus.“98) Glaubt man Carpzov und seinem französischen Gewährsmann, hatte man also die Erfahrung gemacht, daß die Konsilien meistens mehr aus Liebe jener, die sie erbeten hatten, als aus Liebe der Wahrheit und Gerechtigkeit erstattet wurden. Und man hatte erfahren, daß die Doktoren bei der Abfassung von Konsilien oft mehr um das Geld, als um die Suche nach der Wahrheit bedacht waren. 60
Die Perspektive von Carpzov teilte erklärtermaßen der Tübinger Ordinarius Wolfgang Adam Lauterbach, der als einer der beliebtesten Rechtslehrer und einflußreichsten Praktiker des 17. Jahrhunderts gilt.99) In seiner „Commentatio de consiliis eorumque jure“ vom Jahr 1654 begründete er eine seiner kritischen Thesen mit dem Satz: „Quia Doctores saepe aeris magis quam charitatis studio ducuntur in consulendo, vid. Dominus Bened. Carpz. in praef. ad Respons.“100)61
Grundsätzlich sei ein Richter, so weiter Lauterbach, von der Verantwortung für Rechtsfehler befreit, wenn er im Urteil gutgläubig einem Gutachten gefolgt sei.101) Das sollte aber nur für consilia gelten, die im Wege ordnungsgemäßer Aktenversendung eingeholt wurden. Anders verhalte es sich, wenn das Urteil auf ein Parteigutachten gestützt sei.102) Die Erfahrung bezeuge nämlich, daß solche consilia und responsa meist nicht vertrauenswürdig seien. Entweder hingen sie mit falschen Angaben zusammen, die von den Auftraggebern der Darstellung des Sachverhalts hinzugefügt würden; oder sie seien mehr aus Liebe zu denen abgefaßt, von denen sie begehrt würden, als aus Liebe zur Wahrheit und Gerechtigkeit: „Testatur siquidem experientia, talia consilia & responsa plerumque falsa continere praesupposita, facti narrationi a partibus adjecta; vel amore magis eorum, qui ea expetunt, quam veritatis & justitiae, conscripta esse.“103)62
Die gleiche Haltung begegnet bei dem Erfurter Professor Otto Schmidel. Er forderte im Jahr 1670 dazu auf, alle Konsilien mit Skepsis zu betrachten, die mit rhetorischen und formalem Aufwand erstattet würden. In der Regel seien sie mehr dem eigenen Honorarinteresse und dem Vorteil ihrer Besteller angepaßt, als dem Bemühen um die Wahrheit („magisque fere amore lucri & eorum, qui ea petunt, quam veritatis studio, aptata“). Deshalb würden viele namhafte Kritiker davon ausgehen, daß die gerichtlichen Entscheidungen mehr Glauben verdienten als die Konsilien der Rechtsgelehrten.104)63
Schmidel berief sich unter anderem auf den renommierten kursächsischen Juristen Hartmann Pistoris (1543-1601). Dieser wiederum bezog sich auf Aimone Cravetta da Savigliano aus Ferrara. Cravetta berichte in seinem Tractatus de antiquitatibus Temporum, daß man entdeckt habe, daß die Doktoren in der Lehre („in legendo“) der Wahrheit mehr nützten als in ihren Konsilien („in consulendo“). In der Lehre würden sie nicht durch Affekte wie Freundschaft und Gewinn („amicitia vel lucro“) tangiert, die vor allem in zweifelhaften Sachen ins Gewicht fallen könnten.105)64
Pistoris schloß seine Kritik mit einer Einladung zu weiterer Lektüre. Ein Leser, der noch an dieser These zweifle, solle die Schrift betrachten, die Andreas Alciatus im letzten Kapitel seiner Parerga iuris hinterlassen habe („si quis porro dubitet, is videat, quae scripta reliquit Alciatus lib. 12, parerg. cap. fin“).106) Alciatus habe geltend gemacht, daß die Konsilien in parteilicher Argumentation zugunsten des jeweiligen Auftraggebers darauf abzielten, die Augen der Richter mit Spitzfindigkeiten abzustumpfen und ihren Verstand zu verdunkeln („judicum oculos perstrinxerint, tantamque eorum mentibus caliginem offunderint“). Er fürchte, so Pistoris abschließend, daß diese Beanstandungen zutreffend seien. Denn man sehe, daß auch Alciats eigene Gutachten an dieser Krankheit litten („Nam huius etiam responsa eodem laborare morbo videmus).107)65

7. Die apokryphe Methodenregel in dubio pro amico

Die Sorge Carpzovs vor den materiellen Eigeninteressen seiner Kollegen war verständlich. Es lag fast auf der Hand, daß Juristen, die aus der „überaus lukrativen Spruchpraxis“108) einen großen Teil ihres Einkommens zogen, ihre Auftragggeber nicht gerne vor den Kopf stießen.109) Die Konkurrenz war nicht gering. Parteigutachten waren unter anderem erhältlich bei den Rechtsfakultäten bzw. Schöffenstühlen in Altdorf, Basel, Bonn, Duisburg, Erfurt, Erlangen, Frankfurt an der Oder, Freiburg, Halle, Heidelberg, Gießen, Göttingen, Helmstedt, Ingolstadt, Jena, Kiel, Köln, Leipzig, Mainz, Magdeburg, Marburg, Rinteln, Rostock, Straßburg, Tübingen und Wittenberg. Wer in seinen Erwartungen auf ein vorteilhaftes, vielfältig verwendbares Gutachten enttäuscht wurde, der durfte anderenorts womöglich auf größeres Entgegenkommen hoffen. 66
Zu bedenken sind dabei vor allem die potentiellen Zweckbestimmungen von Parteigutachten. Vom allgemeinen Informationszweck und der Testfunktion einmal abgesehen, standen sie allesamt unter einer gemeinsamen Bedingung. Sie setzten voraus, daß das Gutachten zu einem Ergebnis gelangte, das den Interessen des Auftraggebers entsprach. In der prozessualen Rolle als Kläger erwarteten die Auftraggeber „anspruchstützende“, als Beklagte dagegen „anspruchsverneinende Gutachten“.110) Im gleichen Sinne ist in den zeitgenössischen Quellen von beifälligen und favorablen Konsilien die Rede.111)67
Vor diesem Hintergrund muß es auffallen, daß die deutliche Mehrzahl der gedruckten Konsilien in der Tat zu solchen Ergebnissen führte. Gegenbeispiele sind zwar durchaus anzutreffen, bilden aber offenkundig eher die Ausnahme. In manchen Sammlungen sind abschlägige, infavorable Gutachten sogar echte Raritäten. Insoweit hat es den Anschein, daß viele - wenn auch beileibe nicht alle - Gutachter die normativen Spielräume, die ihnen sogar in trivial anmutenden Fallgestaltungen offenstanden,112) im Interesse der Auftraggeber genutzt hatten. 68
Darauf war es gemünzt, wenn ein Handbuch zum Teutschen Reichs Proceß im Jahr 1756 zum Mißtrauen gegenüber Rechtsgutachten aufforderte. Es sei nämlich „denen consiliis Iurisconsultorum nicht viel zu trauen, weil die Rechts-Collegia das principium haben, daß man in dubio pro quaerente“, zugunsten des Auftraggebers, votieren müsse. Die Kollegien seien leider der Meinung, daß der Empfänger des Gutachtens in seinen Erwartungen zufriedengestellt werden müsse, damit er „ein andermal wiederkommt“.113)69
Auch andere Quellen lassen vermuten, daß die Konsiliarpraxis eine apokryphe Methodenregel gekannt hatte, die heute in Vergessenheit geraten ist: Die Regel in dubio pro amico. Amicus, guter, ehrenwerter Freund, war zugleich die übliche Anrede, mit der sich die Konsiliarjuristen und ihre Auftraggeber seit dem 16. Jahrhundert wechselseitig zu titulieren pflegten. So hatte Karl Friedrich Elsäßer (1746-1815), Professor in Erlangen und Vorsitzender der dortigen Spruchfakultät, in einem Lehrbuch für die Rechtspraxis in bezeichnender Beiläufigkeit vermerkt: „Bei Gutachten ist hauptsächlich zu bemerken, daß (…) man bei einem ganz zweifelhaften Satze zum Vortheil des Quaerenten spreche, in dubio pro quaerente“.114)70
Bekanntlich kannte das gemeine Recht eine kaum überschaubare Zahl von Rechtsfragen, die so umstritten waren, daß von eindeutig überwiegenden, „herrschenden“ Meinungen keine Rede sein konnte. Häufig wurde die Autorität der sogenannten communis opinio von mehreren Seiten zugleich in Anspruch genommen. Eine charakteristische Frucht solcher Kontroversen ist ein Werk von Hieronymus de Caevallos, dessen Titel im 16. und 17. Jahrhundert fast sprichwörtlich zitiert wurde: Speculum aureum opinionum communium contra communes. Bei dieser Ausgangslage war für die Begünstigung des Auftraggebers selbst dann noch gehöriger Raum, wenn man die Maxime von Elsäßer eng auslegte und tatsächlich auf ganz zweifelhafte Rechtssätze beschränkte. 71
Die In-dubio-pro-amico-Regel, die vor allem Jason de Mayno (1435-1519) propagiert haben soll,115) war in erster Linie für die richterliche Praxis formuliert worden. Man wollte dem Richter freistellen, bei zweifelhafter Rechtslage - sofern beide Parteien über gute Argumente verfügten und keine communis opinio doctorum vorhanden war - nach freiem Ermessen zugunsten jener Partei zu entscheiden, die er als Freund ansah und deshalb bevorzugen wollte. Auf die persönliche Überzeugung des Richters von der sachlichen Richtigkeit einer der konkurrierenden Lehrmeinungen sollte es nicht ankommen.116) Der Marburger Professor Nicolaus Vigelius (1529-1600) bezeichnete dies als „gelehrte Meynung (…), daß der Richter in denen Sachen, so seinem Ermessen heimgestellt, wann die Rechtsgelehrten darin streitig weren, seinem Freund zu gefallen, und also nach Gunst sprechenmöge“.117)72
Die große Mehrheit der gemeinrechtlichen Juristen - darunter auch Vigelius - hatte die Amicus-Regel verworfen. Die wohl ausführlichste Erörterung fand sie im Jahr 1650 in einer Dissertation des Straßburger Professors Kaspar Bitsch. Seine Arbeit stieß offenbar auf reges Interesse und wurde mindestens dreimal aufgelegt.118) Aus naheliegenden Gründen hatte man in dubio pro amico als Freibrief für die Korruption der Justiz und damit als das Ende jeglicher Rechtssicherheit betrachtet119). Mitunter wurde die Regel geradezu als teuflisch perhorresziert, so im Jahr 1717 von einem Kollegen von Thomasius an der Juristenfakultät Halle: „(…) casus pro amico potius nominandos esse Casus pro diabolo“.120) Über ihren etwaigen Gebrauch in der Rechtspraxis besagt das freilich noch wenig. 73
Die Regel war schon frühzeitig auch auf die Erstattung von Konsilien bezogen worden.121) Als Standard der Konsiliarpraxis begegnet sie nicht zuletzt in einem berühmten Traktat, den Tiberio Deciano im Jahr 1579 publizierte (Apologia pro iuris prudentibus qui responsa sua edunt). Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie, weil Deciano in seiner Apologia ausgerechnet dazu angetreten war, um die harte Kritik Alciats an der Parteilichkeit von Konsiliatoren abzuwehren. 74
Seinen Ausgangspunkt bildete das Postulat, daß der Rechtskonsulent nur dann ein consilium pro parte zugunsten seines Auftraggebers verfassen dürfe, wenn dieser eine gerechte Sache (causa justa) verfechte. Zu beantworten sei jedoch die Frage, wie sich der Konsulent zu verhalten habe, wenn sich die causa seines potentiellen Klienten - „cliens“122) - wegen der Unterschiedlichkeit der Meinungen der Rechtsgelehrten als zweifelhaft (dubia) darstelle. Wenn sich also ein solcher Fall ereigne, glaube er - Deciano -, daß eine Gefälligkeit (gratificatio) zulässig sei. Das Konsilium könne mit unbeschadetem Gewissen zugunsten des Freundes verfaßt werden („si talis occurrerit casus, puto gratificationi locum fore; ut salva conscientia possit pro amico respondere“).123) Bei unklarer Rechtslage wurde es dem Gutachter also freigestellt, diejenigen Rechtsmeinungen zu bevorzugen, die für jene Partei vorteilhaft waren, die er als seinen 'Freund' betrachten wollte. 75
Deciano schickte freilich eine vorsichtig formulierte Einschränkung nach. Nach seiner persönlichen Meinung sei es angemessener, wenn der Konsulent in einer causa dubia nicht die Amicus-Regel zugunsten seiner Klienten anwende. Vielmehr solle er seiner rechtlichen Prüfung jene Rechtsmeinungen zugrunde legen, die immerhin magis communis seien, wenn schon keine eindeutig herrschende Lehre (communis opinio) ersichtlich sei. Wenn es auch an einer überwiegenden Meinung fehle („si non appareat communior“), würde er glauben, daß der Konsulent jener Meinung folgen müsse, zu der sein Gewissen mehr hinneige und für die er selbst als Richter urteilen würde („putarim eam sequi debere consulentem, in quam magis inclinat eius conscientia, & pro qua ipse iudicaret“).124) Im ganzen fiel Decianos Stellungnahme zur Amicus-Regel auffallend zwiespältig aus. Letztlich provoziert sie geradezu die Vermutung, daß die Regel auch in der italienischen Gutachtenpraxis eine dubiose Rolle gespielt haben muß. 76

Von der praktischen Bedeutung der Amicus-Regel in Deutschland war in jedem Fall Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1708) ausgegangen. In seinem letzten Lebensjahr äußerte er sich in einem Brief an den Rintelner Professor Kestner pessimistisch über die Realisierbarkeit einer Kodifikation auf Reichsebene, die er lange ersehnt hatte, um der Rechtsunsicherheit im ius commune abzuhelfen. Die berühmten Rechtsgelehrten könnten zwar, wenn sie sich zusammenfänden, erheblich zum Gelingen eines solchen Gesetzeswerks beitragen. Dazu seien aber offenbar viele von ihnen nicht bereit, weil sie von der Existenz der unzähligen Streitfragen des gemeinen Rechts profitierten. Durch die uferlosen juristischen Kontroversen besäßen sie nämlich eine gewaltige Menge von Fällen, die sie pro amico entscheiden könnten: „quod inde amplissimam habent messam casuum pro amico“.125)77


Fußnoten:

1 Erweiterte und mit Nachweisen versehene Fassung eines Vortrags, den der Verf. beim Historikertag 1998 in Frankfurt a.M. und 1999 an der Universität Mailand gehalten hat. Die italienische Fassung befindet sich im Druck unter dem Titel: In dubio pro amico. Lo studio di un caso di prassi consiliaristica e di trasmissione degli atti in Germania, in: Studia di storia del diritto, a cura di A. Padoa Schioppa (ed.), vol. 3, Milano 2000.

2 Der Fall findet sich ohne genaue Zeitangabe bei J.A. Seuffert, Praktische Bemerkungen über verschiedene Rechtsmaterien, in: AcP 11 (1828), p. 357 ff. (372-377; Zitat p. 373).

3 Das gemeine Recht kannte außerdem die legitimatio minus plena oder legitimatio ad honores. Sie gewährte nicht den Status eines ehelichen Kindes, sondern beseitigte „blos den Schandfleck der unehelichen Geburt“; vgl. C.F. Glück, Ausführliche Erläuterung der Pandecten, Bd. 2, Erlangen 1798, § 140, p. 284.

4 Vgl. F. Kogler, Die legitimatio per rescriptum, Weimar 1904.

5 Vgl. L.Schmugge, Kirche, Kinder, Karrieren. Päpstliche Dispense von der unehelichen Geburt im Spätmittelalter, Zürich 1995.

6 Dazu z.B. H. Gehrke, Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur Deutschlands, Frankfurt a.M. 1974; Ders., Konsiliensammlungen, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, 2. Band: Neuere Zeit (1500-1800), 2. Teilb.: Gesetzgebung und Rechtsprechung, hrsg. von H. Coing, München 1976, S. 1372; J. Geipel, Die Konsiliarpraxis der Eberhard-Karls-Universität, Tübingen 1965, S. 9-11; zur Konsiliarpraxis allg. F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967, S. 80-96.

7 Vgl. u.a. H. Lück, Die Spruchtätigkeit der Wittenberger Juristenfakultät, Köln u.a. 1998; C.Schott, Rat und Spruch der Juristenfakultät Freiburg i. Br. 1965; H.-W. Thümmel, Spruchkollegium, in: A. Erler / E. Kaufmann (Hrsg): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4 (1990), Sp. 1781-1787.

8 Überblick bei Gehrke, Entscheidungsliteratur (Anm. 6), Nr. 118-120, 122, S. 133-136.

9 Dazu O. Ulbricht, Landesverweisung für Kindsmord - milde Strafen in harter Zeit? in: Mare Balticum (FS E. Hoffmann), hrsg. von W. Paravicini, Sigmaringen 1992, S. 261-278 (261 f.); U. Falk, Zur Geschichte der Strafverteidigung, in: SZGerm 117 (2000), S. 395-449 (409 f.).

10 Vgl. G.Kleinheyer / J.Schröder, Deutsche und Europäische Juristen aus 9 Jahrhunderten, Heidelberg 1996, S. 126-133 (126).

11 Zitiert nach E.Wohlhaupter, Die Spruchtätigkeit der Kieler juristischen Fakultät von 1665-1879, in: SZGerm 58 (1938), S. 752-787 (779).

12 Vgl. Gehrke, Entscheidungsliteratur (Anm. 6), S. 7.

13G. Lingelbach, Vom Schöppenstuhl zum Oberlandesgericht, in: FS OLG Jena, hrsg. von H.J. Bauer und O. Werner, München 1994, S. 1-44 (16-19).

14Gehrke, Entscheidungsliteratur (Anm. 6), S. 11, 20, 60 f.; ders., Konsiliensammlungen (Anm. 6), S. 1375 f.

15 Angaben bei H. Lück, Die Spruchtätigkeit der Juristenfakultät und des Schöffenstuhls zu Wittenberg, in: Jahrb. für Regionalgesch. 12 (1985), S. 77-98 (93).

16E.Böhm, Der Schöppenstuhl zu Leipzig, in: ZStW 59 (1940), S. 371-410 (373); s. auch Gehrke, Entscheidungsliteratur (Anm. 6), S. 8.

17 Dazu umfassend Lück, Wittenberg (Anm. 7).

18 Zu diesem Fall U. Falk, „Im Interesse meiner Parthey“, in: ZNR 1999, S. 153-179.

19 Die folgenden Angaben basieren, soweit nicht gesondert nachgewiesen, auf Thümmel, Spruchkollegium (wie Anm. 7).

20Lieberwirth, Halle und Wittenberg (1980), S. 244.

21U. Klugkist, Die Aktenversendung an Juristenfakultäten, in: JZ 1967, S. 158 bei Anm. 8.

22 Vgl. G. Schubart-Fikentscher, Hallesche Spruchpraxis, Weimar 1960, S. 1 f., 5 f.

23H.-W. Thümmel, Die Tübinger Universitätsverfassung im Zeitalter des Absolutismus, Tübingen 1975, S. 211.

24 Eine zeittypische Anwaltskritik z.B. bei C. von Stieler, Der teutsche Advocat, Nürnberg 1678, S. 121-126.

25 Vgl. z.B. die Kritik bei T.M. Beckmann, Schädliche Mißbräuche und Unordnungen bey den heutigen fast immerwehrenden ärgerlichen und kostbaren Prozessen, Dortmund 1697, S. 100-102.

26 Vgl. A.Schikora, Die Spruchpraxis an der Juristenfakultät zu Helmstedt, Göttingen u.a. 1973, S. 34 f.; Schott, Freiburg (Anm. 7), S. 30; H.J. Mayer, Die Bedeutung der Rechtsgutachten in der Rezeptionszeit, Diss. jur. Basel 1962, S. 101, 175; G. Buchda, Die Spruchtätigkeit der hallischen Juristenfakultät in ihrem äußeren Verlauf, in: SZGerm Bd. 64 (1944), S. 223-275 (256).

27 Bericht vom Jahr 1723, zitiert nach Buchda, Hallische Juristenfakultät (Anm. 26), S. 256.

28 Vgl. E. von Moeller, Andreas Alciat, Breslau 1907, S. 28-32.

29 Vgl. H.Seeger, Die strafrechtlichen consilia Tubingensia, Tübingen 1877, S. 31, 94-97.

30 Vgl. Mayer, Rechtsgutachten (Anm. 26), S. 145-150.

31S.Lorenz, Aktenversendung und Hexenprozeß, Frankfurt a.M. u.a., S. 388-393; ders., David Mevius und der Hexenprozeß, in: Vom Unfug des Hexen-Processes, hrsg. von H. Lehmann / O. Ulbricht, Wiesbaden 1992, S. 305-324 (316).

32DavidMevius, Consilia posthuma, cons. 30 der Ausg. Frankfurt/Stralsund 1680; Lorenz, Mevius (Anm. 31), S. 305-324.

33 Zum Bsp. JurFak. Halle, mitget. und komment. von C. Thomasius, Gedancken und Erinnerungen über allerhand auserlesene Juristische Händel, 1. Theil, 2. Aufl. Halle 1723, 19. Handel; JurFak. Halle, mitgeteilt von N.H. Gundling, Rechtliche Ausarbeitungen, cons. 26, p. 228-231 der Ausg. Halle/Leipzig 1772, hrsg. von C.F. Hommel.

34 Dazu Falk, Strafverteidigung (Anm. 9), S. 406-439.

35 Als normative Anknüpfungspunkte dienten das sog. Remedium ex lege ultima Codicis de edicto Divi Hadriani tollendo (C. 6,33,3) und das Interdikt Quorum bonorum (D. 43,2,1 und C. 8,2); dazu F.C. von Savigny, Ueber das Interdict Quorum bonorum, Ztschr. für geschichtliche RWiss, Bd. 5 (1825), S. 1 ff. (25), Bd. 6 (1828), 227 ff. (271 f.). Zum gemeinen Recht vgl. den Überblick bei B. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 3, 7. Aufl. Leipzig 1891, § 617.

36Glück, Pandekten (Anm. 3), Bd. 6 (1800), § 498, S. 156; Windscheid, Lehrbuch (Anm. 35), Bd. 3, § 617 bei Note 5; J.G. Estor, Anweisung für die Beambten und adelichen Gerichts-Verwalter in denen gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtshändeln, auch zu den summarischen Prozessen, Marburg 1762, §§ 1007, 1113, 1115.

37 Neben dem Possessorium bot auch das Extrajudizialverfahren Gelegenheit zum effektvollen Einsatz von Parteigutachten. Wie J. Maurer (Der „Lahrer Prozeß“, Köln u.a. 1996, S. 272-275) zeigt, eröffnete das Extrajudizialverfahren die Chance auf eine „zügige Entscheidungsfindung“ auf „einseitig geschilderter Tatsachengrundlage“ und gleichzeitig reiche Möglichkeiten zum Mißbrauch, insb. zur Erschwerung des rechtlichen Gehörs für die Gegenpartei.

38 Vgl. z.B. ein Konsilium der JurFak. Helmstedt vom 20. August 1714, mitget. von A. Leyser, Meditationes ad pandectas, spec. 500, med. 4 der Ausg. Leipzig 1748.

39 Vgl. Gehrke, Entscheidungsliteratur (Anm. 6), S. 65.

40J.F.G. Emmrich, Ueber die Proceßkosten, deren Erstattung und Kompensation, Göttingen 1791, § 53, S. 175; § 54, S. 284, 286.

41J.F. Seyfart, Teutscher Reichs Prozeß, Halle 1756, cap. 33, § 3, p. 707; L.G. Martini, Commentarius Forensis in Sacratissimi Ducis Saxoniae Johannis Georgii I Ordinationem Processus Judiciarii, Frankfurt/Leipzig 1710, tit. 36, n. 87, p. 109.

42 Für die Berechtigung dieser Regelbildung Thomasisus, Händel (Anm. 33), 4. Handel, § 5, S. 145, 156; § 49 f., S. 250-533; kritisch dagegen A.D. Weber, Ueber die Proceßkosten, deren Verguetung und Compensation, 2. Aufl. Schwerin u.a. 1790, § 10, S. 91 ff.

43Seyfart, Prozeß (Anm. 41), cap. 33, § 3, p. 707; W.A. Lauterbach, Commentatio de consiliis, eorumque jure, Tübingen 1654, pars 2, cap. 2, th. 5, p. 56; J.Brunnemann, Tractatus juridicus de processu fori legitime instituendo et abbreviando, Lipsiae 1659, cap. 27, n. 78, p. 170.

44 Eine nachdrückliche Empfehlung in diesem Sinne formulierte C. Besold, Thesaurus practicus, Stichwort: consilium, p. 107 der Ausg. Augustae Vindelicorum 1691.

45B.Carpzov, Processus iuris in foro Saxonico, tit. 16, art 1, n. 37, p. 558 der Ausg. Jena 1670; M.Berlich, Conclusiones Practicabiles, Leipzig 1670, concl. 61, n. 16, 19, p. 371; Leyser, Meditationes (Anm. 38), spec. 465, med. 9; K.F. Elsäßer, Ueber den Geschäftsgang von der Versendung der Akten an Rechtskollegien an bis zur Eröfnung des eingehohlten Urthels, Stuttgart 1791, in: W.A.F. Danz, Grundsätze des ordentlichen Prozesses, Stuttgart 1806, § 17, p. 15. Das Territorialrecht enthielt z.T. Einschränkungen; so wurde die Exemtion in Kursachsen nur bei Glaubhaftmachung sachlicher Gründe zugelassen; s. Carpzov, Processus iuris, tit. 16, art. 1, n. 34-38, p. 558. In Italien hatte das Recht zur freien Ablehnung von Konsiliatoren schon im 13. Jahrhundert zum festen Standard des Verfahrens gezählt; s. J. DeDeo, Cavillationes. Liber, qui vocatur Doctrina Advocatorum, Partium, & Assessorum, lib. 2, cap. 2, n. 63, p. 19 der Ausg. Venedig 1567; W. Durantis, Speculum iudiciale, liber 2, partic. 2, Rubrik: De Requisitione consilii, n. 3, p. 763 des Neudr. Aalen 1975 der Ausg. Basel 1574; H.U. Kantorowicz, Albertus Gandinus und das Strafrecht der Scholastik, 1. Bd.: Die Praxis, Berlin 1907, p. 118, 306.

46 Für Nichtigkeit z.B. J.B. Sartorius, Revision der Lehre von der Aktenversendung, in: Ztschr. für CivilR und Proceß 14 (1840), S. 219-256 (253): für Anfechtbarkeit ein Konsilium der JurFak. Helmstedt von 1710, mitget. bei Leyser, Meditationes (Anm. 38), spec. 6, med. 9; spec. 465, med. 13.

47Brunnemann, Tractatus (Anm. 43), cap. 27, n. 7, p. 154; Berlich, Conclusiones (Anm. 45), concl. 61, n. 16, p. 371; Carpzov, Processus iuris (Anm. 45), tit. 16, art. 1, n. 37, p. 558; Lauterbach, De consiliis (Anm. 43), pars 1, cap. 2, p. 18; vgl. auch Schott, Freiburg (Anm. 7), S. 157.

48 Cfr. Buchda, Hallische Juristenfakultät (Anm. 26), S. 255-257; K. Luig, Thomasius als Praktiker auf dem Gebiete des Privatrechts, in: F. Vollhardt (ed.), Christian Thomasius, 1997, S. 119-138 (129-131).

49Buchda, Hallische Juristenfakultät (Anm. 26), S. 257.

50Mevius, Consilia (Anm. 32), cons. 22, n. 4, p. 287.

51Brunnemann, Tractatus (Anm. 43), cap. 27, n. 7, p. 154; ihm folgend J.H. Heeser, Dissertatio juridica theoretico-practica de actis judicialibus, cap. 4, n. 153, p. 154 s.; n. 68, p. 143 der Ausg. 9, p. 58-59 Herborn 1689.

52Brunnemann, Tractatus (Anm. 43), cap. 27, n. 7, p. 154; Heeser, De actis (Anm. 51), cap. 4, n. 153, p. 154 s.; n. 68, p. 143. Zahlreiche Belege für eine entsprechende Gerichtspraxis finden sich im unpaginierten Quellenanhang bei Schikora, Helmstedt (Anm. 26), nach S. 311 (Formulare zur Aktenversendung).

53Berlich, Conclusiones (Anm. 45), concl. 61, n. 19, p. 371; Lauterbach, De consiliis (Anm. 43), pars 1, cap. 2, p. 18.

54Berlich, Conclusiones (Anm. 45), concl. 61, n. 19, p. 371: „Et haec requisita tam stricte observari debent, adeo, ut (...) acta ad Sapientes suspectos, vel qui antea sua consilia alterutri parti suppeditaverunt, transmiserit, acta, gesta, & sententia ipso jure nulla sit“.

55 So eine hessische Verordnung von 1767, s. G.Pätzold, Die Marburger Juristenfakultät als Spruchkollegium, Marburg/Lahn 1966, S. 28.

56 Zitiert nach Buchda, Hallische Juristenfakultät (Anm. 26), S. 249, vgl. auch S. 260.

57 Vgl. Heigel, ADB 34 (1892), p. 58-65.

58Seuffert, Bemerkungen (Anm. 2), S. 373.

59Seuffert, Bemerkungen (Anm. 2), S. 373.

60 Vgl. Lauterbach, De consiliis (Anm. 43), pars 2, cap. 1, th. 6, p. 41; S.Stryk, Specimen usus moderni pandectarum, in: ders., Opera omnia, hrsg. von J.S. Stryk, lib. 1, tit. 2, § 9-10 der Ausg. Florenz 1841; J.C. Gensler, Anleitung zur gerichtlichen Praxis in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Heidelberg 1821, S. 354 f.; Schott, Freiburg (Anm. 7), S. 176; Schikora, Helmstedt (Anm. 26), S. 272.

61Seuffert, Bemerkungen (Anm. 2), S. 373.

62 Vgl. Sartorius, Aktenversendung (Anm. 46), 253.

63 Daneben machten sie mit der Oberläuterung inhaltliche Rechtsfehler geltend. Dieser Aspekt bleibt hier außer Betracht, weil die Quelle bei Seuffert, Bemerkungen (Anm. 2), dazu keine näheren Informationen bietet.

64Seuffert, Bemerkungen (Anm. 2), S. 373, 377.

65Seuffert, Bemerkungen (Anm. 2), S. 375.

66Seuffert, Bemerkungen (Anm. 2), S. 376.

67Seuffert, Bemerkungen (Anm. 2), S. 376.

68 Zur Fragestellung vgl. H.R. Hagemann, Die Rechtsgutachten des Bonifacius Amerbach, Basel 1997, S. 10.

69 Vgl. Sartorius, Aktenversendung (Anm. 46), 254.

70 N.T. von Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd. 1, Erlangen 1801, S. 78: „Immer aber bleibt die Aktenversendung ein Palladium der deutschen Freiheit. Kein Druck verbündeter Glieder eines collegiums, kein Neid, keine Privatabsicht, keine Hofluft kann in den Vorhof eines Tribunals dringen, welches von den Partheyen und dem versendenen Richter meistens in gleicher Entfernung steht“.

71Sartorius, Aktenversendung (Anm. 46), S. 246 f.

72Sartorius, Aktenversendung (Anm. 46), S. 249 Anm. 1.

73C.F. Mühlenbruch, Rechtliche Beurtheilung des Städelschen Beerbungsfalls, Halle 1828, Vorrede S. X. Mühlenbruch, seinerzeit Professor in Halle, sprach zugleich in eigener Sache, weil seine Fakultät und auch er persönlich in den Verdacht einer parteilichen Behandlung eines heftig umkämpften und in der Öffentlichkeit viel beachteten Erbschaftsprozesses geraten waren; vgl. K.F.C. Wenck, Beitrag zur rechtlichen Beurtheilung des Städelschen Beerbungsfalles, Leipzig 1828, S. 5, 24. Zum Kontext H. Kiefner, Das Städel'sche Kunstinstitut, in: Quaderni Fiorentini, Bd. 11/12 (1982/83), S. 339 ff.; U.Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid, 2. Aufl. Frankfurt a.M. 1999, S. 77-109.

74Durantis, Speculum iudiciale (Anm. 45), lib. 2, partic. 2, Rubrik: De Requisitione consilii, p. 762-764. Zur außerordentlichen Bedeutung dieses Werks s. J.F. von Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts, Bd. 2, Neudr. Graz 1956, § 35, S. 149-152; F.C. von Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, Bd. 5, Heidelberg 1850, S. 574, 582-592.

75A. Alciat, Parergon juris, cap. ult. (XII.): An publice utilitati conducant iurisconsultorum responsa, quae vulgo consilia vocant. Der Text auch zugänglich bei T. Deciani, Apologia pro iuris prudentibus qui responsa sua edunt, Lugdunum 1589, der ihn seiner Erwiderung auf Alciat vorangestellt hat. Vgl. auch F. Schaffstein, Zum rechtswissenschaftlichen Methodenstreit im 16. Jahrhundert, in: FS Niedermeyer (1953), S. 195-214; A. Marangiu, Tiberio Deciani, in: Rivista di Storia del diritto italiano, vol. 7 (1934), S. 135-201; E. Cortese, Il diritto nella storia medievale, Bd. 2, Rom 1995, S. 471.

76 Cfr. K. Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte 2 (1250-1650), 4. Aufl. Opladen 1980, Bd. 2, S. 237 f.; R. Stintzing, Ulrich Zasius, Basel 1857, S. 144.

77G. Coquille, Commentaires sur les Coutumes pays et comté de Novernois, Vorrede S. 4, in: Oeuvres de maistre Guy Coquille, tom. 2, Paris 1665. Zum Werk von Coquille (Conchyleus, 1523-1603) s. E. Holthöfer, in: Juristen, hrsg. von M. Stolleis, München 1995, S. 137-139.

78J. Mynsinger von Frundeck, Singularium observationum Imperialis Camerae, obs. 60, cent. 6, p. 490 s. der Ausg. Köln 1697.

79 Dazu J. Baron, Franz Hotman's Antitribonian, Bern 1888, S. 12 f., 15 f., 28, 33; s. auch W. Vogel, Franz Hotmann und die Privatrechtswissenschaft seiner Zeit, Diss. Freiburg i.Br. 1960, S. 77-81 (79), 93-94, 97, mit fragwürdiger Deutung.

80H. Pistoris, Opera omnia, hoc est quaestionum juris, tam romani, quam saxonici libri quattuor, quaest. 1, n. 86, p. 310 s. der Ausg. Leipzig/Frankfurt 1679, hrsg. von S.U. Pistoris.

81B. Carpzov, Responsa juris electoralia, praefatio ad lectorem; vom Verf. benutzt wurde die Ausg. Leipzig 1709.

82G. De Luca, Summa sive compendium theatri veritatis et justitiae, tom. 7, de judiciis, disc. 35, n. 7, p. 138 der Ausg. Köln 1706. Zur erheblichen Bedeutung des Werks s. A. Mazzacane, Giambattista De Luca und die „Gesellschaft für Ämterkauf“, in: H. Kellenbenz / P. Prodi, Fiskus, Kirche und Staat im konfessionellen Zeitalter, 1994, S. 373-393; Schulte, Geschichte der Quellen und Literatur, Bd. 3, S. 487, Nr. 127.

83Lauterbach, De consiliis (Anm. 43), pars 2, cap. 2, th. 3-4, p. 55 s.

84Leyser, Meditiationes (Anm. 38), spec. 52, med. 7, mit dem lakonischen Kommentar zu einer juristischen Fehlleistung eines renommierten Kollegen: „Sed solent interdum ICti in gratiam eorum, a quibus consuluntur, respondere“; ähnlich spec. 88, med. 1, p. 241: Es sei damit zu rechnen, „(...) quod collegium, a quo consilium petit, (...) per adsentationem contra iura respondit“.

85Seyfart, Proceß (Anm. 41), cap. 33, § 3, p. 708.

86J. Schilter, Consilia Argentoratensia, volumen novum, Straßburg 1701, praefatio.

87 Dissertation sur les raisons d'établir ou d'abroger les loix, 1752, S. 41.Der König kritisierte, daß sich reiche Parteien an „je ne sais combien d'Universités“ zu wenden pflegten. Dabei beklagte er die Möglichkeiten der Prozeßverschleppung im Rahmen der Aktenversendung und die unlauteren Vorteile, die sich die reichere Partei dadurch verschaffen könne. Mit ironischer Wendung bemerkt er dann: „Un Plaideur jouoit bien de malheur, qui dans cinq Tribunaux, & je ne sais combien d'Universités, ne trouvoit pas des Ames venales & corruptibles.“

88Weber, Proceßkosten (Anm. 42), § 10, S. 94-99.

89Emmrich, Proceßkosten (Anm. 40), § 52, S. 270-272.

90Wenck, Beitrag (Anm. 73), S. 5, 24.

91R. von Jhering, Erwiderung auf das von H. Dernburg, Professor in Halle, in dem zwischen den Kantonen Basel=Landschaft und Basel=Stadt obwaltenden Rechtsstreit bezüglich der Festungswerke bei der Stadt Basel abgestattete Rechtsgutachten, Basel 1862, S. 22-37 (insb. 30 f.), 61.

92 Vgl. K. Rudolph, Richteramt und Nebentätigkeit - Gedanken zum Fall Henrichs, NJW 1997, S. 2928-2930.

93 Vgl. I. von Münch, Gutachten: Der süße Duft, NJW 1998, S. 1761 f.

94 Dazu z.B. Cortese, Diritto (Anm. 75), S. 471.

95 Vgl. Kroeschell, Rechtsgeschichte (Anm. 76), S. 237 f.; Stintzing, Zasius (Anm. 76), S. 144.

96B. Carpzov, Responsa juris electoralia, Blatt 4 der unpaginierten praefatio ad lectorem, im folgenden zitiert nach der Ausg. Leipzig 1709.

97Carpzov, Responsa (Anm. 96), Bl. 1.

98Carpzov, Responsa (Anm. 96), Bl. 2.

99K. Luig, in: NDB 13 (1982), S. 736-738.

100Lauterbach, De consiliis (Anm. 43), pars 2, cap. 2, th. 4, p. 56.

101 Cfr. Lauterbach, De consiliis (Anm. 43), pars 2, cap. 2, th. 3, p. 52-55.

102Lauterbach, De consiliis (Anm. 43), pars 2, cap. 2, th. 3, p. 55.

103Lauterbach, De consiliis (Anm. 43), pars 2, cap. 2, th. 3, p. 55.

104Henning Rennemann / Otto Schmidel, Tractatus de transmissione actorum, cap. 1, n. 9, S. 20 s. der Ausg. Erfurt 1670.

105 Vgl. Aimonis Cravetta, Tractatus de antiquitatibus temporum, Venedig 1565, pars 1, n. 48, p. 54: „reperio, quod doct. legendo magis nituntur veritati, quam consulendo, quia in lectura cessat affectio & affectio aeris“.

106Pistoris, Opera omnia (Anm. 80), lib. 2, qu. 1, n. 87, p. 310.

107Pistoris, Opera omnia (Anm. 80), lib. 2, qu. 1, n. 87, p. 311.

108M. Lipp, Recht und Rechtswissenschaft im frühneuzeitlichen Kursachsen, in: JuS 1995, S. 387-393 (390 Fußn. 53).

109 In diesem Sinne E. Böhm, Der Schöppenstuhl zu Leipzig, in: ZStW 60 (1941), S. 155-249 (212); U. Danker, Räuberbanden im Alten Reich, Frankfurt a.M. 1988, S. 110. Dieser Faktor dürfte für die Mißstände maßgeblich gewesen sein, die Adolf Stölzel, Die Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung, untersucht auf Grund der Akten des Brandenburger Schöffenstuhls, Bd. 1, Berlin 1901, S. 578-594, beklagte.

110 Vgl. Schott, Freiburg (Anm. 7), S. 30 f.; Schikora, Helmstedt (Anm. 26), S. 244.

111Thomasius, Händel (Anm. 33), 1. Aufl 1720, 1. Theil, 1. Handel, S. 1-104 (26, 27, 81 f.); zur Analyse dieses Texts Falk, Parthey (Anm. 18).

112 Vgl. Ziffer 1 a.E.

113Seyfart, Proceß (Anm. 41), cap. 33, § 3, S. 708.

114Elsäßer, Geschäftsgang (Anm. 45) § 92, S. 75.

115 Zum Bsp. J. Nevizanus, Sylva nuptialis, lib. 5, n. 73, p. 506 s. der Ausg. Lugdunum 1602 „Igitur tales casus dubios solebat appellare Jas(on de Mayno) esse casus pro amico (...) quoniam tunc sit bonum habere iudicem amicum et favorabilem, ut concludet omnes examinationes, quia potest secundum eas eligere cui dicat: Tu mihi sola places“. S. auch K. Bitsch, Quaestiones seu casus pro amico, prol. n. 3, p. 4 s. der Ausg. Straßburg 1650.

116Bitsch, Pro amico (Anm. 115), prol. n. 4, p. 5: „Vocant autem casus pro amico, casus dubios atque ambiguos, quorum decisio in arbitrio judicantis sit ita, ut pronunciare possit secundum quam partem velit, adeoque favere et gratificari Amico“. Vgl. H. de Caevallos, Speculum aureum opinionum communium contra communes, tom. 4, praefatio ad practicas, n. 101, p. 8 der Ausg. Straßburg 1615: „in diversitate opinionum potest iudex unam eligere & vocatur punctus pro amico“.

117N. Vigelius, Richter-Büchlein, in: ders., Gerichts-Büchlein, S. 81 der Ausg. Naumburg 1652, hrsg.von E. C. Homburg.

118 Bio-Bibliographisches Verzeichnis von Universitäts- und Hochschuldrucken vom Ausgang des 16. bis Ende des 19. Jahrhunderts, hrsg. von H. Mundt, Bd. 1, 1977, S. 101.

119 Zum Bsp. J.Menocchio, De arbitrariis judicium quaestionibus, lib 2, cent. 4, casus 339, n. 32, p. 628 der Aus. Venedig 1613; A.Mattheacius, De via, & et ratione artificiosa iuris universi libri duo, lib. 2, n. 15, p. 122 verso der Ausg. Venedig 1591; Bitsch, Pro amico (Anm. 115), prol. n. 16-23, p. 12-19; Lauterbach, De consiliis (Anm. 43), pars 2, cap. 2, th. 3-4, p. 52-54; Vigelius, Richter-Büchlein (Anm. 117), S. 81; s. auch Baron, Antitribonian (Anm. 79), S. 31-33.

120Bitsch, Pro amico (Anm. 115), prol. n. 22, p. 18; Thomasius, Händel (Anm. 33), 1. Handel, S. 5, 32; 2. Theil, 4. Handel, S. 146, 150.

121 Vgl. Bitsch, Pro amico (Anm. 115), prol. n. 8, p. 6: „Et quod de sententiis Judicum dicitur, idem etiam intelligendum est de Responsis JConsultorum“.

122Deciano, Apologia (Anm. 115), verwendete den Ausdruck cliens als terminus technicus für die Auftraggeber von Konsilien; z.B. cap. 19, n. 27, p. 34; cap. 22, n. 13, 18, 21-22, p. 40; cap. 22, n. 162 s., p. 49 und durchgängig.

123Deciano, Apologia (Anm. 115), cap. 22, n. 15, p. 40.

124Deciano, Apologia (Anm. 115), cap. 22, n. 15, p. 40.

125 Zitiert nach Baron, Antitribonian (Anm. 79), S. 28.

Aufsatz vom 14. August 2000
© 2000 fhi
ISSN: 1860-5605
Erstveröffentlichung
14. August 2000

DOI: https://doi.org/10.26032/fhi-2019-009