Zeitschrift Debatten Schaeffers Grundrisse überdauern die Zeiten

Philipp Mützel

Schaeffers Grundrisse überdauern die Zeiten

Seit 1906 erscheint die Reihe „Schaeffers Grundrisse des Rechts und der Wirtschaft“1, mittlerweile als Uni-Taschenbücher. Die Konzeption der Reihe ist seit dieser Zeit die gleiche geblieben: eine straffe, streng gegliederte Aufbereitung der Materie sowie bewußter Verzicht auf lehrbuchartige Vertiefung. Damit konnte sich die Reihe gerade zum Beginn und in den 20er und 30 Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgreich durchsetzen. So wurden von der Darstellung des Allgemeinen Teils des BGB allein bis heute über 160.000 Exemplare verkauft. 1
Dennoch gibt es auch in der Geschichte dieser Lehrbuchreihe ein dunkles Kapitel: die Zeit des Dritten Reiches. Bis 1936 die Reihe vom Kohlhammer-Verlag übernommen wurde, mußte der Verlag C. L. Hirschfeld ausdrücklich klarstellen: 2

„Um Zweifel auzuschließen, wird ausdrücklich betont, daß die Familie des früheren Verlagsinhabers Hirschfeld rein arischer Abstammung und auch der Verlag rein deutsch ist.“2

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Den neuen Erfordernissen paßte sich der Herausgeber der Reihe, der pensionierte Oberlandesgerichtsrat Carl Schaeffer, schnell an. So erschienen in der neuen Reihe „Neugestaltung des Rechts und der Wirtschaft“ Bände wie „Rassen- und Erbpflege“, u. a. bearbeitet vom Staatssekretär im Reichsinnenministerium und Teilnehmer der Wannsee-Konferenz Wilhelm Stuckart. In der 3. Auflage dieses Werkes hieß es: 4

„Es handelt sich bei der (jüdischen, Anm. d. Verf.) Rasse, wie der Führer auf dem Parteitag der Arbeit betont hat, um eine (...) durch und durch minderwertige Rasse. Die Judenvernichtung findet ihre Rechtfertigung daher nicht nur in der Andersartigkeit, sondern auch in der Anderswertigkeit des Judentums.“3

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Diese neuen Bände verbreiteten sich schnell und hatten teilweise innerhalb von drei Jahren eine Auflage von 30.000 Exemplaren. Ihre Bedeutung erlangten sie insbesondere dadurch, daß sie für Studenten, die nur an einem raschen Studienabschluß, nicht aber an „richtigen“ Lehrbüchern oder gar wissenschaftlichen Erkenntnissen Interesse hatten, oft die einzigen Studienbücher waren.4 Auf eine wissenschaftliche Vertiefung verzichteten die Schaeffer-Bände nämlich und konzentrierten sich allein auf die Darstellung des geltenden Rechts, vor allem auch auf Gebieten, die in „herkömmlichen“ Lehrbüchern außer acht gelassen wurden, wie z. B. die Nationalsozialistische Rechtslehre5 oder das Wehrrecht6. Dieser Umstand - und die Tatsache ihrer durch („Kriegs-“) Nachträge gewährleisteten Aktualität - verhalfen der Reihe zu Beachtung auch außerhalb studentischer Kreise. 6
Um so erstaunlicher ist es, daß der Verlag C. F. Müller 1997 eine fast unveränderte Auflage eines in dieser Zeit erschienenen Werkes herausgebracht hat. Man könnte zwar meinen daß sich das „Römische Recht“ von Wiefels/von Rosen-von Hoewel7 aufgrund der Materie ideologiefrei zeigt, doch schon zu Beginn wird der Leser eines besseren belehrt: 7

„Dieser einzigartige Machtaufschwung (des Römischen Reiches, Anm. d. Verf.) erklärt sich aus den besonderen Eigenschaften der Römer: An Charakterfestigkeit, echter Männlichkeit und energischer Tatkraft ist kein Volk des Altertums den Römern gleich.“8

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Auch sonst finden sich in dem Werk erstaunliche Aussagen: 9

„Das altrömische Recht (Zwölftafelgesetz) steht rechtsgeschichtlich auf der gleichen Stufe mit dem griechischen und germanischen Recht.“9

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Diese Feststellung ist in verschiedener Hinsicht fragwürdig. Zur Zeit des Erlasses des Zwölftafelgesetzes (um 450 v. Chr.) lebten die germanischen Stämme von Ackerbau und Viehzucht. Es gab weder ein Staatswesen, noch Handwerk, Geld oder Verträge, wie es in Rom der Fall war. Damit bestand auch kein Bedürfnis für eine dem Zwölftafelrecht entsprechende umfassende Regelung des ganzen privaten und öffentlichen Rechts unter Einschluß des Zivilprozeß- und des Vertragsrechts. Eine Kodifizierung des germanischen Rechts existierte im 5. Jh. v. Chr. überhaupt nicht. 11
Im übrigen liegen der Forschung mittlerweile neue Erkenntnisse vor, die einen derartigen Vergleich ebenfalls als zweifelhaft erscheinen lassen10. 12
Aus den oben angegebenen Zitaten wird aber das Interesse des Autors der frühen Auflagen, Josef Wiefels, deutlich, das Römische Recht als dem germanischen Recht ebenbürtig darzustellen und so eine Beschäftigung mit dem im Dritten Reich ins Hintertreffen geratenen Römischen Recht zu rechtfertigen. Denn im 19. Grundsatz der nationalsozialistischen Bewegung hieß es: 13

„Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltanschauung diendende römische Recht durch ein deutsches Gemeinrecht.“

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So versuchte Wiefels, die Römer als eine Art „Frühgermanen“ darzustellen mit all den Eigenschaften, die man im Dritten Reich den Germanen zusprach: Mut, Tapferkeit, Männlichkeit. 15
Über ein solches Denken ist man heute aber längst hinweg, und es sollte sich auch in keinem ernstzunehmenden Lehrbuch mehr finden. 16
Auch die Biographie des Mitautors der Auflage von 1997, Harry von Rosen-von Hoewel,ist bemerkenswert. Erwurde 1904 in Marienburg/Westpreußen geboren und studierte in Königsberg die Rechte. Nach seiner Promotion 1928 trat er in die Verwaltungslaufbahn ein und wurde 1935 in Stettin Regierungsrat. 1942 gelangte er ins Reichsministerium des Innern nach Berlin11, wo er wohl eine Art Spezialist für Rechtsfragen der besetzten polnischen Gebiete wurde. So veröffentlichte er 1942 einen Aufsatz über das für die Polen geltende Sonderrecht, in dem er die fast vollkommene Entrechtung des polnischen Volkes durch die deutschen Besatzer rechtfertigte: 17

„Für sie (die Ausgestaltung des Sonderrechts für die Polen, Anm. d. Verf.) ist weiterhin die haßerfüllte Feindschaft bestimmend, die das Polentum zu allen Zeiten Deutschland und allem Deutschen gegenüber an den Tag gelegt hat. Es muß Aufgabe der von Deutschland in den eingegliederten Ostgebieten errichteten neuen festen Ordnung sein, die deutsche Aufbauarbeit vor den vom Polentum drohenden Gefahren zu schützen. Hierzu sind strenge Maßnahmen erforderlich, da sich das polnische Volk in seiner Gesamtheit als gemeinschaftsschädlich erwiesen hat. Sie werden unnachsichtlich, aber auch gerecht durchgeführt werden, denn dem deutschen Volk liegt nichts an bloßer Rache.“12

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Daß diese Zeilen von einem Mann stammen, der bis 1940 Harry von Rozycki hieß und seinen Namen arisieren ließ, sei am Rande bemerkt. Die Rechtlosigkeit der polnischen Bevölkerung äußerte sich insbesondere in der Androhung der Todesstrafe als Regelstrafe für jedes „deutsch-feindliche“ Verhalten13, wobei es auf die Vorsatz oder Fahrlässigkeit bei Begehung der Tat nicht ankam14. So genügten etwa geschlechtliche Beziehungen zu einem Deutschen, um einen Polen hinzurichten15. 19
Bei Schaeffer bearbeitete von Rosen-von Hoewel in der Reihe „Neugestaltung des Rechts und der Wirtschaft“ die Bände „Deutsche Verfassungsgeschichte“ (Bd. 13, 3), „Der Staatsaufbau des Dritten Reiches“ (Bd. 13, 4), „Verwaltungsrecht“ (Bd. 14, 1), „Neues Gemeinderecht“ (Bd. 14, 2), „Die Reichsverteidigung“ (Bd. 40, 1) und „Die Kriegswirtschaft“ (Bd. 40,2). 20
Der Untergang des Dritten Reiches konnte von Rosen-von Howels Karriere zunächst nicht stoppen. Bis 1955 war er Ministerialrat und Pressereferent im Bundesministerium des Innern und wurde bei der Gründung des Bundesverwaltungsgerichts 1955 mit der Leitung eines Senats betraut. Nachdem er 1956 zum Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht, also zum dortigen Vertreter der Bundesregierung, ernannt worden war, erlangte im Frühjahr 1958 die SPD-Bundestagsfraktion von den Publikationen von Rosen-von Hoewels Kenntnis. Sie fragte im Bundesinnenministerium an, ob ein Mann wie von Rosen-von Hoewel noch tragbar sei, der „das internationale Juden- und Freimaurertum“ als „wahren Beherrscher“ der Weimarer Republik16 und die Juden als Sklavenhalter des deutschen Volkes bezeichnet hatte17 und für den die „Wiedergeburt von Volk und Staat ( ... ) mit dem Namen Adolf Hitler unauflöslich verbunden“ war18. Von Rosen-von Hoewel wurde darauf in den Ruhestand geschickt und ließ sich als Rechtsanwalt in München nieder, wo er noch heute lebt. Weiterhin betreute er zahlreiche Schaeffer-Bände, bis diese Ende der 70er Jahre nicht wieder aufgelegt oder von neuen Autoren übernommen wurden. Eine Ausnahme bildet das oben genannte „Römische Recht“, für das von Rosen-von Hoewel bis in die Gegenwart die Verantwortung trägt. 21


Fußnoten:

1 zunächst Grundriß des Bürgerlichen Gesetzbuchs, des Strafrechts etc., ab 1924 Grundriß des privaten und öffentlichen Rechts, ab 1925 Grundriß des privaten und öffentlichen Rechts sowie der Volkswirtschaftslehre, ab 1931 (bis heute) Schaeffers Grundriß des Rechts und der Wirtschaft

2 Der Hinweis erschien in allen Bänden der Schaefferschen Sammlungen.

3Stuckart/Schiedermair, Rassen- und Erbpflege in der Gesetzgebung des Reiches, 3. A., Leipzig 1942, S. 12

4 vgl. Majer, Grundlagen des nationalsozialistischen Rechtssystems, Karlsruhe 1987, S. 31f.

5Bechert, Nationalsozialistische Rechtslehre, 3. A., Leipzig 1943 (Schaeffers Neugestaltung Bd. 4,1)

6von Rosen-von Hoewel, Die Reichsverteidigung (Wehrrecht), 2. A., Leipzig 1943 (Schaeffers Neugestaltung Bd. 40,1)

7Wiefels/von Rosen-von Hoewel, Römisches Recht, 63. Tsd. Heidelberg 1997

8Wiefels/v. Rosen-v. Hoewel, a. a. O. (Anm. 7), S. 5f., ebenso schon in: Wiefels, Römisches Recht, 20. Tsd., Leipzig 1943, S. 5

9Wiefels/v. Rosen-v. Hoewel, a. a. O. (Anm. 7), S. 6

10 vgl. Wesel, Geschichte des Rechts, 2. A., München 2001, Rn. 176

11 Die biographischen Angaben entstammen Munzingers Archiv (CD-Rom).

12von Rosen-von Hoewel, Das Polenstatut, Deutsche Verwaltung, 1942, S. 109ff., S. 110 (Hervorhebung durch Verf.)

13 Ziff. 1 Abs. 3 VO über die Strafrechtspflege gegen (sic!) Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom 4.12.1941 (RGBl. I S. 759), sog. Polen-StrafrechtsVO

14von-Rosen-von Hoewel, a. a. O. (Fn. 7), S. 111

15 vgl. hierzu m. w. N. Majer, Grundlagen des nationalsozialistischen Rechtssystems, Stuttgart etc. 1987, S. 187

16W. Eckhardt/von Rosen-von Hoewel, Deutsche Verfassungsgeschichte, Leipzig 1940, S. 155

17W. Eckhardt/von Rosen-von Hoewel, a. a. O. (Fn. 16), S. 156

18W. Eckhardt/von Rosen-von Hoewel, a. a. O. (Fn. 16), S. 156

Beitrag vom 21. Februar 2002
© 2002 fhi
ISSN: 1860-5605
Erstveröffentlichung
21. Februar 2002