Zeitschrift Aufsätze

Hans-Christian Jasch*

Das preußische Kultusministerium und die "Ausschaltung" von "nichtarischen" und politisch mißliebigen Professoren an der Berliner Universität in den Jahren 1933 bis 1934 aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933

I. Einführung 
II. Vom Preußischen Kultusministerium zum Reichserziehungsministerium 
III. Die preußische Wissenschaftsverwaltung und die "Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" an der Berliner Universität 
IV. Epilog 

I. Einführung

Bereits am 6. Mai 1933 verkündete der preußische Kultusminister Bernhard Rust anlässlich einer Rede an der Berliner Universität unter starkem Beifall seiner Zuhörer: "...Ich muß einen Teil der deutschen Hochschullehrer ausschalten, auf daß die deutsche Hochschule wieder in der Synthese von Forschung und Führung ihre Aufgabe erfüllen kann. Die deutsche Jugend läßt sich heute nun einmal von fremdrassigen Professoren nicht führen".

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Die "Ausschaltung" "fremdrassiger" und politisch missliebiger Hochschullehrer basierte auf den Vorschriften des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933. Sie führte zu einem umfassenden Personalaustausch und zu einer weitgehenden - wenn auch nicht lückenlosen - Nazifizierung des deutschen Hochschul- und Bildungswesens. Allein an der seinerzeit bedeutendsten Universität des Reiches, der Berliner Friedrich-Wilhelm Universität, schieden bis Ende März 1935 234 als "jüdisch" oder "jüdisch versippt" bzw. "nicht-arisch" geltende Dozenten aus ihren Ämtern. Andere wurden entlassen oder umgesetzt, weil sie als politisch mißliebig angesehen wurden und ihre Lehrstühle für Gefolgsleute der NS-Bewegung räumen sollten.

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Begleitet durch Vorlesungsboykotte und Terror der Studentenschaft, spielte vor allem das von Rust geleitete preußische Kultusministerium eine zentrale Rolle bei der "Ausschaltung" "nichtarischer" und politisch missliebiger Professoren. Das Ministerium erliess - vielfache ohne Abstimmung mit den Universitäten - Beurlaubungen, Lehrverbote und Entlassungen. Die entsprechenden Bescheide trugen vielfach die Unterschrift des damals erst 31-jährigen Staatssekretärs im Kultusministerium, Dr. Wilhelm Stuckart.Stuckart und seine Mitarbeiter setzten 1933/34 die politischen Forderungen nach einer Entrechtung und Ausgrenzung der jüdischen Deutschen im Bildungsbereich systematisch und verwaltungsförmig um. Nur neun Jahre später, am 20. Januar 1942 nahm Stuckart - nunmehr Staatssekretär im Innenressort - an der Wannsee-Konferenz teil, auf der Heydrich eine "Parallelisierung der Linienführung" in der sog. "Endlösung der Judenfrage" mit den Reichsministerien und der Parteikanzlei erörterte.

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Im Folgenden sollen die Institution des preußischen Kultusministeriums, die Akteure, die bürokratischen Prozesse und Begleitumstände beleuchtet werden, die mit der "Ausschaltung" "nichtarischer" und politisch missliebiger Professoren in den ersten Jahren des "Dritten Reiches" verbunden waren.

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II. Vom Preußischen Kultusministerium zum Reichserziehungsministerium

1. Entstehungsgeschichte und Aufgabenbereich des Preußischen Kultusministeriums

Im Jahre 1817 wurde das preußische Kultusministerium ("Ministerium der Geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten") gegründet.1 Es übte die staatlichen Aufsichtsrechte gegenüber den Kirchen und für das gesamte Unterrichts- und Bildungswesen von den Volksschulen bis zu den Universitäten aus. Ihren Hauptsitz hatte die Behörde Unter den Linden 4; 1903 kam ein Erweiterungsbau in der Wilhelmstraße 68/69 hinzu.

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Das Preußische Kultusministerium- Das Gebäude in der Wilhelmstraße 69
Foto: Landesbildstelle Berlin.

 

Mit dem Anwachsen der deutschen Bevölkerung um das Eineinhalbfache in den Jahren 1871 bis 1910, von 41 auf 65 Millionen, wuchs auch der Aufgabenbereich des Kultusministeriums des größten deutschen Teilstaates.2 Der Hochschulbereich veränderte sich in diesen Jahren rasant. Die Anzahl der Studenten wuchs in dem oben genannten Zeitraum auf das Dreieinhalbfache (von 20.000 auf 68.000). Im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung beschleunigte sich auch der Wissenschaftsprozess und zog eine immer weiter reichende Differenzierung und Spezialisierung der Fakultäten nach sich. Die Universitäten wurden zu "wissenschaftlichen Großbetrieben" aus- und umgebaut. Das Preußische Kultusministerium lenkte und beschleunigte diesen Prozess mit den "Mitteln der Durchstaatlichung, Bürokratisierung und Rationalisierung".3 Das stark zersplitterte und gesetzlich bisher kaum geregelte Universitätsrecht und das Besoldungswesen für Lehrkörper und Universitätspersonal wurden systematisch vereinheitlicht. Hierdurch wuchsen die Einflußmöglichkeiten des Kultusministeriums zu Lasten der Universitäten, die viel von ihrer bisherigen Eigenständigkeit einbüßten.

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Nach der Revolution von 1918 wurde das "Ministerium der Geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten" in "Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung" umbenannt.4 Neben dem Schulwesen in Preußen war es für die Universitäten Berlin, Bonn, Breslau, Frankfurt, Göttingen, Greifswald, Halle, Kiel, Köln, Königsberg, Marburg, Münster sowie die Technischen Hochschulen Aachen, Berlin, Breslau, Hannover, die Medizinische Akademie Düsseldorf und die Akademie Braunschweig zuständig.

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Die Arbeit des Ministeriums wurde von 1925 bis 1932 insbesondere von dem parteilosen Kultusminister Carl HeinrichBecker5 und dessen Nachfolger, dem SPD-Politiker, Adolf Grimme,6 bestimmt.7 Bereits in der Amtszeit Beckers zeichnete sich eine wachsende Radikalisierung der Studentenschaft an den deutschen Hochschulen ab. Völkisches und rassenantisemitisches Gedankengut war bei den Studenten weit verbreitet.8 Das Preußische Kultusministerium reagierte auf diese Entwicklung, indem es 1926 den AStA-Vertretungen die staatliche Anerkennung entzog. Diese hatten sich mit österreichischen Studentenschaften solidarisiert, die die Mitgliedschaft jüdischer Kommilitonen in studentischen Gremien und Organisationen ablehnten.9

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Im Zuge der Wirtschaftskrise verschärfte sich auch die Situation an den Hochschulen. Immer häufiger kam es nunmehr zu gewaltsamen Ausschreitungen. Deutschlandweite Beachtung fand ein Zwischenfall an der Universität Königsberg: Mitglieder der "Deutschen Studentenschaft" hatten auf dem Universitätsgelände Kränze mit schwarz-weiß-roten Schleifen zum Gedenken an die Gefallenen der Schlacht bei Langemarck abgelegt, die der Rektor der Universität entfernen liess. Diese Maßnahme zog gewaltsame und tumultartige Proteste der Studenten nach sich, die erst durch einen größeren Polizeieinsatz beendet werden konnten. Der immer mächtiger werdende "Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund" (NSDStB) rief daraufhin auf einer "Führerkonferenz" in Halle zu koordinierten Maßnahmen und Kundgebungen in ganz Preußen auf. Kultusminister Grimme ermahnte demgegenüber die akademischen Behörden zu energischem disziplinarischem Eingreifen. Er erkannte die Herausforderung an den demokratischen Staat, mahnte zur Besonnenheit und unterstrich in einer öffentlichen Ansprache, dass allein die Idee der Toleranz die akademische Freiheit und die freie Forschung gewährleisten könne.10 Anlässlich der Verfassungsfeier am 23. Juli 1931 erinnerte Grimme die republikanischen Studenten daran, dass Studieren ein Vorrecht und eine Verpflichtung sei. Er rief zur Rückkehr zu intellektueller Sauberkeit, zum eigenen Urteil und zur Überwindung des Vorurteils auf und warnte davor, "das fruchtbare Ethos des Hörsaals zum fruchtlosen Pathos der Straße zu machen."11 Er sah voraus, dass es in einem "Dritten Reich" mit dem Wettstreit der Meinungen vorbei sein würde, dass es nur noch eine Meinung und damit politische Intoleranz geben würde.

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Nur ein Jahr später wurde die letzte demokratische preußische Regierung unter Ministerpräsident Otto Braun mit Hilfe von Notverordnungen12 durch die neue Reichsregierung Franz v. Papens abgesetzt und damit der Weg für die Machtübernahme der Nationalsozialisten geebnet. Unter dem Reichskommissariat wurde das Preußische Kultusministerium unter Leitung des deutschnationalen Landtagsabgeordneten und Ordinarius für Volkswirtschaftslehre in Greifswald Wilhelm Kähler13 (29.10.1932- 4.2.1933) im Herbst 1932 umstrukturiert.14 Zusätzlich zu seinen bisherigen Bereichen erhielt es nunmehr vom Preußischen Innenministerium das Fachschul- und Fachhochschulwesen, das Lichtspielwesen, die Aufsicht über die Damenstifte sowie Zuständigkeiten des aufgelösten Preußischen Ministeriums für Volkswohlfahrt auf dem Gebiet der Jugendpflege und Sozialerziehung. Zugleich wurde die Anzahl der Abteilungen von zehn auf vier reduziert. Der neue Geschäftsverteilungsplan trat am 1. Januar 1933 in Kraft und hatte bis Mai 1934 weitgehend Bestand15 :

I. Zentralabteilung: Leitung des Ministeriums, Angelegenheiten besonders vertraulicher Natur, Geschäftsverkehr mit den Parlamenten, Personalien der im Ministerium Beschäftigten; Grenzpolitik
II. Die Abteilung für geistliche Angelegenheiten umfasste Unterabteilungen für katholische und evangelische Kirchenangelegenheiten und (bis März 1934) die Stiftungsfonds.
III. Die Abteilung für Wissenschaft und Kunst war für Hochschulangelegenheiten und Kunst zuständig. Ab Juni 1934 kam eine Unterabteilung Wissenschaft, Forschung und Technik dazu
IV. Die Abteilung Unterricht und Erziehung umfasste die Schulaufsicht, Lehrerfortbildung, Personal- und Besoldungsangelegenheiten der Lehrer, das gewerbliche Schulwesen, die Jugendpflege (bis Juni 1934), das Privatschulwesen etc.

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2. Zentralisierung des Bildungs- und Wissenschaftsbereiches im Zuge der Machtübernahme der Nationalsozialisten

a. Die Entwicklung des Ministeriums nach 1933

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde am 4. Februar 1933 der Studienrat für Deutsch und Latein und Gauleiter von Südhannover Braunschweig, Bernhard Rust, - seit 1925 Parteimitglied und seit 1930 für die NSDAP im Reichstag - vom preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring zum - zunächst kommissarischen - preußischen Kultusminister ernannt.16 Das Preußische Kultusministerium hieß jetzt "Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung".17

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Im Zuge der "Gleichschaltung der Länder"18 wurde die Aufsicht über den Bildungs- und Wissenschaftsbereich sukzessive zentralisiert. Durch Erlass vom 1. Mai 1934 wurde ein alle Bildungsbereiche umfassendes "Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung"19 errichtet, das für das ganze Reichsgebiet zuständig war und das auch die reichsweiten Bildungsaufgaben der "Abteilung für Bildung und Schule" des Reichsministeriums des Innern übernahm.20 Der preußische Kultusminister Rust wurde von Hitler am 11. Mai 1934 zum Reichserziehungsminister (REM) ernannt. Mit Erlass vom selben Tage21 wurde der Aufgabenzuschnitt des neuen Reichsministeriums festgelegt: Auf den Gebieten Wissenschaft, Erziehung und Unterricht, Jugendverbände und Erwachsenenbildung sollte es umfassende Kompetenzen haben und war für die Gesetzgebung federführend. Durch die Schaffung dieser neuen Zentralinstanz sollte dem postulierten Ziel der nationalsozialistischen Bildungspolitik - der Vereinheitlichung des Bildungswesens entsprechend der propagierten Einheit von Staat, Volk und Partei22 - Rechnung getragen werden.

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Rust leitete das Preußische Kultusministerium und das neugeschaffene REM in Personalunion; beide Behörden arbeiteten unter Rust in Realunion. Die formale Trennung zwischen Preußischem Kultusministerium und REM hob Rust durch Erlasse vom 5. November 1934 und 1. Januar 1935 auf. Seit dem 20. Dezember 1934 bis zum 9. August 1938 führte das zusammengelegte Ministerium die Bezeichnung "Reichs- und Preußisches Ministerium für Wissenschaft Erziehung und Volksbildung".23 Während in anderen Bereichen die vorhandenen Reichsressorts und preußischen Ministerien - wie beim Innen-, oder dem Wirtschafts-/Handelsministerium - einfach zusammengelegt wurden, mußte das REM - aufgrund der vormaligen Kultur- und Wissenschaftshoheit der Länder - völlig neu aus dem Preußischen Kultusministerium aufgebaut werden. Dies geschah, indem in jedem Referat ein preußischer Beamter eingesetzt wurde, der im Koreferat mit den entsprechenden Angelegenheiten des Reiches beauftragt wurde.

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Im Sommer 1934 erließ Rust eine Organisationsverfügung, nach der die ministeriellen Aufgaben neu gegliedert wurden: Aus den Abteilungen des Preußischen Kultusministeriums mit ihren Unterabteilungen wurden nunmehr - dem militärischen Sprachgebrauch der NSDAP folgend und "unter Berücksichtigung der dem neuen Reichsministerium zugefallenen Aufgaben, im Interesse ihrer einheitlichen Bearbeitung im Reich und in Preußen" - sechs "Ämter" gebildet24: "Centralamt", "Ministeramt", "Amt für Wissenschaft", "Amt für Erziehung", "Amt für Volksbildung" und "Amt für körperliche Erziehung". Das "Centralamt" besorgte die Wirtschafts-, Verwaltungs- und Personalangelegenheiten des Ministeriums und sollte vom Staatssekretär des Preußischen Kultusministeriums - Wilhelm Stuckart - geleitet werden, der jedoch u.a. aufgrund seiner Remonstrationen gegen die den Grundsätzen der preußischen Verwaltungspraxis zuwiderlaufende Neuorganisation des Ministeriums im September 1934 beurlaubt wurde.25 Das "Ministeramt" wurde von Rusts Adjutanten, Reinhard Sunkel, geleitet und bearbeitete grundsätzliche Reformvorhaben, erstellte die Presseschriften und bearbeitete kirchenpolitische sowie rassen- und erbbiologische Fragen des Erziehungsressorts.26 Das "Amt für Wissenschaft" unter Leitung des Greifswalder Mathematikprofessors Theodor Vahlen27, versah die Verwaltung der Universitäten, Hochschulen und Akademien. Seine Forschungsabteilung beaufsichtigte die wissenschaftliche Forschung und die selbstständigen Institute. Das "Amt Erziehung" unter Leitung von Helmut Bojunga28 kontrollierte die Personalien der Schulabteilungen bei den einzelnen Schulaufsichtsbehörden und übernahm die Oberaufsicht für die einzelnen Schulformen sowie für die sozialpädagogischen Berufe. Im "Amt Volksbildung" lag die Zuständigkeit für die Erwachsenenbildungsinstitutionen und für den gesamten Kultursektor, soweit dieser nicht unter der Kontrolle des Propagandaministeriums stand. Das "Amt für körperliche Erziehung" unter Leitung von Ministerialdirektor von Staa propagierte und organisierte sportliche Institutionen und Veranstaltungen. Die "Geistliche Abteilung" für kirchliche Angelegenheiten unter Leitung von August Jäger29 bestand neben diesen Ämtern selbstständig fort. Den Ämtern des REM auf Reichsebene wurden die Kultus- und Unterrichtsministerien der außerpreußischen Länder überwiegend nachgeordnet.30

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Nach der Umwandlung zum Reichserziehungsministerium und der Übernahme zahlreicher Aufgaben der ehemaligen Kultusministerien der Länder wuchs der Personalkörper des ehemaligen Preußischen Kultusministeriums von 282 Mitarbeitern im Jahr 1933 kontinuierlich auf 672 im Juni 1944, von denen allerdings 147 im Wehrdienst standen.31

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Das REM residierte - wie vormals das Preußische Kultusministerium - in der Straße Unter den Linden 4 - nach der Hausnummernänderung im Zuge der Olympiavorbereitungen 1936 Nr. 69 - und in der Wilhelmstraße 68/69 - einem Gebäude, das bis 1990 vom Volksbildungsministerium der DDR unter Margot Honecker und heute von Abgeordneten des Deutschen Bundestag als Bürogebäude genutzt wird.

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Bei einem schweren Bombenangriff auf das Berliner Regierungsviertel am 23./ 24. November 1943 und im Kampf um Berlin im Frühjahr 1945 wurden die Gebäude des REM und ein Großteil der Aktenbestände - darunter die Personalakten des REM und die Akten der Volksbildungsabteilung bzw. des "Amtes Volksbildung" - weitgehend vernichtet. Die Akten der Wissenschaftsabteilung/des "Amtes Wissenschaft", die in die Gertraudenschule in Berlin-Dahlem ausgelagert waren, überdauerten das Kriegsende und befinden sich seit 1996/97 im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde.32

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b. Zur Bildungspolitik im "Dritten Reich"33

Die vorstehend skizzierte Überlieferungssituation und das Fehlen einer systematischen Gesamtdarstellung des REM und seines Personals im Dritten Reich erschweren eine Bewertung seiner politischen Wirkung im NS-Staat.34 Der Bereich der Bildungs- und Wissenschaftspolitik war - wie andere Politikfelder im Dritten Reich auch - durch die dem Nationalsozialismus in besonderem Maße immanenten Meinungs- und Kompetenzstreitigkeiten zwischen Behörden, Parteigruppierungen geprägt.35 So konkurrierte das REM um das Primat in der Bildungspolitik insbesondere mit dem "Nationalsozialistischen Lehrerbund" (NSLB), dem "Nationalsozialistischen Studentenbund" (NSStB), dem "Hochschulamt der SA", der beim "Stellvertreter des Führers" 1934 gebildeten "Hochschulkommission" und dem 1935 gegründete "Nationalsozialistische Dozentenbund" (NSDozB). Zugleich versuchten jedoch auch einzelne NS-Funktionäre wie der nationalsozialistische "Chefideologe" Alfred Rosenberg36, der bereits am 24. Januar 1934 von Hitler mit der Überwachung der gesamten "geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP" beauftragt worden war oder Organisationen mit "wissenschaftlichem Anspruch" wie Heinrich Himmlers "Ahnenerbe",37 die vom "Reichsrechtsführer" Hans Frank geleitete "Akademie für Deutsches Recht"38 oder Walter Franks "Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschland"39 ihre Einflussmöglichkeiten im Bildungsbereich auszuweiten. Die genannten Organisationen überschnitten sich in Kompetenzen, Auffassungen und Anordnungen, kamen einander in die Quere, bekämpften einander und suchten ihren Status, ihren Einfluss und ihr Prestige zu behalten und zu vermehren. Aktionismus und Machtsicherung gingen einher mit der für das gesamte Verwaltungsgefüge des Dritten Reiches charakteristischen - und von Hitler in darwinistischer Manier genährten - persönlichen Feindseligkeit der Akteure. Jeder von Ihnen war bestrebt, auf seinem Sektor als "Führer" hervorzutreten und "dem Führer entgegen zu arbeiten"40 und erschwerte hierdurch sachgerechtes, koordiniertes Handeln und effizientes Planen.41 So ist es kaum verwunderlich, dass die nationalsozialistische Bildungsspolitik - wie die ihr zugrunde liegende NS-Ideologie - keiner einheitlichen Linie folgte.

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Das vorstehend skizzierte "Ämterchaos" bewahrte den Bildungsbereich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten jedoch nicht vor tief greifenden und zerstörerischen Veränderungen: Die Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 setzten schon in den ersten Monaten der NS-Herrschaft ein deutliches Zeichen für das Kommende. Missliebige Lehrer und Gelehrte wurden systematisch von nationalsozialistischen Dienststellen und Gruppierungen terrorisiert. Wer als "nicht-arisch" oder "national unzuverlässig" galt, wurde schikaniert und schließlich nach dem - hier noch näher darzustellenden Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 193342 - umgesetzt, beurlaubt und entlassen. Dies führte zu einem weit reichenden personellen Umbau in den Bildungsinstitutionen: bis 1939 wurden ungefähr 45 % aller Universitätsstellen neu besetzt.43 Bei denen, die ihre Funktionen behielten, beförderten die NS-Machthaber systematisch Einschüchterung, Opportunismus, Denunziation und Selbstanpassung.

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Die Fakultäten verloren in Berufungsfragen ihre Mitspracherechte: Erstberufungen standen künftig allein im Ermessen des REM, der seine Ernennungsvorschläge wiederum Hitler vorlegen mußte. Der REM entschied außerdem über weitere Berufungen, Emeritierungen sowie über Lehraufträge und sonstige Ernennungen von Wissenschaftlern im Hochschulbereich.44 Für Habilitation und Erteilung der Dozentur erließ der REM am 13. Dezember 1934 einheitliche Richtlinien für das ganze Reich, die ihm das Recht der Erteilung, der Einschränkung und des Entzugs der im ganzen Reich geltenden Lehrerlaubnis einräumten.45 Neue Kompetenzen zur systematischen "Nazifizierung" der Universitäten folgten aus dem im REM ausgearbeiteten "Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlass des Neuaufbaus der deutschen Hochschulwesens" vom 21. Januar 193546, das die Versetzung von Professoren gestattete, wenn es das Reichsinteresse erforderte (§ 3) und die Umwandlung und Abschaffung von Lehrstühlen durch das REM ermöglichte (§ 4).

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Hitlerbegegnete allem "Akademischen" mit persönlichem Misstrauen und Verachtung und nahm nach den rassistisch und politisch motivierten "Säuberungen" der Anfangsjahre nur noch wenig persönlichen Anteil an der Bildungspolitik. Seine Haltung zur Professorenschaft fasste er anlässlich eines Tischgespräches im Jahre 1942 wie folgt zusammen: "Universitätsprofessoren, höhere Beamte, denen ein Wissen blöd eingetrichtert ist, die haben es nicht kapiert. Auf gewissen Gebieten wirkt jede professorale Wissenschaft verheerend: Sie führt vom Instinkt weg. Er wird dem Menschen ausgeredet. Ein Zwerg mit nichts als Wissen fürchtet die Kraft. Statt sich zu sagen, die Basis des Wissens muß ein gesunder Körper sein, lehnt er die Kraft ab. Die Natur passt sich den Lebensgewohnheiten an, und würde die Welt auf einige Jahrhunderte dem deutschen Professor überantwortet, so würden nach einer Million Jahren lauter Kretins bei uns herumwandeln. Riesenköpfe auf einem Nichts von Körper."47Hitlerwaren die Gelehrten suspekt. Er setzte lieber auf brutale Macht und den Instinkt. Am liebsten hätte er den Gelehrtenstand abgeschafft. Dies war jedoch - wie er mit Bedauern feststellte - nicht möglich: "leider, man braucht sie (die Gelehrten) ja; sonst könnte man sie eines Tages ja, ich weiß nicht, ausrotten oder so was"48.

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Das an Wahrheit und dem Streben nach Objektivität orientierte Wissenschafts- und Bildungsideal, das seit den Reformen Wilhelm von Humboldts im frühen 19. Jahrhundert in Deutschland bestimmend gewesen war, wurde von NS-Bildungspolitikern im Namen des "Volkswillens" negiert und bekämpft.49 Reichsinnenminister Wilhelm Frick stellte 1934 kategorisch fest, dass der Nationalsozialismus "keine Inseln der Volksferne und der Volksfremdheit" dulde. Es sei Verrat am Volke gewesen, dass Akademiker einen Stand für sich gebildet hätten und nur ihre Vorrechte und Vorzüge betont hätten, ohne ihre Pflichten im Volke zur Grundlage ihrer Berufsarbeit zu machen.50 Auch Rust bestritt anlässlich der 550-Jahrfeier der Universität Heidelberg in seiner programmatischen Rede "Nationalsozialismus und Wissenschaft" kurzerhand, dass Objektivität ein Wesensmerkmal der Wissenschaft sei: Der Nationalsozialismus habe vielmehr erkannt, "daß Wissenschaft ohne Voraussetzungen und ohne wertmäßige Grundlagen überhaupt nicht möglich ist." Die "völlige Standpunkt- und Richtungslosigkeit des Forschers" war hiermit unvereinbar. An die Stelle wirklichkeitsfremder Abstraktion sollte die "Volksgebundenheit der Wissenschaft", die in der "Gemeinschaft des Blutes" wurzele, treten; an die Stelle der Objektivität sollten die durch "Blut und Geschichte gebundenen Menschen" zum Subjekt des Erkennens gemacht werden.51

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Auf solche Verlautbarungen ihres Bildungsministers reagierten Lehrer und Professoren - soweit sie im Amt und in Deutschland blieben - meist mit unterschiedlichen Graden der Selbstanpassung. Selbst unter den als weniger "systemanfällig" erscheinenden Naturwissenschaftlern gab es glühende Bekenntnisse zu den neuen NS-Idealen: Die international renommierten Physiker und Nobelpreisträger Philipp Lenard und Johannes Stark proklamierten - in Abgrenzung zu Albert Einsteins Relativitätstheorie - eine "Deutsche Physik."52 Vielfach wurden solche Proklamationen von Opportunismus getragen, und nicht selten wurden die neuen Machtverhältnisse genutzt, um "alte Rechnungen" unter wissenschaftlichen Gegnern zu begleichen und hierdurch das eigene berufliche und akademische Fortkommen zu sichern. Dies wurde besonders augenfällig angesichts der zahlreichen Denunziationen "nichtarischer" Kollegen oder solcher, die dem "politischen Katholizismus" zugerechnet wurden.

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In der Anfangszeit seiner Herrschaft trafen die neuen Machthaber auch im Bildungsbereich eine Reihe von Maßnahmen gegen "nichtarische" Professoren, Lehrer, Studenten und Schüler. Hierzu gehörten die im Folgenden näher beschriebenen Entlassungen "nichtarischer" Professoren und Lehrer aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 und die Maßnahmen aufgrund des "Gesetz(es) gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen" vom 25. April 1933523, welches der Durchsetzung der bildungs-, frauen- und judenfeindlichen Ziele der NS-Machthaber dienen und die politisch-pädagogische Breitenwirkung der Universitäten beschränken sollte, indem die Anzahl der Studenten insgesamt und die der Frauen auf 1,0 % sowie die der "nicht-arischen" Studenten auf 1,5 % gesenkt wurde. Tatsächlich erreichten die neuen Machthaber, dass sich von 1933 bis 1939 die Anzahl der Studenten von ca. 99.800 auf 58.300 fast halbierte.54

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Wie in anderen Politikbereichen spielte auch in der NS-Bildungs- und Wissenschaftspolitik die Rassenideologie eine zentrale Rolle55. Insbesondere in den Fächern Biologie, Geschichte und Geographie wurde die Rassenidee beherrschend. Rust billigte ihr 1937 in einer Ansprache in Berlin sogar ein erhebliches wissenschaftliches Innnovations- und Erkenntnispotential zu: "Von der Entdeckung der Rasse schließlich erhält auch die Wissenschaft ihren entscheidenden revolutionären Anstoß".56 Im ganzen Reich entstanden neue universitäre und außeruniversitäre Forschungs- und Lehreinrichtungen, die sich mit "Rassefragen" befassten. An den Universitäten wurden Lehrstühle für Rassenkunde, Rassenhygiene und Erblehre geschaffen.

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3. Reichserziehungsminister Bernhard Rust und seine Mitarbeiter

Wer waren die zentralen Akteure im REM, die unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit der Umstrukturierung, d.h. vor allem der "personellen Neuordnung" des Bildungsbereiches begannen? Welche Überzeugungen teilten diese Männer? Welchen Hintergrund hatten sie? Was verband sie und was trennte sie? Aus welchen Motiven handelten sie, als sie in den Jahren 1933/34 durch die Massenentlassung von tausenden von Dozenten und Lehrern die seinerzeit Weltruhm genießende deutsche Bildungs-, insbesondere die Hochschul- und Wissenschaftslandschaft zerstörten?

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a. Bernhard Rust

Bernhard Rust(30.9.1883-8.5.1945)57 wurde als Sohn eines Zimmermeisters in Hannover geboren und studierte von 1902-1908 in Berlin, München, Göttingen und Halle Philosophie, Germanistik und alte Sprachen. 1908 legte er in Halle das Staatsexamen zum Eintritt in die Schullaufbahn ab. Nach dem Examen diente er als Einjährig-Freiwilliger und wurde 1909/10 - bis zu seiner Entlassung 192758 - als Studienrat und Oberlehrer am Ratsgymnasium in Hannover tätig. Im Ersten Weltkrieg zog er sich 1915 an der Front eine schwere Kopfverletzung zu, die ihn auch später beeinträchtigte. Für seine Verdienste - zuletzt als Oberleutnant der Reserve - wurde er mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse und mit dem Ritterkreuz des Hohenzollernordens ausgezeichnet. Nach dem Krieg wurde er Führer und Mitbegründer der Einwohnerwehr in Hannover und betätigte sich seit 1922 in unterschiedlichen völkischen Gruppen. Von 1924 bis 1933 war er Bürgervorsteher in Hannover. Am 27. Februar 1925 trat er in die NSDAP ein und avancierte binnen Kürze zum Gauleiter von Hannover-Nord - 1928 umbenannt und erweitert zum Gau Südhannover-Braunschweig.59 Zudem wurde er 1928 Leiter der "Nationalsozialistischen Gesellschaft für Deutsche Kultur." Im September 1930 zog er als Abgeordneter der NSDAP in den Reichstag ein und übernahm im Frühjahr 1933 zunächst kommissarisch das preußische Kultusministerium. Am 11. Mai 1934 ernannte ihn Hitler zum REM. Rust hatte dieses Amt - trotz der oben angedeuteten Kompetenzstreitigkeiten mit unterschiedlichsten Parteistellen und Paladinen - bis zum 8. Mai 1945 inne. Am Tag der Kapitulation nahm er sich in Berne bei Oldenburg das Leben.

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Unter den Getreuen Hitlers galt Rust, wie es der Hitler-Biograph Alan Bullock ausdrückte, als "eine kleinere Figur, zufrieden, wenn er vom Führer ein anerkennendes Kopfnicken erntete, und völlig ferngehalten der Teilnahme an und sogar der Kenntnis von wichtigen politischen Entscheidungen."60 In seinen "Tischgesprächen" erwähnte Hitler ihn kaum.61 Wenn es ihm trotzdem gelang, bis April 1945 im Amt zu bleiben, so scheint dies seiner unbedingten Gefolgschaft gegenüber Hitler geschuldet. Seine Reden in der Öffentlichkeit wiederholten Hitlers Polemik gegen den "Intellektualismus" und dessen Vorstellungen von "Auslese" und vom "Vorrang der körperlichen und charakterlichen Erziehung vor der intellektuellen Bildung". Als glühender Rassist förderte Rust die Gründung rassekundlicher Einrichtungen an den Universitäten und führte im Frühjahr 1935 im Schulunterricht die Vererbungslehre und Rassenkunde mit der Parole ein: "Jede Vermischung mit wesensfremden Rassen (leiblich oder geistig-seelisch) bedeutet für jedes Volk Verrat an der eigenen Aufgabe und damit am Ende Untergang."62

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Zeitgenossen - insbesondere seinem ersten Staatssekretär, Dr. Wilhelm Stuckart, - galt Rust als ein willensschwacher Minister und radikaler Nationalsozialist.63 Er wurde als hektisch, unstet und unfähig beschrieben. Seine rege Erlasstätigkeit führte dazu, dass in seinem Ministerium ein Flüsterwitz kursierte: "1 Rust = kürzeste Zeit zwischen Erlass und Aufhebung einer Verfügung."64Rust hielt sich offenbar nur selten in seinem Ministerium auf und hatte wenig Kontakt zu seinen Mitarbeitern.65 So ist es kaum verwunderlich, dass Joseph Goebbels am 27. Januar 1937 in seinem Tagebuch notierte: "Sein Ministerium ist ein wahrer Sauhaufen."66

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Insbesondere in den Anfangsjahren der NS-Herrschaft gab es im Kultusministerium erhebliche Spannungen zwischen den "überkommenen" Berufsbeamten aus der Weimarer Republik und Rusts Günstlingen aus der Partei.67 Der relativ homogene Personalkörper des Ministeriums veränderte sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten rasch. Den fachlich geschulten Laufbahnbeamten aus der Weimarer Republik wurden junge Referats- und Abteilungsleiter, die das Vertrauen der neuen Machthaber genossen, "vorgesetzt". Sie sollten die Verwaltung im nationalsozialistischen Sinne umgestalten und ergriffen die sich unverhofft bietenden Karrierechancen. Diese Männer verfügten meist über keinerlei Verwaltungserfahrung und zeichneten sich vor allem durch ihre Radikalität und ihren Ehrgeiz aus. Viele von Ihnen waren wie der damals erst 31.jährige Staatssekretär des Kultusministeriums, Wilhelm Stuckart, der 33.jährige Leiter des "Ministeramtes", Reinhard Sunkel, der ebenfalls erst 33.jährige zeitweilige Leiter der Universitätsabteilung, Joachim Haupt, oder der 35.jährige Personalreferent der Universitätsabteilung Johann Daniel Achelis um 1900 geboren worden und gehörten der sog. "Kriegsjugendgeneration"68, die ihre Jugendzeit in den schwierigen Anfangsjahren der Weimarer Republik nach der Niederlage im ersten Weltkrieg erlebt hatten.69 Diese Männer erhielten Verstärkung durch "Fachleute" aus dem Hochschulbereich, wie den Vorgänger Haupts, Georg Gerullis, Professor für baltische Sprachen und späterer Rektor der Universität Königsberg, und den bereits erwähnten, erhebliche älteren Leiter des "Amtes Wissenschaft", den Greifswalder Mathematikprofessor Karl Theodor Vahlen.

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b. Der Staatssekretär im preußischen Wissenschaftsministerium Dr. Wilhelm Stuckart

Dr. Wilhelm Stuckart in seinem Dienstzimmer in den 30er Jahren
Foto: Haus der Wannsee-Konferenz

Die interne Leitung des Preußischen Kultusministeriums und die Vertretung Rusts oblag von Juni 1933 bis September 1934 Staatssekretär Dr. Wilhelm Stuckart (16.11.1902 -15.11.1953).70Stuckart studierte von 1922-1926 in München und Frankfurt Rechtswissenschaften und promovierte 1928 mit einer Arbeit zum Handelsrecht. Bereits während seiner Referendarzeit engagierte er sich als Rechtsberater bei der Wiesbadener NSDAP. Nach der großen Staatsprüfung, die er - wie sein erstes Examen - mit der Note "gut" bestand, war er für kurze Zeit als Richter in Wiesbaden tätig. Aufgrund seiner Nähe zur NSDAP - er war im Dezember 1930 unter dem Namen seiner Mutter in die Partei eingetreten - schied er jedoch nach kurzer Zeit aus dem Dienst71 und ging nach Stettin, wo er zunächst als Pflichtverteidiger tätig war und schließlich in Zusammenarbeit mit dem Stettiner Gauleiter Wilhelm Karpenstein den "Rechtsschutz" für die SA aufbaute. Im Frühjahr 1933 wurde Stuckart zum kommissarischen Oberbürgermeister von Stettin ernannt. Durch Vermittlung von Görings Staatssekretär im Preußischen Innenministerium, Ludwig Grauert, wurde Stuckart im Mai 1933 als Nachfolger des von Göring am 3. Mai 1933 in den Ruhestand versetzten Leiters der Schulabteilung und ehemaligen engen Vertrauten Beckers, Erich Wende,72 ins Preußische Kultusministerium berufen und zum Leiter der Abteilung für Unterricht und Erziehung im Range eines "kommissarischen" Ministerialdirektors ernannt.73 Darüber hinaus wurde er kurze Zeit später zum stellvertretenden Bevollmächtigten Preußens für den Reichsrat ernannt.74 Am 30. Juni 1933 folgte seine Ernennung zum Staatssekretär im Preußischen Kultusministerium und am 15. September 1933 zum Mitglied des preußischen Staatsrates.75

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Nach der Errichtung des REM am 11. Mai 1934 wurde Stuckart am 7. Juli 1934 noch von Reichspräsident Hindenburg zum "Reichsstaatssekretär" im REM ernannt76 und nach dessen Tod am 27. August 1934 wie alle Beamte des Ministeriums auf Hitler vereidigt.77

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Nach § 3 Abs. 2 des ersten Teils der Gemeinsamen Geschäftsordnung für alle Reichsministerien (GGO-I)78, war der Staatssekretär der ständige Vertreter des Ministers. Nach § 4 Abs. 1 GGO-I leitete er den Geschäftsbetrieb des Ministeriums. Ihm waren nach § 45 Abs. 4, § 48 GGO-I alle für den Minister bestimmte Schreiben zur Zeichnung vorzulegen. In der Regel waren die Staatssekretäre ermächtigt, die meisten Schreiben in Vertretung ("i.V.") für ihre Minister abschließend zu zeichnen, § 48 GGO I. Formal befand sich Stuckart als Staatssekretär mithin in einer wichtigen Schlüsselstellung und konnte Entscheidungen im REM maßgeblich mitbestimmen.79 Bei vielen Vorgängen, mit denen der Minister nicht befasst werden konnte oder sollte, oblag ihm als Staatssekretär die Letztentscheidungskompetenz.Stuckart fasste dies 1934 wie folgt zusammen: "Aus der Überlastung des Ministers mit nicht zum Geschäftsbetriebe gehörigen Aufgaben folgt, dass der Staatssekretär außer seinen eigentlichen Staatssekretärsgeschäften einen hohen Prozentsatz Ministergeschäfte nicht selten bis zu 90 % erledigen muß, weil aus dem oder jenem Grunde eine Entscheidung getroffen werden muß, wenn die Sache nicht selbst Schaden leiden soll."80

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Stuckart ist es in der Praxis jedoch nicht gelungen, seine Machtstellung als Staatssekretär zu festigen. Bereits im Spätsommer/Herbst 1934 begann sein Stern wieder zu sinken: Nachdem er gegen die oben dargestellte Neugliederung des Ministeriums in "Ämter", die mit einem erheblichen Machtverlust für ihn als Staatssekretär und der Schaffung eines überdimensionierten "Ministeramtes" als Leitungsinstanz einherging, remonstriert hatte, versetzte ihn Rust am 15. September 1934 wegen "Ungehorsams" in den Ruhestand.

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Die Staatssekretärsstelle im REM blieb nach Stuckarts Weggang bis März 1936 vakant. Theodor Vahlen und später Siegmund Kunisch81 führten die Geschäfte vertretungshalber. Im November 1935 schlug Rust der Reichsregierung die Ernennung von Prof. Dr. Albert Holfelder82 vor, nahm jedoch den Antrag - offenbar aufgrund von Bedenken Hitlers83 - bereits im März 1936 zurück und schlug nunmehr den Wiesbadener Regierungspräsidenten Werner Zschintzsch84 als Staatssekretär vor, der von März 1936 bis April 1945 dieses Amt innehatte. Stuckart wurde in gewisser Weise späte Genugtuung zuteil, als er im Mai 1945 als Mitglied der provisorischen Regierung von Admiral Dönitz schließlich selbst das Amt des kommissarischen Reichserziehungsministers zusätzlich zum Innenressort übernahm.85

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Sein Verhältnis zu Rust beschrieb Stuckart 1948 in Nürnberg wie folgt: "Zwischen dem Minister Rust und mir entwickelten sich rasch scharfe Gegensätze. Rust war ein Nationalsozialist der radikalen Prägung."86Er selbst - hingegen - habe schon damals eine "gemäßigte Richtung" vertreten, was in einer Reihe von grundsätzlichen Fragen zu Gegensätzen geführt habe.Um dies zu untermauern, bot Stuckartehemalige Mitarbeiter des Ministeriums als Zeugen auf: Der Ministerialrat Dr. Georg Hubrich87 - seit 1922 im Preußischen Kultusministerium tätig - stützte Stuckarts Aussage - 88 zwar sei Stuckart von den alten Laufbahnbeamten als Exponent der NSDAP zunächst mit Skepsis beäugt worden, die "alten Beamten" hätten jedoch sehr bald erkannt, dass Stuckart "rechtsstaatlich gesonnen und somit ein Verbündeter" sei. Bald hätten sie sich mit Stuckart in ihren Bestrebungen einig gesehenund seien wie "ein Herz und eine Seele" geworden.89

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Ein anderer Mitarbeiter, Erwin Gentz, charakterisierte Stuckart folgendermaßen90:

"Herr Dr. Stuckart war kein bequemer Vorgesetzter. Selbst von unermüdlicher Arbeitskraft ohne Rücksicht auf Familie, Feiertage und Nachtstunden, verlangte er auch von seinen Mitarbeitern, dass sie sich mit ihrer ganzen Person in den Dienst des Staates stellten und jederzeit zur Verfügung standen. Wegen seiner streng-rechtlichen und menschlich sauberen Haltung hatte sich Herr Dr. Stuckart sehr bald die Gefolgschaft der Juristen im Ministerium gesichert, die wussten, dass ihre rechtlichen Bedenken gegen gewünschte Maßnahmen bei ihm Gehör fanden. Es war überhaupt das Bestreben von Herrn Dr. Stuckart, mehr Juristen in das Ministerium hineinzuziehen. Er wollte damit das allzu starke Übergewicht der Fachkräfte aus dem Schul- und Hochschuldienst ausgleichen, die Entscheidungen des Ministeriums in gesetzlich geregelten Bahnen sichern und den Charakter des Ministeriums nicht nur als eines Führungsorganes, sondern auch als oberste Verwaltungsbehörde wieder stärker herausarbeiten. Aus seiner rechtlichen Grundeinstellung heraus nahm Herr Dr. Stuckart stets gegen radikale Kräfte des Preußischen Kultusministeriums Stellung und vertrat mit großer Geschicklichkeit einen mäßigenden Kurs, so insbesondere auch bei der Durchführung des Berufsbeamtengesetzes. Dieses unbestechliche Beharren auf dem Standpunkt des Rechtes führte dazu, dass die politischen Gegenspieler von Herrn Dr. Stuckart, in erster Linie der damalige Ministerialdirektor Sunkel, in der Mitte des Jahres 1934 in außerordentlich gehässiger Weise Herrn Dr. Stuckart stürzten. Bei dieser Gelegenheit wurde auch versucht, gegen eine Reihe von Juristen des Ministeriums ein Dienststrafverfahren einzuleiten."

Er selber und andere Kollegen seien damals von einer von Sunkel eingesetzten Kommission stundenlang vernommen worden.

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Demgegenüber offenbaren Stuckarts Publikationen, dass er die rasseantisemitischen Vorstellungen seines Ministers insbesondere hinsichtlich der "Ausschaltung der Fremdrassigen" im Bildungsbereich in vollem Umfang teilte und billigte. Bereits 1934 veröffentlichte er beim Diesterweg-Verlag in Frankfurt/Main eine 48-seitige pädagogische Handreichung, "Geschichte im Geschichtsunterricht", die auf Vorträgen basierte, die Stuckart im Rahmen von Lehrerfortbildungsveranstaltungen gehalten hatte:Dem "jungen deutschen Menschen" müsse im neuen Geschichtsunterricht "die unlösbare auf Rassezugehörigkeit, Heimat und Kultur beruhende Gemeinsamkeit und tiefverwurzelte Volkstumsgebundenheit zum Erlebnis werden." Ihm sei daher zu zeigen, "dass sich mit verschiedener rassischer körperlicher Art auch verschiedenes rassisch gebundenes Wesen paart, so daß in verschiedenen Rassegestalten auch verschiedene Rasseseelen wohnen."91 Der "jüdische Einfluss" habe jedes "deutschgemäße Denken und Handeln zu verhindern getrachtet." "Der artfremde jüdische Einfluss" wachse "Jahr für Jahr, so dass schon vor dem Großen Kriege das Judentum sich zu der ungeheuerlichen Anmaßung verstieg: 'Wir Juden verwalten den geistigen Besitz der Deutschen.' Und während die besten Träger deutschen Geistes und deutscher Art im gewaltigsten aller Kriege an den Fronten zur Verteidigung der Heimat bluten, halten das Judentum und seine Trabanten in der Novemberrevolution die Gelegenheit für gekommen, endgültig deutsche Art und deutschen Geist aus dem deutschen Volke ausrotten, um nun auch ohne Tarnung die äußere Macht und politische Gewalt in Deutschland übernehmen zu können."92Mit diesen wenig originellen, sondern eher prototypischen Aussagen bekannte sich auch Stuckart zu den bestimmenden rasseantisemitischen Vorstellungen der Nationalsozialisten. Diese Vorstellungen bildeten den Kern der nationalsozialistischen "Weltanschauung". Sie prägten das Denken und Handeln Stuckarts und seiner Kollegen und schlugen sich in der Verwaltungspraxis des Preußischen Kultusministeriums nieder, als damit begonnen wurde, Menschen aufgrund ihrer "Rassezugehörigkeit" aus dem Bildungsbereich zu verdrängen und insbesondere das Hochschulwesen personell neu zu ordnen.

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c. Die "Fachkräfte" des Ministeriums

Zu den wichtigsten Akteuren im Rahmen der "Personellen Neuordnung" des Hochschulbereiches gehörten neben Stuckart Rusts Adjutant, Reinhard Sunkel, vor allem aber auch die häufig wechselnden Leiter der Universitätsabteilung des Ministeriums - des späteren "Amtes Wissenschaft" - Georg Gerullis, Joachim Haupt, Theodor Vahlen und der damalige Personalreferent dieser Abteilung, Johann Daniel Achelis.

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aa. Reinhard Sunkel (*9. 2. 1900, †8.5.1945)

Einer der engsten Vertrauten Rusts, der im Ministerium bis 1936 als Adjutant und später als Leiter des "Ministeramts" über großen Einfluss verfügte, war Reinhard Sunkel.93 Wie der nur zwei Jahre jüngere Stuckart hatte auch Sunkel nicht mehr im ersten Weltkrieg gedient. Er betätigte sich jedoch schon als Oberschüler als Freikorpskämpfer im "Landesjägerkorps Maerker" und war 1919 an den Kämpfen gegen die Spartakisten in Berlin, Weimar, Erfurt und Halle beteiligt. Wie Stuckart studierte auch Sunkel 1922 Rechtswissenschaft und trat frühzeitig in die NSDAP ein. Nach eigenem Bekunden war auch er an den "Vorgängen in München im November 1923" - Hitlers Putschversuch und Marsch auf die Feldherrenhalle beteiligt. 1930 avancierte Sunkel zum zum Reichsorganisationsleiter des NSDStB. Ein Jahr später wurde er jedoch wieder ausgeschlossen und wurde Ortsgruppen- und Kreisleiter der NSDAP in Kiel und 1932 Mitglied des preußischen Landtages. 1933 kam er als "Kommissar z.b.V." ins Preußische Kultusministerium, wo er - obgleich er kaum über Verwaltungserfahrung verfügte - bereits im Mai 1933 zum Ministerialrat ernannt wurde. Als Rusts persönlicher Adjutant und Leiter des Ministerbüros wurde er im Sommer 1934 zum Ministerialdirektor (Abteilungsleiter) befördert und blieb bis 2. April 1936 Chef des Ministeramtes. 1936 endete Sunkels Karriere, da er eine jüdische Urgroßmutter hatte und nach den Nürnberger Rassegesetzen selbst als "Mischling 2. Grades" galt. Auch Rusts Bemühungen, Sunkel zum Kurator der Berliner Universität zu machen oder ihn an anderer Stelle im öffentlichen Dienst wieder zu verwenden, scheiterten an Hitlers Widerspruch. 1939 meldete sich Sunkel freiwillig zur Wehrmacht und nahm sich 1945 das Leben.

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bb. Die Leiter der Universitätsabteilung des Preußischen Kultusministeriums bzw./des "Amtes Wissenschaft" des REM in den Jahren 1933/34

Zu den "Fachkräften aus dem Schul- und Hochschuldienst", zu denen Stuckarts Juristen nach der oben zitierten Aussage seines Mitarbeiters, Erwin Gentz, ein "Gegengewicht" schaffen wollten, zählten vor allem die jeweiligen Leiter der Universitätsabteilung des Preußischen Kultusministeriums, des späteren "Amtes Wissenschaft" des REM, die überwiegend selbst aus dem Hochschulbereich stammten und die Tätigkeit im Ministerium vielfach auch als Möglichkeit betrachteten, um ihr akademisches Fortkommen zu sichern.94

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(1) Georg Gerullis (*13.8.1888-?)

Von April bis November 1933 wurde die Universitätsabteilung des Preußischen Kultusministeriums von Georg Gerullis95 geleitet. Gerullis stammte aus einer Bauernfamilie aus Jogauden in Ostpreußen. Er studierte von 1909-1912 Indogermanistik und klassische Philologie in Königsberg und Berlin und promovierte 1912. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat und wurde 1915 zum Leutnant befördert. Nach dem Krieg habilitierte er sich in Königsberg und erhielt 1921 eine Anstellung als Studienrat. 1922 wurde er planmäßiger Extraordinarius für baltische Philologie an der Universität Leipzig. Wie Stuckart trat er 1930/31 der NSDAP und 1932/33 der SA bei. Im November 1932 rief er öffentlich zur Wahl Hitlers auf und betätigte sich als Vorsitzender eines "Nationalen Ausschusses für die Erneuerung der Universität Leipzig". Mit Unterstützung der "Deutschen Studentenschaft" der Universität Leipzig wurde er am 1. April 1933 für kurze Zeit kommissarischer Personalreferent im sächsischen Volksbildungsministerium. Die Ernennung zum sächsische Volksbildungsminister am 6. April 1933 schlug er aus und wechselte am 12. April ins Preußische Kultusministerium nach Berlin, wo er als Ministerialdirektor die Leitung der Universitätsabteilung übernahm. Bereits im November wurde er jedoch in den einstweiligen Ruhestand versetzt und erhielt auf Anordnung Stuckarts im Sommer 1934 ein Ordinariat an der Universität Königsberg. 1935 wurde er - gegen das Votum des Lehrkörpers - Rektor der Königsberger Universität. 1937 gab er das Rektorat nach Konflikten mit Gauleiter Erich Koch, der sich bei der Ernennung von Gerullis übergangen fühlte, auf und übernahm einen Lehrstuhl an der Berliner Universität. Während des Zweiten Weltkrieges diente er bei der Wehrmacht, wurde im Mai 1945 von den Sowjets verhaftet und wahrscheinlich im Juli 1945 erschossen. Das Amtsgericht Berlin Schöneberg erklärte ihn 1953 für tot.

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(2) Joachim Haupt (*7.4.1900 , † 13.5.1989)

Nach Gerullis Versetzung in den Ruhestand wurde Joachim Haupt96 "einstweilen", bis April 1934, vertretungsweise mit der Leitung der Universitätsabteilung des Ministeriums betraut. Haupt stammte aus einer Beamtenfamilie in Frankfurt/Oder und absolvierte von 1915-1920 eine Ausbildung an der preußischen Kadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde. 1919 schloss er sich wie Reinhard Sunkel dem "Landesjägerkorps Märker" an und wurde Fähnrich im "Freikorps Dohna". Er studierte Philosophie- und Geschichte in Frankfurt/Main, Greifswald und Kiel und trat bereits 1922 der NSDAP bei. Wie der gleichaltrige Sunkel betätigte sich auch Haupt im NSDStB und wurde 1926 bis 1928 dessen "Hochschulgruppenführer" in Kiel sowie 1927/28 Vorsitzender der Kieler Studentenschaft und Kreisleiter Nord der "Deutschen Studentenschaft". Von 1928 bis 1931 arbeitete Haupt als Lehrer und Erzieher in Kiel, Plön und Ratzeburg und promovierte 1929 in Leipzig. Aufgrund seiner Betätigung für die Nazis wurde Haupt - wie Stuckart - aus dem Staatsdienst ausgeschlossen. Er schlug sich als Schriftleiter der "Niedersächsischen Tageszeitung" in Hannover durch und wurde - wie Sunkel 1932 - Abgeordneter der NSDAP im Preußischen Landtag, 1933 SA-Sturmbannführer und 1933 - zunächst kommissarisch - Ministerialrat im Preußischen Kultusministerium. Dort avancierte er 1934/35 u.a. zum Inspekteur der Landesverwaltung der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (Napolas) in Preußen und betätigte sich bis 1935 gleichzeitig als Leiter der "Reichsfachschaft I (Hochschullehrer)" des NSLB. Auch Haupts Karriere fand 1935 ein jähes Ende, als er wegen des Vorwurfs der Homosexualität entlassen und in der Folge auch aus der NSDAP und der SA ausgeschlossen wurde. Er lebte danach als freier Schriftsteller und Landwirt in Mecklenburg und diente während des Zweiten Weltkrieges in der Wehrmacht. Nach Kriegsende wurde Haupt bis 1947 interniert und war anschließend als Lehrer in Hannover, Hamburg und Kiel tätig.

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(3) Karl Theodor Vahlen(*30.6.1869 , 16.11.1945)

Der erste Leiter des im Sommer 1934 geschaffenen "Amtes Wissenschaft" des REM wurde Karl Theodor Vahlen.97 Wie seine Kollegen Gerullis und Achelis kam auch Vahlen direkt aus dem Hochschulbereich. Er war älter als seine Kollegen und hatte sich wie sie bereits sehr früh der NSDAP angeschlossen.

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Vahlenwurde in Wien als Sohn eines Hochschullehrers geboren und studierte von 1889-1893 in Berlin Mathematik. Nach der Promotion in Berlin habilitierte er sich 1897 in Königsberg und wurde nach der Hochzeit mit der Tochter des Universitätskurators im Jahr 190498 Extraordinarius und 1911 Ordinarius an der Universität Greifswald. Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er zuletzt als Major der Reserve teilnahm, war er (Gründungs-) Mitglied der pommerschen DNVP und wechselte 1923 zur NSDAP. Von 1923 bis 1924 war er kurzzeitig Rektor der Universität Greifswald und wurde nach einem Besuch bei Hitler in der Festung Landsberg im April 1924 bis 1927 zum NSDAP-Gauleiter von Pommern ernannt. Er gab dort die erste NS-Zeitung Norddeutschlands, den "Norddeutschen Beobachter" heraus und wurde 1927 wegen republikfeindlicher Betätigung aus dem Staatsdienst entlassen aber weiter von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Erst 1930 erlangte er in Österreich an der Technische Hochschule Wien und seit 1933/34 auch wieder an der Universität Greifswald eine ordentliche Professur. Von 1933 bis 1936 war Vahlen Mitglied der SA; 1936 trat er zur SS über, in der er 1943 den Rang eines SS-Brigadeführers bekleidete. Von 1933-1945 war er Senator und dritter Vizepräsident der Kaiser Wilhelm Gesellschaft. Von 1934 bis zu seiner Emeritierung 1937 war er ordentlicher Professor an der Berliner Universität. 1937 wurde Vahlen Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, deren kommissarischer Präsident er von 1939 bis 1943 war.

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Im Preußischen Kultusministerium war Vahlen seit März 1933 parallel zu seinen Lehrverpflichtungen tätig. Am 26. April 1934 wurde er Leiter der Universitätsabteilung und erhielt im Juni 1934 die planmäßige Stelle eines Ministerialdirektors. Wenig später wurde er bis 1937 Chef des neu geschaffenen "Amtes Wissenschaft"des REM. Er starb in Gefangenschaft in Prag, wo er bei Kriegsende als Lehrbeauftragter an der Deutschen Universität tätig gewesen war.

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cc. Der Personalreferent der Universitätsabteilung, Johann Daniel Achelis(*7.6.1898 , † 21.9.1963)

Der Wissenschaftshistoriker Helmut Heiber nennt als "Architekt der Säuberung der Hochschulen"99 den zeitweiligen Personalreferent der Universitätsabteilung des Preußischen Kultusministeriums: Johann Daniel Achelis. J.D. Achelis war der Sohn des berühmten Leipziger Kirchenhistorikers und Theologen Hans Achelis (1865-1937), der als Rektor der Universität Leipzig von Oktober 1932 bis Oktober 1933 die Umgestaltung der Universität im nationalsozialistischen Sinne vorantrieb. Auch Johann Daniel Achelis war von 1926-1933 als Privatdozent für Physiologie in Leipzig tätig und galt dort als Mentor der nationalsozialistischen Studenten. Er arbeitete zeitweilig als Mitarbeiter von Henry Ernest Sigerist (1891-1957) am Leipziger Institut für Geschichte der Medizin und wurde 1931 in Leipzig zum Extraordinarius ernannt. Achelis trat - im Vergleich zu seinen Kollegen im Kultusministerium - verhältnismäßig spät am 1. Mai 1933 in die NSDAP ein. Seit dem Frühjahr 1933 als Referent im Preußischen Kultusministerium tätig, stieg er rasch zum Ministerialrat auf. Er blieb jedoch nur bis zum Jahr 1934 im Kultusministerum und wurde dann Ordinarius für Physiologie in Heidelberg. Dort avancierte er 1936 zum Führer der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und erhielt 1937 einen Lehrauftrag für Medizingeschichte. Auf sein Betreiben hin unterstützte die Akademie den Aufbau einer medizinhistorischen Fachbibliothek, die noch heute den Kern der Institutsbibliothek für Medizingeschichte in Heidelberg bildet. 1941 scheiterte Achelis mit dem Versuch, ein eigenständiges Institut für Geschichte der Medizin zu errichten. Stattdessen stellte er nunmehr für die Luftwaffe "Untersuchungen zur Reizphysiologie der Wärmeregulation" an.100 Von 1942 bis 1945 fungierte Achelis als Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg. 1944 saß er im wissenschaftlichen Beirat des Bevollmächtigten für das Gesundheitswesen, Karl Brandt. Nach dem Krieg von den Amerikanern entlassen, gelangte er 1950 wieder in eine führende Position innerhalb der Firma "Boehringer" in Mannheim. Er starb 1963.101

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III. Die preußische Wissenschaftsverwaltung und die "Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" an der Berliner Universität

1. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums

Im Anschluss an die "wilden Entlassungen" und oft auch gewaltsamen Vertreibungen in den Wochen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, denen neben den "kündbaren" politischen Beamten auch Laufbahnbeamte zum Opfer fielen,102 wurde am 7. April 1933 das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" (GzWBB) erlassen.103 Vorbild für dieses Gesetz war ein ähnliches Gesetz aus dem faschistischen Italien vom 24. Dezember 1925.104 Hauptziel des GzWBB war die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die vereinfachte Entlassung von politisch- oder "rassisch"- mißliebigen Beamten aus dem öffentlichen Dienst und damit vielfach auch die nachträgliche Legitimierung "wilder" disziplinarischer Maßnahmen der ersten Wochen der NS-Herrschaft. Hierdurch sollte ein Elitenwechsel und eine Neubesetzung von Stellen mit Nationalsozialisten forciert werden.

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§ 1 Abs. 1 GzWBB bestimmte, dass "zur Wiederherstellung des nationalen Berufsbeamtentums und zur Vereinfachung der Verwaltung" Beamte nach den nachfolgenden Bestimmungen entlassen werden können, auch wenn die "nach dem geltenden Recht hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen." § 2 Abs. 1 zielte auf die Entlassung sog. "Parteibuchbeamter", die seit dem 9. November 1918 "in das Beamtenverhältnis eingetreten sind, ohne die für ihre Laufbahn vorgeschriebene übliche Vorbildung oder sonstige Eignung zu besitzen".

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Das GzWBB war zudem das erste Reichsgesetz, das einen sog. "Arierparagraphen" enthielt: nach § 3 Abs. 1 GzWBB waren "Beamte, die nichtarischer Abstammung sind", "in den Ruhestand (§§ 8 ff.) zu versetzen." Hierdurch sollten die "Sicherung der arischen Zusammensetzung der Beamtenschaft" und eine "Durchsetzung des Beamtentums mit dem Gedankentum des Parteiprogramms erreicht werden."105 § 3 Abs. 2 GzWBB sah eine Ausnahme für diejenigen vor, die "bereits seit dem 1. August 1914 Beamte gewesen sind oder die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben oder deren Väter oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind."106

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Schließlich sah § 3 Abs. 2 GzWBB die Möglichkeit zu einer flexiblen Handhabung des GzWBB vor: "weitere Ausnahmen" konnten vom RMdI "im Einvernehmen mit dem zuständigen Fachminister" zugelassen werden. § 4 GzWBB - im Gegensatz zu § 3 Abs. 1 GzWBB eine Ermessensvorschrift - ermöglichte die Entlassung von Beamten, "die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten." Lagen diese Voraussetzungen nicht vor, eröffnete § 6 GzWBB die Möglichkeit, auch noch dienstfähige Beamte kurzerhand "zur Vereinfachung der Verwaltung" in den Ruhestand zu versetzen, wobei deren Stellen nach S. 2 allerdings nicht wieder besetzt werden sollten. Gegen die durch die obersten Reichs- oder Landesbehörden auszusprechenden Entlassungen oder Versetzungen gab es kein Rechtsmittel, § 7 Abs. 1 GzWBB; entsprechende Verfügungen sollten bis zum 30. September 1933 zugestellt werden, da das Gesetz als "Gesetz auf Zeit"1067 gedacht war. Offenbar ging man davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt der öffentliche Bereich von "Nicht-Ariern" "gesäubert" und ein entsprechender Wechsel der Funktionseliten vollzogen sein würde. In § 8 des GzWBB wurde festgelegt, dass nach § 3 und § 4 in den Ruhestand versetzten oder entlassenen Beamte ein Ruhegeld nur dann gewährt werde, wenn sie mindestens eine zehnjährige Dienstzeit vollendet hatten.

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Nach den reichsweiten Boykotten jüdischer Ladengeschäfte am 1. April 1933 wurde mit dem GzWBB erstmalig ein Reichsgesetz geschaffen, das eine Rechtsposition u.a. an eine bestimmte "rassische Zugehörigkeit" knüpfte und damit in Widerspruch zur Reichsgesetzgebung seit 1871 trat. Es verletzte die verfassungsmäßig garantierten Rechte der Beamten (Art. 129 Abs. 1, S. 3, Abs. 2-3 WRV) und den Gleichheitssatz des Art. 109 Abs. 1 WRV,108 wobei diese "Abweichung von der Reichsverfassung" allerdings ausdrücklich vom sog. Ermächtigungsgesetz, dem "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" vom 24. März 1933109, gedeckt wurden. Das GzWBB mit seinem Arierparagraphen und seinen dehnbaren Bestimmungen zur politischen Zuverlässigkeit diente in den Folgemonaten als Modell für die "Reinigung" des gesamten öffentlichen Bereichs von Personen, die aufgrund politischer und rassischer Einstufungen im neuen nationalsozialistischen Staat keine Schlüsselfunktionen mehr bekleiden sollten.

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Der - der Sprachwissenschaft entlehnte - Begriff "Arier" bzw. "nichtarische Abstammung" wurde nur wenige Tage später in der ersten Durchführungsverordnung (DVO) zum GzWBB vom 11. April 1933110 näher definiert, wodurch eine einheitliche Handhabung des Gesetzes sichergestellt werden sollte. Zu § 3 des GzWBB wurde in der ersten DVO bestimmt:

"(1)Als nicht-arisch gilt, wer von nichtarischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil nicht arisch ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil der jüdischen Religion angehört hat. (2) Wenn ein Beamter nicht bereits am 1. August 1914 Beamter gewesen ist, hat er nachzuweisen, daß er arischer Abstammung oder Frontkämpfer, der Sohn oder Vater eines im Weltkriege Gefallenen ist. Der Nachweis ist durch die Vorlegung von Urkunden (Geburtsurkunde und Heiratsurkunde der Eltern, Militärpapiere) zu erbringen. (3) Ist die arische Abstammung zweifelhaft, so ist ein Gutachten des beim Reichsministerium des Innern bestellten Sachverständigen für Rasseforschung einzuholen."

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Diese Definition war streng genommen keine "rassische" oder wie es auch in der NS-Zeit hieß "blutsmäßige" Definition, sondern richtete sich nach Religion und Abstammung. Diese Kategorien wurden für das weitere berufliche Schicksal des Betroffenen ausschlaggebend. Nur in Zweifelsfällen sollte ein "Rassegutachten" für die Einstufung als "nichtarisch" ausschlaggebend sein. Die Beamten des RMdI hatten sich bei ihrer Formulierung an Nr. 4 des Parteiprogramms der NSDAP vom 24. Februar 1920 orientiert: "Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession [Herv. durch Verf.]. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein."111

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Am Beispiel des Justizpersonals in Preußen wird deutlich, dass die Ziele des GzWBB bereits im März 1934 im Wesentlichen erreicht waren:112 Im preußischen Justizdienst befanden sich am 7. April 1933 unter den 45.181 Mitarbeitern 1704, die als "Nichtarier" eingestuft wurden.113 Aufgrund des GzWBB bzw. durch Tod und "freiwilligen Abschied" schieden bis 1934 insgesamt 1.373 dieser Personen114 aus dem Dienst. Es verblieben demnach bis 1935 - u.a. aufgrund des Frontkämpferprivilegs oder der langjährigen Dienstzeit - nur 331 sog. "Nichtarier" im preußischen Justizdienst. Soweit diese nicht entsprechende Befreiung von den im September 195 eingeführten Nürnberger Gesetzen erhielten115, wurden sie spätestens zur Jahreswende 1935/36 entlassen. Grundlage für diese Maßnahmen war die Erste Verordnung116 zum Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935117, die am 14. November 1935 erlassen wurde. § 3 S. 1 dieser VO legte fest, dass nur der Reichsbürger, d.h. Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes ein öffentliches Amt bekleiden konnten. Ein Jude konnte kein Reichsbürger sein, § 4 Abs. 1 S. 1 der VO und war nach § 4 Abs. 2 S. 1 der VO bis zum 31. Dezember 1935 in den Ruhestand zu versetzen. Immerhin sollten Frontkämpfer nach S. 2 der Vorschrift bis zur Erreichung der Altersgrenze als Ruhegehalt die vollen zuletzt bezogenen ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge erhalten.118

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Auch im Hochschul- und Bildungsbereich wurden aufgrund des GzWBB die "nichtarischen" Mitarbeiter versetzt bzw. entlassen.119 Die deutschen Universitäten verloren hierdurch eine große Anzahl weltberühmter Gelehrter.120 1936 nannte die Liste der "Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland" 1617 vertriebene Hochschullehrer. Der Historiker Horst Möller schätzte, dass ungefähr 5.500 Angehörige der wissenschaftlichen und kulturellen Elite aufgrund ihrer "nichtarischen" Herkunft oder ihrer politischen Gegnerschaft zur NS-Diktatur aus dem Deutschen Reich vertrieben und bis zum Jahr 1939 ca. 45 % aller Universitätsstellen an den deutschen Universitäten neu besetzt wurden.121 Eine Reihe moderner wissenschaftlicher Forschungsrichtungen wie die Sozialwissenschaften, die Politikwissenschaften und die Psychologie aber auch Bereiche der Physik wie die Einsteinsche Relativitätstheorie wurden personell so ausgedünnt, dass sie nach dem Krieg nur mühsam in die Wissenschaftslandschaft reintegriert werden konnten.

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2. Die Anwendung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums auf die Dozenten der Berliner Universität

a. Die Ankündigung der "Ausschaltung" "nichtarischer" Professoren an der Berliner Universität

Nach der Machtübernahme der Nazis kam es insbesondere an der Berliner Friedrich Wilhelm Universität zu einem umfassenden Personalaustausch. Mit ca. 32 % des gesamten Lehrpersonals war der Anteil derjenigen Wissenschaftler, die die Berliner Universität verlassen mußten, besonders hoch.122 Die ersten 16 Professoren der Berliner Universität waren bereits am 13. April 1933 in den Ruhestand versetzt worden.123 Bis Ende März 1935 schieden weitere 234 als "jüdisch" oder "jüdisch versippt" geltende Professoren aus dem Dienst der Universität. Allein an der juristischen Fakultät waren von den Entlassungen namhafte Rechtsgelehrte wie James Goldschmidt, Martin Wolff; Ernst Rabel; Fritz Schulz; Arthur Nußbaum, Julius Flechtheim, Max Rheinstein, Erich Kaufmann, Julius Magnus und Max Alsberg betroffen.124 Zu denen, die ihre Stellen verloren und Deutschland verlassen mußten, gehörten aber auch viele weltberühmte Gelehrte anderer Fachrichtungen, wie die Physiker Albert Einstein und Erwin Schrödinger und die Chemiker Fritz Haber und Lise Meitner. Eine fast einmalige schöpferische Atmosphäre, die Berlin in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts zu einem wissenschaftlichen Weltzentrum gemacht hatte, wurde so zu wichtigen Teilen zerstört.

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Die "Ausschaltung" jüdischer und politisch unerwünschter Hochschullehrer hatte der preußische Wissenschaftsminister Rust in einer viel beachteten Rede an der Berliner Universität am 6. Mai 1933 unter starkem Beifall seiner Zuhörer angekündigt125: "...Ich muß einen Teil der deutschen Hochschullehrer ausschalten, auf das die deutsche Hochschule wieder in der Synthese von Forschung und Führung ihre Aufgabe erfüllen kann. Die deutsche Jugend läßt sich heute nun einmal von fremdrassigen Professoren nicht führen (...) Wir haben eine Fremdherrschaft erlebt, die zu beseitigen die Aufgabe einer neuen deutschen Volksführung war, indem wir das richtige Verhältnis wieder herstellen (...) im Geiste Adolf Hitlers und im Sinne einer großen deutschen Volksgemeinschaft rufe ich Ihnen zu: Deutsche Studenten und Professoren, vereinigt Euch! Heil!"126Am selben Tag verbreitete die Studentenschaft der Berliner Universität einen Aufruf. Entsprechend dem alles durchdringen Führerprinzip sollte dem Lehrpersonal grundsätzlich die Rolle der "berufenen geistigen Führer" zugebilligt werden. Hinsichtlich der "nichtarischen" Dozenten wurde jedoch klargestellt: "Juden können nicht Führer der Studenten sein. Der deutsche Student wehrt sich deshalb dagegen, die Grundlagen seines Denkens und Wissen von Juden übermittelt zu erhalten. Im kommenden Semester ist es Pflicht jedes deutschen Studenten, weder bei jüdischen Dozenten Vorlesungen zu hören noch zu belegen. Wer diese Verpflichtung nicht erkennt, stellt sich bewußt außerhalb der Reihen der deutschen Studentenschaft."127 Entsprechend diesem Aufruf kam es in der Folgezeit häufig zu Vorlesungsboykotten und zu Übergriffen gegen jüdische Studenten und Dozenten. Parallel zu diesen "wilden Aktionen" begann die systematische Ausgrenzung der "nichtarischen" Dozenten aufgrund des GzWBB.

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b. Das Verfahren zur "Ausschaltung" "nichtarischer" und politisch mißliebiger Dozenten

Die "Ausschaltung" "nichtarischer" und politisch missliebiger Dozenten erfolgte in einem verwaltungsförmigen Verfahren. Alle Beamten - hierzu zählten die meisten Lehrer und Hochschullehrer - mußten im April 1933 einen kurzen Personalbogen und einen vierseitigen Mantelbogen ausfüllen, in dem umfassende Angaben zur Herkunft und zur Konfession der Familie inklusive Eltern und Großeltern verlangt wurden. Desweiteren wurden von den Betroffenen detaillierte Angaben zum Fronteinsatz im ersten Weltkrieg, zur Übernahme ins Beamtenverhältnis und Angaben zu einer eventuellen Mitgliedschaft in einer politischen Partei, beim "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold", dem "Republikanischen Richterbund" oder der "Liga für Menschenrechte" abgefragt. Im Übrigen mußten dem Mantelbogen neben der Geburtsurkunde, die Heiratsurkunde der Eltern und die Militärpapiere beigefügt werden.128

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Das Preußische Kultusministerium liess sich zudem von den Oberpräsidenten und den Regierungspräsidenten unter Beteiligung der Gauleiter der NSDAP "Vorschläge" - vielfach handelte es sich dabei auch um Denunziationen aus dem Kollegenkreis - machen, gegen wen - und ggf. auf Grund welchen Paragraphen - nach dem GzWBB verfahren werden sollte.1289

60

Die Fragebögen der Hochschullehrer wurden über die Fakultäten direkt der Universitätsabteilung des Kultusministeriums zugeleitet und dort ausgewertet.130 Hierzu wurde eine umfassende Kartothek über die in Preußen tätigen Hochschullehrer angelegt.

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Zur Prüfung der im Ministerium eingehenden "Vorschläge" und Fragebögen wurde eine eigene Abteilung "A IV" gebildet, in der je eine Kommission für die Volks- und Mittelschulen, für die höheren Schulen und für die Universitäten tätig war.131 Die Kommissionen prüften die Vorschläge und legten sie mit ihrer Stellungnahme dem Staatssekretär Stuckart vor, der sie seinerseits grundsätzlich Minister Rust zur Entscheidung vorzulegen hatte. Den Kommissionen gehörten verschiedene Mitarbeiter des Ministeriums an, darunter der Personalreferent der Hochschulabteilung, Johann Daniel Achelis, aber z.T. auch "Nichtparteigenossen", wie die für die höheren Schulen zuständigen Ministerialräte Hellmut Bojunga und Georg Hubrich.132

62

Für die Entscheidungsfindung, ob Maßnahmen nach dem GzWBB getroffen werden sollten, war eigens ein Formular entwickelt worden, das neben den Personalien des Betroffenen den mehrstufigen Entscheidungsprozess dokumentierte. Auf der Grundlage der eingegangenen "Vorschläge" und der Auswertung der Fragebögen stellte ein Referent dem Leiter des zuständigen Personalreferates - für den Hochschulbereich war dies Achelis - dar, ob der Betroffene als "geschützt" oder "ungeschützt" im Hinblick auf §§ 3, 4 GzWBB eingestuft werden sollte.133 In Zweifelsfällen wurde - soweit dies nicht bereits durch nachgeordnete Dienststellen geschehen war - ein Gutachten des "Rassesachverständigen des RMdI" eingeholt.134 Bei sog. "Ermessensfällen", d.h. "Vorkriegsbeamten", mußte für ein "Verbleiben im Amt" eine "hervorragende Bewährung" mit Hilfe von Empfehlungsschreiben aus dem Kollegenkreis nachgewiesen werden. Die Bejahung einer "hervorragenden Bewährung" wurde jedoch restriktiv gehandhabt. Anschließend erstellte Achelis, der Generalreferent für den Hochschulbereich, auf der Grundlage dieser Informationen ein Votum, welches Gegenstand der Beratung der Kommission wurde. An den Beratungen der Kommission nahmen meist die zuständigen Abteilungsleiter - für den Universitätsbereich Gerullis und später Haupt bzw. Vahlen - sowie von Zeit zu Zeit Staatssekretär Stuckart teil, dem das abschließende Beratungsergebnis vorgelegt werden mußte.

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Da keine Beratungsprotokolle überliefert sind, läßt sich kaum rekonstruieren, wie die Beratungen inhaltlich verliefen. Die große Anzahl der Fälle und das eigens entwickelte Formularverfahren deuten darauf hin, dass eine inhaltliche Diskussion über das künftige berufliche Schicksal des Betroffenen eher der Ausnahmefall gewesen sein dürfte. Allerdings sind auch einige Formulare überliefert, in denen Stuckart "das Ergebnis der Beratungen" durchstrich und änderte.135 Anders als er später in Nürnberg glaubhaft machen wollte136, legte er die meisten Akten offenbar jedoch nicht seinem Minister Rust zur (Letzt-)Entscheidung vor, sondern beschied selbst abschließend. In der eigens in dem Formular vorgesehenen Spalte: "Entscheidung des Ministers" findet sich jedenfalls meistens nur Stuckarts Paraphe hinter der dort vermerkten Entscheidung.137 Eine Unterschrift oder eine Paraphe Rusts fand sich hingegen auf keinem der untersuchten Formulare. Dass Stuckart jeden einzelnen Fall aus dem Hochschul- und aus dem gesamten Schulbereich Rust mündlich zum Vortrag brachte, darf angesichts der Anzahl der Fälle und der häufigen Abwesenheiten Rusts ebenfalls bezweifelt werden. Vieles deutet also darauf hin, dass Stuckart in vielen Fällen eine Letztentscheidung fällte, für die er durch seine Paraphe verantwortlich zeichnete.138 Diese Entscheidungen wurde den Betroffenen durch Erlass, der mit Postzustellungsurkunde übermittelt wurde, mitgeteilt. Vielfach wurden die entsprechenden Bescheide ebenfalls von Stuckart "in Vertretung" (für den Minister) unterzeichnet.139 Sofern die Entlassungsurkunden nicht zustellbar waren, da sich ihre Adressaten bereits in die Emigration begeben hatten, veranlasste Stuckart - ebenfalls unter seinem Namen - deren Bekanntmachung im Reichsministerialblatt.140

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c. Fallbeispiele

Die "Ausschaltung" "nichtarischer" und politisch mißliebiger Dozentenerfolgte in einem verwaltungsförmigen Verfahren. In erster Linie ging es hierbei um die Anwendung des GzWBB. Neben den rasseantisemitischen Überzeugungen - der eingangs vorgestellten zuständigen Ministerialbeamten - spielten in den hier untersuchten Fällen vor allem politische Opportunitätserwägungen eine zentrale Rolle. Bei Ihren Voten/ Entscheidungen wie nach dem GzWBB zu verfahren sei, stand Stuckart und seinen Mitarbeitern ein erheblicher Entscheidungsspielraum zu, der an folgenden Fallbeispielen aus den Akten der Universitätsabteilung des Preußischen Kultusministeriums näher illustriert werden soll.141

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aa. Die "Hindenburgausnahmen"

Insbesondere die unter § 3 Abs. 2 GzWBB fallenden "Hindenburgausnahmen", zu denen eine große Anzahl von Dozenten gehörten, bereiteten im Hinblick auf die geplante "Ausschaltung" der "nichtarischen" Hochschullehrer Schwierigkeiten. Beispielhaft für diese Fallgruppe sind die beruflichen Schicksale der seinerzeit berühmten Rechtswissenschaftler James Goldschmidt142, Fritz Schulz143, Erich Kaufmann und Max Rheinstein.

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Der Strafrechtler Goldschmidt war bereits am 23. August 1908 als planmäßiger Professor verbeamtet worden und fiel damit eindeutig unter die Regelung des § 3 Abs. 2 GzWBB. Er sollte dem neuen - aus Österreich herbeigerufenen - Nazi-Dekan, GrafGleispach144 weichen. Seiner drohenden Zwangsbeurlaubung kam er durch ein eigenes Urlaubsgesuch zuvor. Bei Fritz Schulz verhinderte dessen hohes Ansehen zunächst dessen zwangsweise Beurlaubung.

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Für das Wintersemester 1933/34 belegte das Kultusministerium beide Professoren zunächst mit einem Vorlesungsverbot. Am 10. April 1933 unterzeichnete Stuckart " i.V." und unter Bezugnahme auf § 5 GzWBB die Erlasse zur Zwangsversetzung der beiden jüdischen Rechtswissenschaftler nach Frankfurt/Main.145 Nach § 5 GzWBB mußte sich "jeder Beamte,...die Versetzung in ein anderes Amt,...auch in ein solches von geringerem Rang und planmäßigen Diensteinkommen gefallen lassen, wenn es das dienstliche Bedürfnis erfordert." Da die Voraussetzungen des eigentlich einschlägigeren, spezielleren § 3 Abs. 1 GzWBB jedenfalls bei Goldschmidt wegen § 3 Abs. 2 GzWBB nicht vorlagen, machten sich Stuckart und seine Mitarbeiter § 5 GzWBB zu Nutze. Das "dienstliche Bedürfnis" diente hierbei als Einfallstor für rassistische Motive. Goldschmidt ersuchte schließlich am 23. Juni 1934 offiziell um die Entbindung von seinen amtlichen Verpflichtungen146.

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Der konservative staats- und Völkerrechtler Erich Kaufmann war Protestant, galt aber als Jude, da seine vier Großeltern jüdischer Religionszugehörigkeit waren. Als Frontkämpfer und Vorkriegsbeamter konnte auch Kaufmann nach dem GzWBB nicht ohne weiteres in den Ruhestand versetzt werden. Seine Vertreibung wurde jedoch aktiv von seinem Kollegen, Carl Schmitt, betrieben.147 Dessen Einfluss - er saß wie Stuckart im preußischen Staatsrat - war es u.a. geschuldet, dass Stuckart den vertretende Leiter der Universitätsabteilung, Haupt, in einem Vermerk vom 3. Januar 1934 mitteilte, dass Kaufmann "auf jeden Fall" nach Bonn zurückversetzt werden sollte, "damit die Spannungen zwischen Schmitt und ihm beseitigt werden."148

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Gegen den Privatdozenten Max Rheinstein konnten Stuckart und seine Mitarbeiter ebenfalls nicht nach § 3 GzWBB vorgehen, da Rheinstein seine Beteiligung an den Maikämpfen zur Abwehr der Rätespartakisten nachgewiesen hatte und damit gem. § 3 Ziff. 3 der 3 DVO zum GzWBB v. 6. Mai 1933 einem Frontkämpfer gleichgestellt wurde. Stuckart billigte daher ein Vorgehen nach § 6 GzWBB, der eine Versetzung von Beamten in den Ruhestand "zur Vereinfachung der Verwaltung" vorsah. Auch wenn in diesem Falle § 6 GzWBB weder vom Tatbestand noch von der Rechtsfolge her einschlägig war, bot er die Möglichkeit zur Umgehung des Frontkämpferprivilegs, weshalb Stuckart am 28. März 1934 "i.V." den Entzug der Lehrbefugnis Rheinsteins nach § 6 GzWBB unterzeichnete.149

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bb. Der Fall Alsberg

Ein aus anderen Gründen bemerkenswerten Fall bildet die Entlassung des Strafrechtlers Max Alsberg.150Alsberg genoss in der Weimarer Republik einen unangefochtenen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Ruf. Er führte viele Aufsehen erregende Prozesse, engagierte sich für eine umfassende Strafrechtsreform, verfasste Abhandlungen zur Ethik und Philosophie der Verteidigung und zwei Theaterstücke. Politisch war er u.a. durch seine Verteidigung Carl von Ossietskys aufgefallen, der sich wegen seines Artikels zur verdeckten Aufrüstung des Reiches in der "Weltbühne" wegen Landesverrates verantworten mußte.151Alsberg lehrte seit 1931 als Honorarprofessor an der Friedrich Wilhelm Universität. Die Frage nach seiner Konfession beantwortete er mit "Dissident". Dem preußischen Wissenschaftsministerium galt er - nach Auswertung seiner Fragebögen - jedoch als "100% nicht-arisch". Er fiel unter keinen der Ausnahmetatbestände des GzWBB und war somit nach § 3 Abs. 1 GzWBB zu entlassen. Folgerichtig stellte Stuckart am 4. September 1933 die Entpflichtungsurkunde für Alsberg aus.152 Um so erstaunlicher ist, dass Stuckart zwei Tage später Rust eine konträre Stellungnahme übermittelte, in der er um Erwägung einer Ausnahme bat: "Nach Ziff. 2 zu § 3 der 3. Durchführungsverordnung153kann einem planmäßigen Beamten gleichgestellt werden, wer am 1.8.1914 sämtliche Voraussetzungen für die Erlangung seiner ersten planmäßigen Anstellung erfüllt, insbesondere die hierfür erforderliche letzte Prüfung abgelegt und sich während seiner Tätigkeit als Beamter in hervorragendem Maße bewährt hat. Die erste Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn man die Habilitation als erforderliche letzte Prüfung für die Laufbahn des Hochschulprofessors ansieht. Dagegen ist die Voraussetzung der hervorragenden Bewährung m.E. zweifelsfrei gegeben. Alsberg ist ein weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannter und anerkannter Strafrechtler und Strafprozessrechtler. Seine Entlassung würde ganz zweifelsfrei im In- und Ausland größtes Aufsehen erregen. Es ist daher m.E. zu erwägen, ob hier nicht eine Ausnahme gemacht werden kann, indem man die hervorragende Bewährung allein entscheiden läßt."154 Für eine Ausnahme war es jedoch schon zu spät. Der durch die Ereignisse tief gedemütigte Alsberg nahm sich am 11. September 1933, in der Schweiz das Leben155, woraufhin seine Entpflichtung für unwirksam erklärt und die Vernichtung der Reinschrift angeordnet wurde.

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cc. Der Fall Mittwoch

Der Orientalist Eugen Mittwoch156 galt nach seinem GzWBB-Fragebogen als "Volljude".157Mittwoch war weder Vorkriegsbeamter, noch hatte er Frontdienst geleistet. Dennoch stufte ihn Achelis als "Ermessensfall" ein, der im Amt bleiben sollte, da er als Berater des Auswärtigen Amtes (AA) im Rahmen der deutschen Nahostpolitik während des Ersten Weltkrieges eine wichtige Rolle gespielt hatte. Stuckart schloss sich dem Votum von Achelis an und paraphierte die Beratungsentscheidung "Verbleiben im Amt". Für Rust zeichnete er am 21. September 1933 "Einverstanden".

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Für Mittwoch hatten sich zahlreiche Kollegen verwendet. Der Bonner Orientalist P. Kahle hatte ihn im August 1933 als einen "hervorragenden Fachgenossen" bezeichnet, der als Gelehrter auf dem Gebiete des Altarabischen, des Äthiopischen und des Südarabischen als bester Kenner seiner Zeit gelte. Neben zahlreichen anderen würden auch "die Herren vom Auswärtigen Amt, denen er ja von seiner Tätigkeit her an der Propagandastelle für den Orient während des Krieges zur Genüge bekannt ist" dies bestätigen. Auch aus dem Ausland verwendeten sich Kollegen für Mittwoch. Prof. Chnouck-Hurgronje aus Leiden schrieb im Sommer 1933 an das Preußische Kultusministerium: "Wenn Deutschland in den letzten Jahrzehnten seinen ruhmvollen Platz in der vorderen Reihe der Länder, die sich die Pflegung [sic!] der Wissenschaft vom Orient zur Pflicht gemacht haben, glänzend behauptet hat, so ist das zum nicht geringen Teil der Leistung von Prof. Mittwoch zu verdanken."158 Auch ein anonymes Denunziantenschreiben vom 21. September 1933 änderte nichts mehr an dieser Entscheidung. Der Denunziant hatte Mittwoch als "Zionist reinsten Wassers, dementsprechend allen Deutschen gegenüber feindlich" geziehen. Mittwoch hätte im Durchschnitt nur zwei Studenten im Semester gehabt, einen polnischen und einen palästinensischen Juden. Von deutscher Seite könne daher kein Interesse an seinem Verbleiben an der Universität bestehen.

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dd. Der Fall Lewy

Ähnlich gelagert war der Fall des 1881 in Breslau geborenen Sprachwissenschaftlers Ernst Lewy159, eines Experten für finnisch-ugrische Sprachen, der nach den Ausführungsbestimmungen zum GzWBB als "Nichtarier" galt. Er wurde am 13. Mai 1933 vom Ministerium beurlaubt.160 Da er keinen Frontdienst geleistet hatte und kein Vorkriegsbeamter war, galt er nach dem Votum des Referenten als "ungeschützt". Achelis betrachtete Lewy als "Ermessensfall" und votierte zunächst, dass Lewy "zu entlassen" sei. Dieses Votum vom 8. August 1933 strich er durch und schlug nunmehr mit Stuckarts Billigung Lewys"Verbleiben im Amt" vor: "Prof. Lewy ist der einzige Fachvertreter in Deutschland für Finnisch-ugrisch. Wie aus den anliegenden Voten hervorgeht, handelt es sich um einen stillen Gelehrten, der wesentlich seine Fachwissenschaft betreibt und als Lehrer kaum hervortritt. Andererseits hat er als Vertreter dieses Teils der Sprachwissenschaften recht erhebliche Auslandsbeziehungen- Er ist Nichtarier, hat weder Frontdienst noch ist er Vorkriegsbeamter. Da er aber 1911 habilitiert ist, hatte er 1914161 alle Voraussetzungen erfüllt, die zur planmäßigen Anstellung erforderlich sind. Er ist also Ermessensfall."162 So blieb Lewy zunächst nur beurlaubt. Am 24. Januar 1934 teilte ihm das Ministerium dann jedoch mit, dass seine Bezüge vom 1. März 1934 an in Fortfall kämen, und dass er für einen zwischenzeitlich angetretenen Aufenthalt in Spanien einer ministeriellen Genehmigung bedürfe. Mit Schreiben vom 3. Februar 1934 aus San Sebastian, wo Lewy über das Baskische forschte, bat er Vahlen, den er flüchtig kannte, da es ihm unmöglich war, "an ganz Unbekannte, oder an eine abstrakte Behörde zu schreiben" um Aufklärung, ob er beim Fortfall seiner Bezüge seiner Eigenschaft als preußischer Beamter "entkleidet sei."163 Offenbar erhoffte sich Levy von der Behörde auch Verständnis für seine menschliche Lage. Er bat in seinem Schreiben, seine Wortwahl "entschuldigen zu wollen". Er sei sehr müde, "Die letzte Nacht hat mich die Kälte nicht schlafen lassen, aber länger hinausschieben darf ich diesen Brief nicht." Achelis vermerkte auf dem Schreiben: 1) L ist... (Unleserlich) und 2) Gehalt ruht bis die Genehmigung fürs Ausland erteilt ist. Am 21. März 1934 unterzeichnete Achelis das Konzept für ein Schreiben an Lewy, indem er ihm mitteilte, dass er im Amt verbleibe, seine Zwangsbeurlaubung aufgehoben wurde und ihm Urlaub für seine Forschungen in Spanien unter Fortzahlung seiner Bezüge erteilt wurde.164

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ee. Der Fall von Lichtenberg

Auch im Fall eines Urologen ungarischer Herkunft, Professor von Lichtenberg, sorgte eine Intervention aus dem Ausland bei Stuckart für eine günstigere Behandlung.165Lichtenberg war als "Nichtarier" die Lehrbefugnis entzogen worden. Am 18. Mai 1934 wies Stuckart jedoch Achelis aufgrund einer Intervention des Auswärtigen Amtes und der ungarischen Botschaft an, mit Lichtenberg in Verhandlungen zu treten. Achelis vermerkte am 29. Mai 1934, dass Lichtenberg als "Nichtarier" "streng genommen durch keinen der Ausnahmetatbestände geschützt" sei. "Da er aber vor 1914 habilitiert ist, kann er als Ermessensfall behandelt werden. Er ist ungarischer Staatsangehöriger, so daß Sonderbehandlung erwünscht erscheint, sofern sich aus seinen Vorlesungen keine Schwierigkeiten ergeben." In den "anweisungsgemäß" geführten Verhandlungen sei die Entziehung der venia legendi aufgehoben und Lichtenberg antragsgemäß für ein Jahr Urlaub erteilt worden. Stuckart zeichnete den Vermerk am 30. Mai 1934 ab und unterzeichnete einen entsprechenden Erlass, der Lichtenberg am 19. Juli 1934 zugestellt wurde. Der Ärztekammer Berlin, die bereits besorgt angefragt hatte, ob das Ministerium tatsächlich beabsichtige, Lichtenberg in seine alte Position einzusetzen, teilte Stuckart mit, dass im Falle Lichtenbergs aus außenpolitischen Gründen "eine Sonderbehandlung erforderlich gewesen sei."

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ff. Die Fälle Krayer und Heubner

Anfang Juni 1933 bot Achelis dem geschäftsführenden Leiter des Pharmakologischen Instituts der F.W. Universität, Dr. habil. Otto Krayer166, telephonisch an167, die Vertretung der durch Beurlaubung des jüdischen Professors Philipp Ellinger vakanten Professur für Pharmakologie an der medizinischen Akademie in Düsseldorf zu übernehmen. Bei der folgenden mündlichen Unterredung teilte Krayer Achelis mit, "dass er die Beurlaubung nichtarischer Dozenten für eine Ungerechtigkeit hielte und dass er deshalb bei einer derartigen Vertretung den Studenten gegenüber nicht frei wäre".168Achelis entgegnete, dass nach dieser Äußerung das Ministerium darauf verzichte, ihn mit der Vertretung zu beauftragen. In einem Schreiben vom 15. Juni 1933 legte Krayer die Gründe für seine Ablehnung noch einmal dar: er empfinde die Ausschaltung der jüdischen Wissenschaftler als ein Unrecht, dessen Notwendigkeit er nicht einsehen könne,

"da sie, wie mir scheint, mit außerhalb der Sphäre der Wissenschaft liegenden Gründen gestützt wird. Diese Empfindung des Unrechts ist ein ethisches Phänomen. Es ist in der Struktur meiner Persönlichkeit begründet und keine äußerliche Konstruktion. Unter diesen Umständen wird die Übernahme einer solchen Vertretung wie der in Düsseldorf für mich eine schwere seelische Belastung bedeuten, welche es mir erschweren würde, meine Tätigkeit als Lehrer mit jener Freunde und Hingabe aufzunehmen, ohne die ich nicht recht lehren kann. / Ich habe einehohe Meinung vom Werte der Aufgabe eines akademischen Lehrers und ich möchte selbst das Recht zur Ausübung dieser Tätigkeit nur auf Männer übertragen wissen, die abgesehen von der Bedeutung von der Forschung über besondere menschliche Qualitäten verfügen. / Würde ich Ihnen gegenüber die Bedenken, die mich schwankend machten, ihre Anfrage ohne weiteres zu entsprechen, nicht geäußert haben, so hätte ich gegen eine dieser Qualitäten verstoßen, - gegen die Aufrichtigkeit. [...] Die Arbeit, der ich bis jetzt alle meine ganze Kraft gewidmet habe, mit dem Ziele einmal Alles, was ich an Kenntnissen und Fähigkeiten zu entwickeln vermag als akademischer Lehrer wirksam werden zu lassen, ist mir so wertvoll, dass ich sie auch nicht mit der geringsten Unaufrichtigkeit belasten möchte. Ich will lieber darauf verzichten, eine Stellung zu erlangen, die meinen Neigungen und Fähigkeiten entspricht, als dass ich gegen meine Überzeugung entscheide, oder dass ich durch Stillschweigen an unrichtiger Stelle dem Zustandekommen einer Meinung über mich Vorschub leiste, die mit den Tatsachen nicht übereinstimmt."

Diese integre Haltung provozierte eine prompte Reaktion der Wissenschaftsverwaltung. Fünf Tage später, am 20. Juni 1933, untersagte Stuckart Krayer mit sofortiger Wirkung das Betreten staatlicher Institute sowie die Benutzung staatlicher Bibliotheken und wissenschaftlicher Hilfsmittel bis zu einer endgültigen Entscheidung über sein Verbleiben im Amt aufgrund von § 4 des GzWBB.169 Zynisch begründete er mit Schreiben vom 23. Juni 1933 seine Entscheidung:

"in Ihrem an meinen Sachreferenten gerichteten Schreiben vom 15. Juni dieses Jahres bringen Sie zum Ausdruck, dass Sie die Ausschaltung jüdischer Wissenschaftler als ein Unrecht empfinden, und dass die Empfindung dieses Unrechts Sie daran hindert, eine Ihnen angetragene Vertretung zu übernehmen. Es steht Ihnen durchaus frei, Maßnahmen der Staatsregierung persönlich in beliebiger Weise zu empfinden. Es geht aber nicht an, dass Sie die Ausübung Ihres Lehrberufes von diesen Empfindungen abhängig machen. Sie würden bei dieser Haltung in der nächsten Zeit auch keinen Lehrstuhl an einer deutschen Universität übernehmen können."

Am 23. Juni 1933 teilte der Kurator der Universität Göttingen dem Ministerium mit, dass Krayer dem Direktor des pharmakologischen Instituts die Institutsschlüssel zurückgegeben habe und sich auf dem Weg nach Berlin befinde.

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Ein anderes bemerkenswertes Schreiben erhielt Stuckart am 31. Oktober 1933. Der Leiter des pharmakologischen Instituts der Berliner Universität, Wolfgang Heubner170, wandte sich darin an Minister Rust:171 Er habe einen Artikel des Ministers gelesen, in dem dieser schrieb, dass "mit marxistischen, liberalistischen, demokratischen und pazifistischen Lehrern und Hochschullehrern völkische Erziehungsprogramme nicht verwirklicht werden" könnten. Dieser Satz nötige ihn zu der Prüfung, ob er das Recht habe, sein Amt als Hochschullehrer in Berlin weiter auszuüben. Zwar wisse er nicht genau, was "liberalistisch" sei, aber er bekenne sich zu seiner "liberalen Gesinnung" und er halte "das Höchstmaß ersprießlicher Arbeit auf dem Gebiet der Wissenschaft wie des akademischen Unterrichts nur aus liberaler Gesinnung heraus für möglich." Er verstehe darunter "die geistige Unabhängigkeit und Selbstverantwortlichkeit des Einzelnen und die damit logisch verknüpfte Toleranz gegenüber der Geisteswelt der anderen." Auch bekenne er, dass er einen "neuen Krieg unserer Generation für ein großes Unglück sowohl für Deutschland, wie die übrige Menschheit halten würde" und dass er "deshalb eine Agitation für bewußten Kriegswillen nicht billige". Wenn dies Pazifismus sei, so sei er Pazifist. In einem Lebensalter von 56 Jahren könne er "als charaktervoller Mann" solche Überzeugungen nicht einfach abstreifen oder umwandeln, er könne sie auch nicht während seiner Tätigkeit als Hochschullehrer einfach verleugnen: "Es wird mir auch niemals möglich sein, den Nationalsozialismus innerlich (und natürlich auch äußerlich) zu bejahen, so weit er mit den aus meiner angeborenen Veranlagung und meiner Lebenserfahrung im Widerspruch ist." Nach 25 Jahren als beamteter Professor liebe er sein Amt, sein Institut und hänge an seinen Mitarbeitern, "so daß es mir eine harte Entscheidung wäre, wenn ich sie aufgeben müßte." Es sei ihm aber klar geworden, dass er nicht auf Kosten seiner "ehrlichen Überzeugung an etwas hängen" könne. "Es wäre mir auch unerträglich, in einem öffentlichen Amte nur deswegen zu verharren, weil etwa bei der vorgesetzten Behörde ein Irrtum über mein wahres Wesen besteht. Ich bin - wie bisher unter jeder Regierung- bereit zu einer gutwilligen sachlichen Pflichterfüllung, aber niemals zu einem sacrificium intellectus. Falls Sie nach Kenntnis dieses Briefes zu der Überzeugung gelangen sollten, daß mit dem von der Reichs- und preußischen Regierung zu verfolgenden Programm mein Verbleiben in meinem jetzigen Amte nicht zu vereinbaren ist, werde ich mich darin zu fügen wissen." Er bat um baldige Entscheidung. Achelis vermerkte zu diesem mutigen Schreiben: "Ein inhaltliches Eingehen auf den Brief erscheint untunlich" und ließ folgende formale Antwort absetzen, die Stuckart abzeichnete: "Auf Ihr Schreiben vom (...) teile ich Ihnen mit, dass für mich keine Veranlassung bestanden hat, auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums gegen sie vorzugehen. Der Minister pp." Anders als Krayer mußte Heubner für seine Überzeugung nicht bezahlen, vermutlich weil er nicht die Entlassungspraxis nach dem GzWBB angegriffen hatte und seine Forschungen für die Wehrmacht kriegswichtige Bedeutung hatten.

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gg. Der Fall Rhoda Erdmann

Am 28. Juli 1933 teilte der Verwaltungsdirektor der Berliner Universität dem Ministerium mit, dass die 63jährige Zellforscherin an der Charité, Rhoda Erdmann172, durch die Gestapo verhaftet worden sei.173 Sie stünde mit entlassenen jüdischen Kollegen in Verbindung und versuche diese "im Ausland unterzubringen". Teile ihrer Korrespondenz u.a. mit dem "Jewish Refugees Committee" in London waren der Gestapo in die Hände gefallen. In den Akten fanden sich zudem Ankündigungen internationaler Kongresse in Cambridge und Madrid, an denen neben ihr zahlreiche deutsche Vertreter teilnahmen, die im Ministerium teilweise handschriftlich als "Juden" kenntlich gemacht wurden. Rhoda Erdmann wurde durch ihren Kollegen beim Reichsgesundheitsamt, Dr. med. H. Zeiss, denunziert, der wenig später in einem Telegramm an Göring auch seinem Unverständnis über Erdmanns baldige Freilassung aus der "Stapo-Haft" Ausdruck gab.

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Am 14. August 1933 hatte Achelis das Geheime Staatspolizeiamt Berlin angeschrieben und darum gebeten, über den Stand des Verfahrens unterrichtet zu werden. Handschriftlich vermerkt er am 2. September 1934 nach einem Telefonat mit dem "Stapo-Amt" Berlin, dass sich bei der Gestapo-Untersuchung nichts ergeben hätte, was auf "Gräuelpropaganda" hinweise. "Frau E. hatte aber zahlreiche jüdische Beziehungen und versuchte entlassene Juden im Ausland unterzubringen. Sie hat mir... [unleserliches Wort: unterschrieben/unterzeichnet ?], dass sie die Stellenvermittlung nicht weiter betreiben wird. Daher z.d.A."174Stuckart nahm von diesen Vorgängen Kenntnis und erklärte sich am 26. September 1933 mit der Versetzung Erdmanns in den Ruhestand nach § 6 GzWBB einverstanden. Für eine Entlassung nach § 4 GzWBB hatten nach seiner und Achelis Ansicht - trotz der Verhaftung Erdmanns - keine hinreichenden Anhaltspunkte bestanden.175 Unter dem 8. März 1934 teilte die Universität Erdmann mit, dass die Zahlung ihrer Gehaltsbezüge eingestellt würde. Daraufhin schaltete Erdmann Rusts Adjutanten Sunkel ein, mit dem sie streng vertraulich eine Umwandlung ihrer Pensionierung in eine Emeritierung und eine Schließung ihres Instituts unter Überlassung eines anderen Instituts und Belassung ihres Etats erreichte. Im Mai 1934 wurde daraufhin Stuckarts Erlass zur Versetzung in den Ruhestand aufgehoben. Erdmann starb ein Jahr später in Berlin.

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d. Versuch einer Bewertung

Auch wenn die aufgeführten Fälle aus der Verwaltungspraxis des Preußischen Kultusministeriums keine quantitative Aussage über die Anwendung des GzWBB ermöglichen, so wird doch deutlich, dass nicht allein die Buchstaben des Gesetzes, sondern in starkem Maße politische Opportunitätserwägungen bei der Anwendung des GzWBB maßgebend waren. Ließ sich das (politisch) gewünschte Ergebnis wegen des "Frontkämpferprivilegs" - § 3 Abs. 2 GzWBB - nicht erzielen, so griffen Stuckart und seine Mitarbeiter zur Umgehung des Privilegs auf § 5 und § 6 GzWBB zurück (s. Kaufmann, Rheinstein, Schulz und Goldschmidt)176, um unliebsame Professoren von ihren Lehrstühlen zu entfernen. Nur wer über besonders herausragende Qualifikationen in einem weniger im politischen Interesse stehenden Randgebiet und/oder über Fürsprecher aus dem Ausland verfügte, durfte wie Lewy, Mittwoch und Lichtenberg auf eine wohlwollendere Behandlung hoffen. Eine Ausnahme bildete insofern der Fall Alsberg. Hier war es wohl weniger Stuckarts Sympathie für Alsberg als vielmehr dessen internationales Renommé, das den Ausschlag für ein Abweichen von der üblichen Praxis gegeben hatte. Der Fall Alsberg zeigt jedoch auch, dass es Stuckart und seinen Mitarbeitern mit relativ geringem Begründungsaufwand durchaus möglich war, vom Wortlaut des GzWBB abzuweichen. Hiervon wurde jedoch nur dann Gebrauch gemacht, wenn dies aus politischer Rücksichtnahme geboten erschien.

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In denjenigen Fällen, in denen die Betroffenen nicht als "nichtarisch" eingestuft, sondern allenfalls politischer "Verfehlungen" verdächtigt wurden, lagen die Dinge anders. War es für Krayer eine Gewissensfrage, einen nach dem GzWBB freigewordenen Lehrstuhl nicht anzunehmen, so hinterfragte Heubner aufgrund seiner Gesinnung seine generelle Verwendbarkeit im NS-Staat. Während man sich bei letzterem mit einem (warnenden) Hinweis auf § 4 GzWBB begnügte, hatten Krayers Gewissensnöte ernsthafte Konsequenzen, möglicherweise weil er sich uneinsichtig gezeigt und die Verwaltungspraxis des Ministeriums und damit die Staatsautorität an sich in Frage gestellt hatte. Der Fall Erdmann lag demgegenüber noch anders. Erdmann war - nach allem, was vorgefallen war - als Institutsleiterin und wahrscheinlich auch als eine der wenigen Frauen im Wissenschaftsbereich an ihrer Stelle für Stuckart und seine Mitarbeiter untragbar geworden, auch wenn die Gestapo ihre Vorwürfe gegen Erdmann letztlich nicht sustanziieren konnte. Sie verfügte aber über die erforderlichen Kontakte und drang über Sunkel, möglicherweise sogar an das Ohr Rusts, was dazu führte, dass die Entscheidung des Ministeriums kurzerhand - gesichtswahrend streng vertraulich - revidiert und eine für die Betroffene günstigere Lösung gefunden wurde.

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IV. Epilog

Im letzten der Nürnberger Prozesse - im sog. Wilhelmstrassenprozess, 1947-1949177 - griff die Anklage die Anwendung des GzWBB durch Staatssekretär Stuckart auf: "Der Angeklagte Stuckart" habe sich "an der Entlassung von politisch und rassisch 'unerwünschten' Beamten an den Universitäten und in den Schulen in ganz Deutschland" beteiligt.178 Obgleich diese Maßnahmen lange vor den Eroberungskriegen des Dritten Reiches getroffen wurden, sah die Anklage in der Implementierung des GzWBB eine Vorbereitungshandlung für den neugeschaffenen Tatbestand der völkerrechtlichen Agression, das "Führen eines Angriffskrieges".179

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In seiner Stellungnahme zu diesem Anklagepunkt im Wilhelmstrassenprozess, führte Stuckart demgegenüber aus:180 Bei der Anwendung des GzWBB habe er stets in der "denkbar humansten Form votiert und in sehr vielen Fällen, in denen Maßnahmen von den nachgeordneten Behörden vorgeschlagen wären, durch meine Stellungnahmen Maßnahmen gegen die Beamten verhindert." Einer seiner Mitarbeiter, Martin Löpelmann, selbst NSDAP-Mitglied seit 1928, habe zur Kennzeichnung dieses "milden Standpunkts" in der Behandlung der vorgelegten Fälle den Satz geprägt "per aspera ad acta". Stets sei Stuckart bemüht gewesen, zu Gunsten der Betroffenen Tatsachen ermitteln zu lassen und habe hierdurch in manchen Fällen auch eine günstigere Entscheidungen bei Rusterreicht.181 Seine "milde Entscheidungspraxis" habe vielfach zu Konflikten mit den Gauleitern der NSDAP geführt. Für "Nichtarier" habe § 3 GzWBB keinen Ermessensspielraum gelassen - "Wo es jedoch auf die Frontkämpfereigenschaft ankam," habe Stuckart die Prüfung der Voraussetzungen stets "in der großzügigsten Weise zu Gunsten der nichtarischen Beamten vorgenommen", so dass viele im Dienst hätten verbleiben können.

83

Auf die Frage seines Verteidiger, Curt von Stackelberg, ob er über die Anwendung des GzWBB selbstständig entscheiden konnte, entgegnete Stuckart in der mündlichen Verhandlung182: "Nein, die Entscheidung traf der preußische Kultusminister Rust. Die Vorschläge dazu wurden von einer Kommission von Ministerialbeamtenauf Grund der Anträge der nachgeordneten Behörden [erarbeitet]. Ich fügte diesen Vorschlägen mein Votum bei. So wurden sie Rust vorgelegt und Rust traf die Entscheidungen. Rust wurden auch die Reinschriften zur Unterschrift vorgelegt. Da er aber aus zeitlichen gesundheitlichen Gründen zuweilen nicht zu der Unterzeichnung der Reinschriften kam, hat er mich manchmal beauftragt, die Reinschriften der von ihm entschiedenen Fälle zu unterzeichnen. Das habe ich getan."183

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Den Vorwurf des Berliner Staatsrechtlers und Vertreters der CDU in Nürnberg, Hans Peters,184 die Maßstäbe des Preußischen Kultusministeriums bei der Anwendung des GzWBB seien besonders streng gewesen, konterte Stuckart mit dem Hinweis, dass Peters geradezu "ein lebendes Beispiel" der milden Praxis des Kultusministeriums sei. Trotz seiner "ganz klaren gegnerischen Einstellung" zur NSDAP habe er 1933/34 seine Hochschulkarriere fortsetzen können und sei sogar Studienleiter der "Deutschen Verwaltungsakademie" geworden.

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Im Übrigen sagte Stuckart aus, dass der "Umfang, der aus politischen Gründen auf Grund des Gesetzes pensionierten und entlassenen Beamten"... "verschwindend klein" gewesen sei. Darüber hinaus sei es "in der Staatenpraxis allgemein üblich",... "Beamte aus dem Dienst zu entfernen oder sie wenigstens in ein Amt von niedrigem Rang zu versetzen, wenn befürchtet werden mußte, dass sie sich aktiv gegen den neuen Kurs der Regierung stellen würden. Gleichzeitig sollten auch solche Beamte aus dem Staatsdienst ausscheiden, die wegen ihrer fehlenden Vorbildung und ihrer schlechten Bewährung sich als fachlich ungeeignet erwiesen hatten."185 Im Übrigen seien durch das GzWBB keine besonderen Härten entstanden, da die Beamten "grundsätzlich" entweder ihre volle Pension oder zumindest Dreiviertel ihrer Pension oder andere Unterstützungsbeihilfen für den Lebensunterhalt bezogen hätten.186 Schließlich habe er - verteidigte sich Stuckart und unterstrich damit die kollektive Verantwortung der deutschen Bürokratie - "bei der Durchführung des Berufsbeamtengesetzes nichts anderes getan, als es zehntausende andere Beamte, Gemeindeleiter, Gemeindebeamte, Behördenchefs und sonstige Beamte auch für ihren Zuständigkeitsbereich kraft reichsgesetzlicher Verpflichtung getan haben."187

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Seine Mitarbeiter stützten diese - auch für sie günstigen - Aussagen Stuckarts.188 Insbesondere der ehemaligen Abteilungsleiter für den Schulbereich, seit Sommer 1934 Leiter des "Amtes Erziehung" und selbst Mitglied einer GzWBB-Kommission, Helmut Bojunga,189 stellte die Anwendung des GzWBB als eine eher lästige, "der Verwaltung obliegende gesetzliche Pflicht" dar, bei der das Ministerium insbesondere im Schulbereich die nachgeordneten Dienststellen in ihrem Eifer gebremst und dort bereits getroffene Maßnahmen rückgängig gemacht habe190: "In vielen hunderten von Fällen hat das Kultusministerium Vorschläge auf Entfernung aus dem Amt abgelehnt oder die bloße Versetzung in ein anderes Amt verfügt."Bojunga bestätigte Stuckarts Darstellung, wonach letzterer stets bestrebt gewesen sei, den besonders radikalen Forderungen aus "Parteikreisen" entgegenzutreten. Dies habe u.a. zu Beschwerden der Gauleiter und Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg Wilhelm Kube, und von Schleswig-Holstein Hinrich Lohse sowie des Kasseler Gauleiters Karl Weinrich geführt.

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Zu den einzelnen Bestimmungen des GzWBB führte Bojunga im Hinblick auf den Schulbereich aus, dass § 5 GzWBB in erster Linie dazu gedient habe, Lehrkräfte "aus der örtlich vergifteten Atmosphäre heraus an einen anderen Ort zu bringen und sie dort im Amt zu halten"; § 6 GzWBB sei "dem Grundgedanken nach unpolitisch" und nur sehr begrenzt zur Anwendung gekommen, da die nach § 6 GzWBB geräumten Stellen nicht neu hätten besetzt werden dürfen. Dort, wo § 6 GzWBB angewendet wurde, habe dies dazu gedient, "Versager auszuschalten". Im Übrigen habe das GzWBB neue Möglichkeiten zur Beförderung des Assessorennachwuchses geschaffen. Dies seien "eigentlich immer sachliche Gründe" gewesen. Zu der von Stuckart geleugneten, vielfach aber augenscheinlichen Umgehung des Frontkämpferprivilegs (§ 3 Abs. 2 GzWBB) durch Anwendung der §§ 5 und 6 GzWBB erklärte Bojunga: Es sei durchaus möglich, dass unter den aus solchen Gründen in den Ruhestand Versetzten auch "geschützte Nichtarier" gewesen seien; von einer generellen Absicht, das Privileg des § 3 Abs. 2 und 3 GzWBB zu umgehen, könne nach seiner "bestimmten Erinnerung bei Herrn Stuckart" jedoch "nicht die Rede sein." Im Übrigen sei die Anzahl der von § 3 GzWBB Betroffenen gering gewesen: an der Universität Göttingen - als deren Kurator Bojunga nach dem Kriege tätig war - sei das GzWBB - nach seinen nunmehr getätigten Nachforschungen - "nur" auf 3 von 13 "jüdischen Professoren" angewendet worden.191 Die Situation an anderen Universitäten - wie Berlin, Frankfurt und Breslau, die über einen größeren Anteil "nichtarischer" Hochschullehrer verfügten - verschwieg er mit Bedacht.

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Zweifelsohne waren Stuckart und seine Mitarbeiter in Einzelfällen vor allem aus politischen Opportunitätserwägungen zum Einlenken bereit192; für die Mehrzahl der vom GzWBB Betroffenen sah die Realität jedoch anders aus. Sie verloren ihr berufliches Betätigungsfeld und ihre Entfaltungschancen. Für die "nichtarischen" Betroffenen waren die Maßnahmen, die nach dem GzWBB getroffen wurden, nur der Auftakt zu einer immer weiter reichenden Entrechtung und Ausgrenzung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, die schließlich in der ebenfalls verwaltungsförmig organisierten physischen Vernichtung von Millionen gipfeln sollte. Der Ministerialbürokratie kam in diesem Ausgrenzungs- und Entrechtungsprozess - in der Schaffung der Rahmenbedingungen für den Genozid - eine zentrale Rolle zu. Sie bediente sich hierbei zumindest in der Anfangszeit der "geordneten" und "verwaltungsförmigen" Verfahren, die eine moderne Verwaltung kennzeichnen. In den Händen von überwiegend jungen, von der NS-Ideologie geprägten Führungskräften verloren das "Recht" und die zum Schutz dieses Rechtes vorgesehenen Verfahren ihren materiell-ethischen Kern. Rechts- und Verfahrensvorschriften degenerierten in den Händen der NS-Verwaltung zu reinen Organisationsnormen, die allenfalls noch einen Anschein von Rechtsstaatlichkeit wahrten. Tatsächlich dienten sie jedoch vor allem der ordnungsstaatlichen Verbrämung und der Organisation und Rationalisierung des Unrechts. Dem GzWBB kam in diesem Prozess eine Schlüsselrolle zu. Es stand am Anfang einer langen Kette von Vorschriften, mit denen sog. rassische und politische Gegner bekämpft und ausgegrenzt werden sollten und wurde zugleich eines der wichtigsten Instrumente der Ministerialbürokratie, um einen tiefgreifenden Personalaustausch in allen Bereichen des öffentlichen Lebens durchzuführen und hierdurch die Voraussetzung für deren systematische Nazifizierung zu schaffen.

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Fußnoten:

* Der Autor ist Referent im Bundesministerium des Innern und promoviert bei Prof. Dr. Rainer Schröder mit einer Arbeit zu Dr. Wilhelm Stuckart (1902-1953). Die hier dargestellte Auffassung spiegelt ausschließlich die private Meinung des Autors wieder.
Für ihre Anregungen bin ich Herrn Prof. Dr. Michael Stolleis und Herrn Thomas Meckel zu Dank verpflichtet.

1 Zur Geschichte des preuß. Kultusministeriums: Gerd Heinrich, in: Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands 1815-1945. Organisation-Aufgaben-Leistungen, hrsg. von Gerd Heinrich/Friedrich-Wilhelm Henning/Kurt G.A. Jeserich, Stuttgart/Berlin/Köln 1997, S. 103 ff; Vgl. auch die Ausstellung der Topographie des Terrors unter: http://www.topographie.de/wilhelmstr/. Zu den zentralen Akteuren in der Wissenschaftsverwaltung, s. Beiträge in: Wolfgang Treue/ Karlfried Gründer (Hrsg.): Wissenschaftspolitik in Berlin: Minister, Beamte, Ratgeber. Festgabe aus Anlass der 750-Jahr Feier der Stadt Berlin 1987, Berlin 1987.

2 Die Hochschul- und Bildungspolitik wurde in der Kaiserzeit unter wechselnden Kultusministern vor allem von dem Vortragenden Geheimen Rat und Hochschulreferenten (ab 1882) und schließlich langjährigen Abteilungsleiter (von 1897 bis 1907) im Kultusministerium Friedrich Althoff (19.2.1839- 20.10.1908) bestimmt. MwN.: Bernhard vom Brocke, in: Treue/Gründer, a.a.O, S. 195-214. ders.: Hochschul- und Wissenschaftspolitik in Preußen und im Deutschen Kaiserreich 1882-1907: das "System Althoff", in: Bildungspolitik in Preußen zur Zeit des Kaiserreichs, hrsg. von Peter Baumgart, Stuttgart 1980, S. 9-118.

3 Vgl. Bernhard vom Brocke, in: Treue/Gründer, a.a.O, S. 195 (206 ff).

4 Zur Umbruchssituation, vgl.: Berhard vom Brocke, Kultusministerien und Wissenschaftsverwaltungen in Deutschland und Österreich: Systembrüche und Kontinuitäten 1918/19-1933/38-1945/46, in: Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Rüdiger vom Bruch und Brigitte Kaderas, Stuttgart 2002, S. 193-214.

5 Der parteilose Liberale Prof. Dr. Carl Heinrich Becker (*12.4.1876 - † 10.2.1933) war unter Ministerpräsident Dr. Adam Stegerwald (Zentrum) vom 21.4. 1921 bis 7. 11. 1921, von 18.2.1925 - 4.4.1925, unter Ministerpräsident Dr. Wilhelm Marx, (Zentrum) und schließlich ab 5.4.1925 - 30.1.1930, unter Ministerpräsident Dr. Otto Braun, Preußischer Kultusminister. Er setzte sich für eine republikanische Staatsgesinnung unter Lehrern und Schülern ein und förderte die Ausbildung der Volksschullehrer an Pädagogischen Akademien. 1926 begründete er die Deutsche Dichterakademie. Bis zu seinem Tode lebte Becker in Berlin, wo er 1933 verstarb. Zu Becker mwN.: Wolfgang W. Wittwer, in: Treue/Gründer, a.a.O., S. 252-267; Erich Wende, Carl Heinrich Becker. Mensch und Politiker. Ein biographischer Beitrag zur Kulturgeschichte der Weimarer Republik, Stuttgart 1959.

6Adolf Grimme (*31.12. 1889- † 27. 8.1963) hatte Philosophie und Germanistik studiert, zunächst die Lehrer- und alsbald die Verwaltungslaufbahn eingeschlagen. Nach kurzer Mitgliedschaft in der DDP trat Grimme 1922 in die SPD ein. Zuvor als Vizepräsident des Provinzialschulkollegiums von Berlin und Brandenburg tätig, wurde er in den Zeiten der schweren Wirtschaftskrise als Nachfolger Beckers preußischer Kultusminister (30.1.1930- 20.7.1932). Grimme blieb nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland und wurde am 11. Oktober 1942 verhaftet und am 3. Februar 1943 wegen Nichtanzeige eines Vorhabens des Hochverrats zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Von englischen Soldaten 1945 aus dem Hamburger Zuchthaus Fuhlsbüttel befreit, wurde er im August 1946 der erste Kultusminister Niedersachsens und wechselte im September 1948 als Generaldirektor zum Nordwestdeutschen Rundfunk, den er von der britischen Militärregierung übernahm und bis 1956 leitete. Bis zu seinem Tode 1963 kümmerte er sich vor allem um sein Präsidentenamt in der Studienstiftung des Deutschen Volkes und die Arbeit der "Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung". Zu Grimme: Diether Sauberzweig, in: Treue/Gründer, a.a.O., S. 285- 305.

7 Zum Bildungswesen in der Weimarer Republik mwN.: Philipp Eggers, § 1 Bildungswesen, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte/ im Auftrag der Freiherr-vom-Stein Gesellschaft e.V., hrsg. von Kurt G.A. Jeserich, Bd. IV: Das Reich als Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 1985, S. 349 ff.

8 Zur Studentenschaft am "Vorabend" des Dritten Reiches, s.: Michael H. Kater, Studentenschaft und Rechtsradikalismus in Deutschland 1928-1933, Hamburg 1975; Norbert Kampe, Studenten und die "Judenfrage" im deutschen Kaiserreich. Die Entstehung einer akademischen Trägerschicht des Antisemitismus, Göttingen 1988.

9 Siehe hierzu die Darstellung zum "Deutschen Hochschulring" bei: Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989, 3. Aufl., Bonn 1996, S. 51 ff.

10Sauberzweig, a.a.O, S. 298 ff.

11 Zitate ebd.

12 VO des Reichspräsidenten betreffend die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet des Landes Preußen vom 20. Juli 1932 und VO des Reichspräsidenten betreffend die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Groß-Berlin und der Provinz Brandenburg vom 20. Juli 1932 (beide in: RGBl. I, 377), sowie das Urteil des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich vom 23. / 25. Juli 1932, in: RGZ, Bd. 37, Anhang S. 65. Hierzu: Henning Grund, "Preußenschlag" und Staatsgerichtshof im Jahre 1932, Baden-Baden 1976; Hagen Schulze, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung, Frankfurt/Berlin/Wien 1977.

13Wilhelm Kähler (*5.2.1871, †14.2.1934) wurde 1900 zum Professor für Nationalökonomie an der Technischen Hochschule Aachen berufen. Nach dem Ersten Weltkrieg war er Rektor der Universität Greifswald und von 1921-1928 DNVP-Abgeordneter im Preußischen Landtag. Vgl. mwN. Michael Grüttner: Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik, Heidelberg, 2004, S. 86.

14 Preußisches Gesetz vom 29. Oktober 1932, PrGS 1932, S. 333. Bis zum 29. Oktober 1932 wurde das Kultusministerium kommissarisch durch das Zentrumsmitglied, Ministerialdirektor Alois Lammer, geführt.

15 Die Kunstangelegenheiten wurden 1933 dem neugeschaffenen "Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda" unter Leitung von Joseph Goebbels übertragen. Dafür wurde 1934 noch eine Abteilung "Körpererziehung" im Kultusministerium errichtet.

16 Zu Rust, s.u. II 3.

17 Vgl. hierzu: BernhardRust, Das preußische Kultusministerium seit der nationalen Erhebung, in: Friedrich Hiller (Hrsg.), Deutsche Erziehung im neuen Staat. 5 Lieferungen, Langensalza u.a. 1934, S. 38-40.

18 Der Gleichschaltungsprozess der Länder, euphemistisch als "Neubau des Reiches" bezeichnet, basierte auf dem Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, dem sog. "Ermächtigungsgesetz" vom 24. März 1933. Der erste Schritt zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich war das "Vorläufige Gleichschaltungsgesetz" vom 31. März 1933 (RGBl. I, S. 153) mit seinen Ausf.VOen. Insbesondere das "Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" vom 7. April 1933 (RGBl. I, S.153), das nach dem Änderungsgesetz vom 25. April 1933 "Reichsstatthaltergesetz" (RGBl. I, 173) genannt wurde, verschärfte die Entwicklung. Durch dieses Gesetz wurden die neu geschaffenen "Reichskommissare" in permanente "Reichsstatthalter" "umgewandelt", die "für die Beobachtung der vom Reichskanzler aufgestellten Richtlinien der Politik" Sorge tragen sollten. Sie hatten Informations- und - bei drohender Gefahr - Weisungsrechte gegenüber den Behörden und Körperschaften ihres Bezirkes und die Befugnis, Mitglieder der Landesregierungen zu ernennen und zu entlassen. Sie sollten "eine neue Klammer bilden zwischen dem Reich und den Ländern..., eine einheitliche Reichspolitik ermöglichen und so die Einheit des Reiches stärken", wie Reichspräsident Hindenburg bei der Vereidigung der Reichsstatthalter am 26. Mai 1933 betonte. Mit dem Gesetz über den Neuaufbau des Reiches im Frühjahr 1934 (RGBl. I, S. 75) verloren die Länder schließlich endgültig ihre Rolle als eigenstaatliche, politische Faktoren. Die Aufhebung der Volksvertretungen (§ 1) und die am 14. Februar 1934 erfolgte Auflösung des Reichsrates (RGBl. I, S. 89) waren äußere Kennzeichen dieser Entwicklung. Dennoch blieben die Länderorganisationen erhalten und das Reich übertrug den Länderbehörden die von ihm beanspruchten Hoheitsrechte am 2. Februar 1934 als Auftragsangelegenheit, da die Zentralinstanzen sonst keine Wirkungsmöglichkeit nach unten hatten (1. VO über den Neubau des Reiches, in: RGBl. I, S. 81). Vgl. hierzu mwN.: W. Baum, Die "Reichsreform" im Dritten Reich, in: VfZ 1955, S. 36 ff; Günther Neliba, Wilhelm Frick, Der Legalist des Unrechtsstaats, Paderborn 1992, S. 99 ff.; Uwe Bachnick: Die Verfassungsreformvorstellungen im nationalsozialistischen Deutschen Reich und ihre Verwirklichung, Berlin 1995.

19 RGBl. I 1934, S. 365. Zum REM aus NS-Perspektive: Otto Graf zu Rantzau, Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (Schriften der Hochschule für Politik, Reihe II, Heft 38 auch abgedruckt, in: Paul Meier-Benneckenstein (Hrsg.), Das Dritte Reich im Aufbau, Bd. 4; Der organisatorische Aufbau, Teil III, Berlin 1939, S. 232-277; aus DDR-Perspektive: Horst Diere, Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Zur Entstehung, Struktur und Rolle der zentralen schulpolitischen Institution im faschistischen Deutschland. In: Jahrbuch für Erziehungs- und Schulgeschichte 1982, N° 22, S. 107-120. Neuere Darstellung bei: Berhard vom Brocke, a.a.O. (2002).

20 Hierzu: Marnie Schlüter, Reichsschulpolitik zwischen zentralistischer Ambition und föderalistischer Tradition. Die Abteilung für Bildung und Schule im Reichsministerium des Innern 1919-1934. Diss. Münster, 2002.

21 RGBl. I 1934, S. 375.

22 Vgl.: Theodor Vahlen, Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung im nationalsozialistischen Staat, in: H.H. Lammers/ H. Pfundtner (Hrsg.), Die Verwaltungsakademie. Handbuch für den Beamten im nationalsozialistischen Staat, Berlin 1935. Überblick zur nationalsozialistischen Bildungspolitik bei: Philipp Eggers, § 16 Bildungswesen, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte/ im Auftrag der Freiherr-vom-Stein Gesellschaft e.V., hrsg. von Kurt G.A. Jeserich, Bd. IV: Das Reich als Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 1985, S. 966 ff und Horst Möller: "Wissensdienst für die Volksgemeinschaft." Bemerkungen zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik, in: Treue/Gründer, a.a.O, S. 307 ff.

23 Vgl. mwN. und variierenden Daten: Eggers, a.a.O., S. 969; Andreas Kraas, Lehrerlager 1932-1945. Politische Funktion und pädagogische Gestaltung, Bad Heilbrunn/Obb 2004, S. 70. Die Umbenennung der Reichs- und Preußischen Ministerien in "reine" Reichsministerien erfolgte durchgehend nach dem "Anschluss" Österreichs im Jahr 1938.

24 Vgl. Eggers, a.a.O., S. 970; P.D. Stachura, Das Dritte Reich und die Jugenderziehung, in: K.D. Bracher/ M. Funke/ Jacobsen (Hrsg.), Nationalsozialistische Diktatur, Düsseldorf 1983, S. 23; Geschäftsverteilung, in: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BAL) R 43 II, 1154, Bl.30 ff.

25 Zu Stuckart, S. II. 3. b. Zu dem Zerwürfnis von Stuckart und Rust, vgl. die Unterlagen der Neuen Reichskanzlei, in: BAL, R 43 II /1154. Nach Stuckarts Beurlaubung führte Siegmund Kunisch das Centralamt. Stuckarts Einwände wurden wenig später auch von einer Untersuchung der Oberrechnungskammer gestützt, die insbesondere die Dimension von Rusts Ministeramt rügte.

26 Zu Sunkel, s. II. 3. c. Der "Ministeramtschef" sollte die "Einheitlichkeit der Auffassungen der in seinem Amt tätigen Referenten" fördern und durfte dem Minister jederzeit Vortrag halten. Das "Ministeramt" sollte eine dem Minister "zu besonderer Verfügung stehende" Dienststelle sein, die "im Interesse einer einheitlichen Bearbeitung der kulturpolitischen Reformen auf dem Gebiete der Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung" Reformpläne nach den Richtlinien des Ministers inhaltlich vorbereiten sollte. Das Ministeramt war an Gesetzen und Erlassen grundsätzlicher Art "maßgebend zu beteiligen" und im Ministerium entstehende Reformpläne waren ihm "zur erstinstanzlichen inhaltlichen Vorbereitung zuzuleiten." Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) I. HA, Rep. 90, Bd. 883, Bl. 18.

27Karl Theodor Vahlen(*30.6.1869, †16.11.1945) leitete das "Amt Wissenschaft" bis April 1937. Sein Nachfolger war bis April 1937 der Chemiker Franz Bachér (*21.5.1894, †15.10.1987). Zu Vahlen, s. II 3 c.

28Helmuth Bojung (*1898 - ?) bestand seine juristischen Staatsexamina mit Auszeichnung und war seit März 1933 im preuß. Wissenschaftsministerium tätig, wo er bereits im Mai 1933 zum Ministerialrat und Referatsleiter ernannt wurde. Er galt Minister Rust "als außerordentlich befähigter, fleißiger und den Durchschnitt weit überragender Beamter von streng nationaler Gesinnung", der schon im Sommer 1934 zum Ministerialdirektor befördert wurde und ursprünglich die Zentralabteilung übernehmen sollte, vgl. GStA PK I. HA, Rep. 90, Bd. 883, Bl.17.

29August Jäger (*21.8.1887, †17.6.1949) war vor der Machtübernahme Landgerichtsrat in Wiesbaden. Er leitete bis April 1934 im Preußischen Kultusministerium die geistliche Abteilung (Abt. G) und setzte in Preußen eine harsche Gleichschaltungspolitik der Kirche u.a. durch Einsetzung eines Kirchenkommissars durch. 1936 wurde Jäger nach dem Scheitern seiner Kirchenpolitik Senatspräsident am Berliner Kammergericht. Im Herbst 1939 ging er als Stellvertreter des Reichsstatthalters nach Posen. Dort wurde er als "Henker Großpolens" vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und 1949 hingerichtet. Zu Jäger, mwN.: Klee, 2003, S. 280.

30Kraas, a.a.O., S. 71 (mwN.) weist darauf hin, dass die Zusammenarbeit des REM mit den Länderministerien weder einheitlich noch eindeutig geregelt gewesen sei - so seien einige Länderministerien dem REM nach-, andere offenbar gleichgeordnet gewesen. In der Regel haben die Länderministerien jedoch die Erlasse des REM umgesetzt, wobei sie ihren spezifischen Durchführungsbestimmungen folgten.

31 MwN. Kraas, a.a.O, 2004, S. 70 f.

32 Vgl.: "Behördengeschichte" im Findbuch zu GStA PK, I. HA, Rep. 76, Kultusministerium Dahlemer Bestandteil; Hans-Stephan Brather, (Findbuch) Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Bd. I: "Behörden- und bestandsgeschichtliche Einleitung" zum Reichsministerium für Wissenschaft Erziehung und Volksbildung, R 4901, maschinenschriftlich, Potsdam 1960, BAL.

33 Zum Schulwesen: Rolf Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik. Eine Studie zur Funktion der Erziehung im totalitären Staat, Köln-Opladen 1963; Manfred Heinemann (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Bd. 1: Kindergarten, Schule, Jugend, Berufserziehung; Bd. 2: Hochschule, Erwachsenenbildung, Stuttgart 1980; Hermann Schnorbach (Hrsg.), Lehrer und Schule unterm Hakenkreuz: Dokumente des Widerstands von 1930 bis 1945. 2. Aufl. Bodenheim 1995; Wolfgang Keim, Erziehung unter der Nazi-Diktatur, Darmstadt 1997; Barbara Schneider, Die höhere Schule im Nationalsozialismus: zur Ideologisierung von Bildung und Erziehung, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 101 ff. Zur Lehrerfortbildung, vgl.: Kraas, a.a.O. Zum Hochschul- und Forschungsbereich: Hellmut Seier, Der Rektor als Führer. Zur Hochschulpolitik des Reichserziehungsministeriums 1934-1945, in: VfZ 1964, S. 105 ff.; Notker Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt/M. 1989, S. 171 ff; ders., Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich: Wissenschaftspolitik in Republik und Diktatur 1920-1945, München 1999 S. 118 ff.; Helmut Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil 1- Der Professor im Dritten Reich: Bilder aus der akademischen Provinz. Teil 2- Die Kapitulation der Hohen Schulen: das Jahr 1933 und seine Themen, Band 1, München u.a. 1992; Band 2, München u.a. 1994; Frank-Rutger Hausmann, "Deutsche Geisteswissenschaften" im Zweiten Weltkrieg: die "Aktion Ritterbusch" (1940 - 1945) (Schriften zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte; Bd. 1, Dresden u.a. 1998; Michael Fahlbusch, Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften von 1931-1945, Baden-Baden 1998; Lothar Mertens, "Nur politisch Würdige". Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933-1937, Berlin 2004.

34Kraas, a.a.O, S. 71 gibt einen Überblick zum erziehungsgeschichtlichen Schrifttum, welches dem REM überwiegend nur geringe Wirksamkeit bescheinigt.

35 Zur "Polykratie der Ressorts", s. insbesondere: Franz Leopold Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, München 1984 (erste engl. Aufl. Oxford 1942); Gerhard Schulz, Die Anfänge des totalitären Maßnahmestaates, in: Bracher/Sauer/Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung, Bd. 2, S. 260 ff; Dieter Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989. Zu den unterschiedlichen NS-Organisationen im Bildungsbereich, s. Eggers, a.a.O., S. 971.

36 Zum "Amt Rosenberg": Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner, Stuttgart 1970; Robert Cecil, The myth of the master race: Alfred Rosenberg and Nazi Ideology, London 1972; Fritz Nova, Alfred Rosenberg: Nazi theorist of the holocaust, New York 1986; Andreas Molau: Alfred Rosenberg: der Ideologe des Nationalsozialismus; eine politische Biographie, Koblenz 1993.

37Michael H. Kater, Das "Ahnenerbe" der SS 1935-1945: ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches. 2. Aufl. München 1997.

38 Zur Akademie für deutsches Recht, vgl.: Dennis Le Roy Anderson, The Academy for German Law, 1933-1944, New York/London 1987; H. Hattenhauer, Die Akademie für Deutsches Recht (1933-1944), in: JuS 1986, S. 680-684; Hans-Rainer Pichinot, Die Akademie für Deutsches Recht. Aufbau und Entwicklung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft des Dritten Reichs, Diss. iur., Kiel 1981.

39 Hierzu: Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschtums, Stuttgart 1966.

40 Dieser Terminus ist der Hitlerbiographie Ian Kershaws (3. Aufl., Stuttgart 2000) entlehnt.

41Hammerstein, a.a.O. (1999), S. 120.

42 RGBl. 1933, I, S. 175.

43Möller, a.a.O., S. 316.

44 Vgl. Möller, a.a.O, S. 317; Eggers, a.a.O, S. 982.

45 RMBl. Dt. Wiss. 1935, S. 12-14.

46 RGBl. 1935 I, S. 23. Hierzu der damalige Leiter des "Amtes Wissenschaft" im REM, Theodor Vahlen: "Das Hochschullehrergesetz ermöglichte neben der Verjüngung des nunmehr judenfreien Lehrkörpers einerseits einen von allen Schwierigkeiten und Hindernissen des Berufungsverfahrens losgelösten freien Austausch von Hochschullehrern innerhalb des ganzen deutschen Reichsgebiets, andererseits die Aufhebung von Lehrstühlen oder ihre anderweitige Zweckbestimmung mit der Folge, der Entpflichtung des bisherigen Inhabers", s. : Vahlen, a.a.O., S. 9.

47 Zit. nach: Hammerstein, a.a.O., 1999, S. 119.

48 A.a.O.

49 Vgl. Möller, a.a.O., S. 308 ff.

50 Rede des Reichsinnenministers Dr. Frick im Berliner Sportpalast am 29. Januar 1934, zit. n.Möller, a.a.O, S. 309.

51 Rede Rusts anlässlich der 550-Jahr-Feier der Heidelberger Universität zum Thema "Nationalsozialismus und Wissenschaft am 23. Juni 1936, zit. nach Möller, a.a.O., S. 310 ff.

52 Vgl. Darstellung bei Möller, a.a.O, S. 311 ff.

53 RGBl. 1933 I, S. 225.

54 Vgl. MwN.: Möller, a.a.O, S. 314.

55 Hierzu mwN.: Paul Weindling, Health, Race and German Politics between national Unification and Nazism 1870-1945, Cambridge 1989; Peter Weingart, Rasse, Blut und Gene: Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland/von Peter Weingart, Jürgen Kroll und Kurt Bayertz, 2. Auflage, Frankfurt a.M. 1996.

56 Rede Rusts anlässlich der Grundsteinlegung der wehrtechnischen Fakultät durch Hitler im Grunewald in Berlin am 27. November 1937, zit. nach Möller, a.a.O., S. 315

57 Zu Rust: s. Hanna Behrend, Die Beziehungen zwischen der NSDAP-Zentrale und dem Gauverband Südhannover-Braunschweig 1921-1933, Frankfurt/M. 1981, S. 146-152; Ulf Pedersen, Bernhard Rust. Ein nationalsozialistischer Bildungspolitiker vor dem Hintergrund seiner Zeit, Braunschweig 1994; Schneider, a.a.O., 2000, S. 327-332; Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Frankfurt 2003, S. 516; Hermann Weiß (Hrsg.), Personenlexikon 1933-1945, Wien 2003, S. 392 f.; Grüttner, a.a.O., (2004), S. 143. Unter Rusts Namen erschienen nur einige amtliche Reden und Stellungnahmen, darunter: Bernhard Rust/Ernst Kriek: Das nationalsozialistische Deutschland und die Wissenschaft. Schriften des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland, Hamburg 1936, 35 S.; Rust, Das preußische Kultusministerium seit der nationalen Erhebung, in: Friedrich Hiller (Hrsg.), Deutsche Erziehung im neuen Staat. 5 Lieferungen, Langensalza u.a. 1934, S. 38-40; ders., Reichsuniversität und Wissenschaft: zwei Reden, gehalten in Wien am 6. November 1940, Berlin 1940, 27 S.

58 Seine Entlassung aus dem Schuldienst im Jahre 1927 war gerüchteweise "Sittlichkeitsverfehlungen" geschuldet und wie Robert Ley wurde auch Rust eine Neigung zum Alkoholismus nachgesagt. Obgleich ihm seinerzeit amtsärztlich "Arbeitsunfähigkeit, pathologische Bewusstseinsstörungen, Anfälle von Größenwahn" bescheinigt wurden, erhielt er ab 1929 eine ordentliche Pension. MwN. Schneider, a.a.O., S. 330.

59Das Amt des Gauleiters hatte Rust - neben seiner Tätigkeit als REM bis 1940/41 weiter inne. Neben Goebbels war er der einzige Minister, der nebenbei ein Amt als Gauleiter innehatte.

60AlanBullock, Hitler. Eine Studie über Tyrannei, Düsseldorf 1967, S. 720, zit. nach Schneider, a.a.O., S. 329.

61 MwN. zu den "Tischgesprächen", s. Schneider, a.a.O, S. 330 f.

62 Zit. nach Klee, a.a.O.

63 Vgl. Befragung Stuckarts durch seinen Verteidiger Curt v. Stackelberg in Nürnberg am 1. Oktober 1948, in: Staatsarchiv Nürnberg (StA N), KV Prozesse, Fall 11, Nr. A 163, S. 23877. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Stuckart in seiner Verteidigung bestrebt war, sich gegenüber Rust als "Gemäßigten" zu präsentieren.

64Klee, a.a.O.

65 Aussage des Leiters der Schulabteilung, Dr. Helmut Bojunga, in der Zeugenbefragung am 17. Juli 1953 vor dem Landesverwaltungsgericht (LVG) Hannover, Bl. 238 ff., als Beiakte zum Sühneverfahren gegen W. Stuckart vor der Berliner Spruchkammer, in: LAB Rep 031-02-01, Nr. 12647.

66 Zit. nach Klee, a.a.O.

67 Nach Aussage des Ministerialrates Dr. Georg Hubrich vom 17. Juli 1953 vor dem LVG Hannover begann Rust gleich nach seinem Dienstantritt als neuer Erziehungsminister damit, die alten Beamten zu entfernen und deren Stellen mit - vielfach fachlich ungeeigneten - Parteileuten zu besetzen, in: Bl. 231 ff., als Beiakte im Sühneverfahren gegen W. Stuckart vor der Berliner Spruchkammer, in: LAB Rep 031-02-01, Nr. 12647. Zu den "personellen Konsequenzen der Machtergreifung" s. Günter Püttner, Der öffentliche Dienst, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. VI, S. 1082 ff.

68 Der Begriff wird von Ullrich Herbert in seiner Biographie von Heydrichs zeitweiligem Stellvertreter Dr. Werner Best gebraucht (Best, Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989, 3. Aufl., Bonn 1996). Als Merkmale der generationellen Prägung der "Kriegsjugendgeneration", die viele Mitglieder der späteren Führungsschicht des Dritten Reiches stellte, nennt Herbert: "ein ausgeprägtes generationelles Selbstbewusstsein sowie (...) eine frühe politische Betätigung in rechtsradikalen Zirkeln außerhalb der NSDAP." Hierzu traten "die akademische Ausbildung als Juristen, beruflicher Ehrgeiz und Aufstiegswille sowie eine Affinität zu den Elite- und Ordensvorstellungen der SS", vgl. a.a.O., S. 194. Der Ansatz ist in der Untersuchung zur Führungsebene des RSHA von Michael Wildt fortgeführt worden (Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002). Nach Michael Wildt war der nachträglich idealisierte erste Weltkrieg für viele Angehörige der Generation der um 1900 Geborenen ein "bohrender Stachel der verpassten Chance der Bewährung", der dazu führte, dass sie sich zu einer "Generation des Unbedingten" entwickelten, die mit der Vergangenheit brach und ihren Blick auf Zukünftiges lenkte. Zukunft galt diesen Kritikern einer "morschen", depressiven Bürgerwelt nicht als das Ergebnis nüchterner Abwägungen oder Kompromisse, sondern als dezisionistisches Projekt: "als Frage des Willens und der geistigen Kraft." In einer Akzentverschiebung zu der Arbeit von Herbert, der als prägendes generationelles Merkmal insbesondere die "kalte Sachlichkeit" ausmachte - die im Hinblick auf die Verfolgung einer rassischen Utopie keinen Raum für Empathie mit den Opfern ließ, ohne jedoch so etwas wie Hass zuzulassen - hebt Wildt die Energie und Leidenschaft hervor, mit der sich die jungen Führungskräfte ihre Stellung im NS-Staat eroberten: Hinter der "Maske der Sachlichkeit" habe sich bei Ihnen der unbedingte Wille zur ideologischen Tat verborgen. Deren Ausführung war dann aber ebenso eine Frage der Umstände wie der Institutionen: Nicht ein eliminatorischer Antisemitismus im Sinne des amerikanischen Historikers J. Goldhagen, sondern die spezifischen nationalsozialistischen Herrschaftsstrukturen begünstigten die Genese des Zivilisationsverbrechens, dessen Exekutoren die jungen Führungskräfte des NS wurden. Vgl. hierzu die Rezension von Norbert Frei, "Volksgemeinschaft und 'kämpfende Verwaltung'", in: Süddeutsche Zeitung v. 30. Januar 2004, S.14.

69Wildt, a.a.O, S. 24 ff. weist zurecht darauf hin, dass das Generationsprofil zwar Aufschluss über das spezifische politische Weltanschauungsprofil geben kann, dass Generation und Weltanschauung als Analysefaktoren alleine jedoch nicht ausreichen. Zwar strukturieren diese Elemente die Wahrnehmungen und Erfahrungen; sie disponieren indes keineswegs zwangsläufig zur Beteiligung an Genozidverbrechen. Auch Herbert, a.a.O, S. 42 weist auf die Problematik der Verwendung des Generationsbegriffes als historische Kategorie hin, da nicht exakt definiert werden könne, was "eine Generation" jeweils ausmache. Dies führe stets dann zu Schwierigkeiten, wenn versucht werde, "Generation" als generell gültige, für den gesamten historischen Prozess konstitutive Kategorie heranzuziehen.

70 MwN. zur Biographie Stuckarts: Dieter Rebentisch, Die Staatssekretäre im Reichsministerium des Innern, in W. Michalka (Hrsg.): Der zweite Weltkrieg, München 1989, S. 260-274; ders.: Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989, S. 104 ff; ders.: Wilhelm Stuckart (1902-1953), in: K:G.A. Jeserich / Neuhaus: Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648-1945, herausgegeben im Auftrag der Freiherr-vom-Stein Gesellschaft e.V., Stuttgart, Berlin, Köln 1991, S. 474-478; Hammerstein, a.a.O. (1999), S. 138 ff.; Peter Weber, die Mitwirkung der Juristen an der Wannseekonferenz, in: Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2005, N° 7, S. 207 ff.; Der Verfasser dieses Artikels arbeitet derzeit an einer rechtshistorischen Biographie zu Stuckart.

71 Die preußische Regierung hatte mit Beschluss vom 25. Juni 1930 basierend auf dem - nach dem Mord an Mathias Erzberger und Walter Rathenau - 1921 erlassenen Gesetz zum Schutz der Republik ihren Beamten und Richtern, die Mitgliedschaft und jedes öffentliche Eintreten für die NSDAP und die KPD untersagt; vgl. Ministerialblatt der inneren Verwaltung (MBliV), 1930, S. 598. Eine Betätigung in KPD und NSDAP wurde als Verletzung der sich aus dem Beamtenverhältnis ergebenden Treuepflicht angesehen; der betreffende Beamte machte sich eines Dienstvergehens schuldig. Dieses Verbot wurde im Juni 1932 in Bezug auf eine Betätigung in der NSDAP aufgehoben (MBliV, 1932, S. 773). Zur Entstehungsgeschichte des "Radikalenerlasses": GStA PK, I. HA, Rep. 84 a, 3157; Rep 90, 478 mit umfassender Denkschrift zur Entstehungsgeschichte und Gefährlichkeit der NSDAP; vgl. hierzu: Jasper Gotthard, Der Schutz der Republik. Studien zur staatlichen Sicherung der Demokratie in der Weimarer Republik 1922-1930, Tübingen 1963; Wolfgang Runge, Politik und Beamtentum im Parteienstaat; Hermannjosef Schmahl, Disziplinarrecht und politische Betätigung der Beamten der Weimarer Republik, Berlin 1977. Die Demokratisierung der politischen Beamten in Preußen zwischen 1918-1933, Stuttgart 1965; Hans Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur nationalsozialistischen Beamtenpolitik, Stuttgart 1966, S. 21, macht gleichwohl deutlich, dass es der NSDAP schon 1929 gelang, unter der Beamtenschaft zahlreiche Anhänger zu gewinnen. Als Berufsgruppe waren Beamte bereits vor dem 1. September 1930 in der Mitgliedschaft der NSDAP überrepräsentiert.

72Erich Wende würdigte Carl Heinrich Beckers Leben und Werk in einer Biographie: Carl Heinrich Becker. Mensch und Politiker. Ein biographischer Beitrag zur Kulturgeschichte der Weimarer Republik, Stuttgart 1959. Stuckart gab nach dem Krieg an, dass er sich mit Erfolg für die Weiterverwendung Wendes als Landgerichtsdirektor beim preußischen Justizminister Kerrl eingesetzt habe. Wende habe ihm hierfür einen "sehr warmen Dankesbrief" geschrieben; vgl. BA Koblenz N 1292/ 35.

73 Am 29. Mai 1933 unterzeichnete GöringStuckarts Ernennung. Am darauf folgenden Tag wurden ihm zusätzlich die Leitung der Unterabt. U II A (Schulaufsicht), U II B (Lehrerbildung und Fortbildung), U II C (Innere Schularbeit) und U II D (Rechtliches Verhältnis der Lehrer) übertragen; am 17. April 1934 übernahm Stuckart zusätzlich die Unterabteilung G II (katholische Angelegenheiten), vgl. BAL R 1501/ Personalakte Stuckart, Bl. 3, 9, 33. Nach dem Krieg gab Stuckart an, dass er aufgrund seiner "fachlichen Vorbildung" und nicht aus politischen Gründen, ins preuß. Wissenschaftsministerium berufen wurde; seine politische Parteizugehörigkeit sei hierbei allenfalls "unterstützend hinzugetreten." Aussage Stuckarts vom 1. Oktober 1948, in: StA Nürnberg, KV Prozesse, Fall 11, Nr. A 163, S. 23876. Auch Grauert sagte aus, dass durch Entsendung eines "befähigten Juristen" im Kultusministerium"geordnete Verhältnisse"geschaffen werden sollten. Rusts "Personalpolitik" - insbesondere die Neubesetzung von Stellen mit fachlich ungeeigneten "Parteileuten" - hätte zu chaotischen Zuständen geführt. Vgl. Aussage Grauerts vom 17. Juli 1953 vor dem LVG Hannover, Bl. 228 ff als Beiakte zum Sühneverfahren gegen W. Stuckart vor der Berliner Spruchkammer, in: LAB Rep 031-02-01, Nr. 12647.

74 BA R 1501/ Personalakte Stuckart, Bl. 18.

75 Die Ernennung zum preuß. Staatsrat war eine besondere Auszeichnung, mit der Göring "herausragende" Persönlichkeiten in Preußen ehrte. Die tatsächliche Bedeutung des preuß. Staatsrates ist nach wie vor wenig erforscht, vgl. mwN. Andreas Koenen, Der Fall Carl Schmitt: Sein Aufstieg zum "Kronjuristen des Dritten Reichs", Darmstadt 1995, S. 427, Fn.1, 428-448. Ursprünglich war der Staatsrat nach der preuß. Verfassung von 1920 - neben dem preuß. Landtag - als Vertretung der preuß. Provinzen vorgesehen. Sein letzter Präsident vor der Machtübernahme der Nazis war Konrad Adenauer. Durch Gesetz vom 8. Juli 1933 wurde der preußische Staatsrat neu errichtet. Er sollte Göring als Beratergremium dienen. Zu den etwa 70 Räten gehörten Mitglieder der preußischen Verwaltung, die für Preußen zuständigen Gauleiter, Partei-, SS- und SA-Vertreter aber auch berufsständische Vertreter aus Wissenschaft, Arbeit, Wirtschaft und den Kirchen. Neben Nazigrößen wie SA-Chef Ernst Röhm, dem"Führer der DAF" Robert Ley, den"RFSS" Heinrich Himmler,Bernhard Rust, den preuß. Justizminister Hans Kerrl, dessen Staatssekretär Roland Freisler, "Reichsbauernführer" Walter Darré, dem Staatssekretär im preuß. Innenministerium Ludwig Grauert waren hier auch Industrielle, wie der "Held des Abwehrkampfes an der Ruhr", Fritz Thyssen, und der "Kronjuristen des Dritten Reiches", der damals im Zenit seiner Karriere stehende Carl Schmitt, versammelt. Anlässlich einer Pressekonferenz im Juli 1933 erklärte Göring, dass den Staatsräten eine besonders herausgehobene Stellung "unmittelbar hinter den Ministern" und "über allen anderen Beamten der preuß. Verwaltung" zukommen sollte. Entsprechend dieser Stellung sollte jedes Mitglied des preuß. Staatsrats mit dem Titel "Staatsrat" angeredet werden.

76 Vgl. hierzu GStA PK, I. HA, Rep. 90, Bd. 883, Bl. 16: Am 28. Juni 1934 schlug RustStuckarts Ernennung zum Staatssekretär im REM vor und erbat hierzu gem. § 18 der GO der Reichsregierung deren Zustimmung. In dem umseitig beigefügten Lebenslauf zu Stuckart heißt es: "Nach zweijähriger Leitung einer deutschnationalen Jugendgruppe 1922 Eintritt in die NSDAP und Mitgliedschaft bis zur Auflösung (sic!), 1926 Rechtsberater der Ortsgruppe Wiesbaden der NSDAP, später Gaurechtsstellenleiter und Rechtsreferent der Untergruppe Pommern-West der SA. / Im Mai 1933 erfolgte Einberufung Dr. Stuckarts in das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung." Kopie der Ernennungsurkunde, in BAL R 1501/ Personalakte Stuckart, Bl. 47.

77 BAL R 1501/ Personalakte Stuckart, Bl. 48.

78 Zur Entstehung der GGO vom 2. September 1926, in Kraft seit dem 1. Januar 1927, s. die Darstellung ihres Schöpfers, des damaligen Abteilungsleiters im RMdI, Arnold Brecht zus. mit Comstock Glaser, The Art and Technique of Administration in German Ministries, Cambridge, Mass. /London 1940; Arnold Brecht: Aus nächster Nähe. Lebenserinnerungen 1884-1927, Stuttgart 1966. Die GGO galt auch nach 1933 weiter.

79 Zur Stellung und Rolle der Staatssekretäre im NS-Staat siehe: Christopher R. Browning, The Government Experts, in: The Holocaust: Ideology, Bureaucracy, and Genocide: the San José Papers, ed. by Henry Friedländer and Sybil Milton, Millwood, N.Y. 1980, S. 183-197; Ders.: Unterstaatssekretär Martin Luther and the Ribbentrop Foreign Office, in: Journal of Contemporary History 1977, N° XII, S. 313-344; Michael Förster, Jurist im Dienste des Unrechts: Leben und Werk des ehemaligen Staatssekretärs im Reichsjustizministerium, Franz Schlegelberger (1876-1970), 1. Aufl., Baden-Baden 1995; R.M.W. Kempner, Die preußische Bürokratie auf der Anklagebank: Anklagerede gegen den Angeklagten Wilhelm Frick gehalten am 16. Januar 1946 von M.W. Kempner vor dem Int. Militär-Tribunal in Nürnberg, Baden-Baden 1946; Hans Mommsen, Aufgabenkreis und Verantwortlichkeit des Staatssekretärs der Reichskanzlei Dr. Wilhelm Kritzinger, in: Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1966; Günter Neliba, Staatssekretär Paul Körner-Görings Gehilfe in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft, in: Die Verwaltung 1996, S. 87-122; Ders.: Die vier Staatssekretäre des NS-Reichsjustizministeriums (1933-1945), in: Die Verwaltung 1994, S. 195-237; Dieter Rebentisch, Die Staatssekretäre im Reichsministerium des Innern, in: W. Michalka (Hrsg.) : Der zweite Weltkrieg, München 1989, S. 260-274; Ders.: Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989; Gerhard Stuby, Friedrich W. Gaus. Vom Kronjuristen des Deutschen Reiches zum Kronzeugen der Anklage, in: 1999 Zeitschrift für Sozialgeschichte 2000, S. 78 - 99; Martin Wein, Die Weizsäckers. Geschichte einer deutschen Familie, Stuttgart 1988 (zu: Staatssekretär Ernst Heinrich von Weizsäcker 1882-1951, Frieden und Nation über alles, Das Außenamt und die Judenverfolgung, S. 204 ff).

80 BAL R 43 II, 1154, Bl. 20 ff.

81 Siegmund Kunisch (*2.6. 1900, † 22.1.1978) studierte nach dem Ersten Weltkrieg Rechtswissenschaften und betätigte sich als Burschenschafter sowie in verschiedenen völkischen Organisationen. Er trat 1925 die NSDAP ein und wurde SA-Oberführer. Er wurde nach der großen Staatsprüfung 1927 vom preußischen Justizministerium aus politischen Gründen von der Beamtenlaufbahn ausgeschlossen und betätigte sich u.a. in Essen als Rechtsanwalt und Ortsgruppenleiter der NSDAP in Witten. Im April 1933 wurde er persönlicher Referent des preuß. Justizministers Kerrl und von 1934- 1936 kommissarischer Staatssekretär und zugleich von 1934 bis Kriegsende als Nachfolger Stuckarts Chef des "Centralamtes" und zeitweilig auch Amtschef "Volksbildung" im REM, seit 1935 im Rang eines Ministerialdirektors. Im Krieg war Kunisch bei der Wehrmacht. 1950 wurde er im Rahmen der Entnazifizierung in Kategorie IV ("Mitläufer") eingestuft und war als Rechtsanwalt in Hagen tätig; vgl. mwN.: Hammerstein, a.a.O., (1999), S. 138 f.; Klee, 2003, S. 352; Grüttner, a.a.O. (2004), S. 104 f.

82 GStA PK, I. HA, Bd. 883, Bl. 34 ff. Albert Holfelder (*21.5.1903 , † 3.5.1968) war seit 1933 NSDAP-Mitglied und seit 1934 Professor an der Hochschule für Lehrerbildung in Kiel. Im März 1934 wurde er als Referent für Lehrerbildung im REM tätig. 1935 trat er in die SS ein, 1940 hatte er den Rang eines SS-Standartenführers inne. Von 1936- 1938 war er persönlicher Referent bei Rust und Chef des Ministeramtes. Seit dem Frühjahr 1938 leitete er als Ministerialdirektor das "Amt Erziehung". Nach dem Krieg betätigte er sich als Lektor beim Georg-Westermann Verlag; vgl. mwN. Grüttner, a.a.O. (2004), S. 78.

83 BAL R 43 II/ 1154, Bl. 95: In einem Schreiben des Chefs der Reichskanzlei H.H.Lammers an Rust vom 7. November 1935 heißt es: "Der Führer glaubt eine Entscheidung erst treffen zu können, nachdem er mit Ihnen über die Angelegenheit nochmals persönlich gesprochen hat."

84Werner Zschintzsch (*26.1.1888 , † 1.7.1953) war nach seinem Jurastudium und seiner Teilnahme im Ersten Weltkrieg von 1924-1933 als Referent und seit 1926 als Ministerialrat im preußischen Innenministerium tätig. Von 1920-1922 Mitglied der DNVP. 1933 Eintritt in die NSDAP und Ernennung zum Regierungspräsident in Wiesbaden. Von 1936-1945 Staatssekretär im REM. Seit 1936 Mitglied der SS, 1937 im Rang eines SS-Oberführers. 1949 in Hildesheim im Rahmen der Entnazifizierung Einstufung als Mitläufer, vgl. Grüttner, a.a.O. (2004), S.189; Eidesstattliche Aussage von Zschintzsch im Nachlass W. Stuckarts, BA Koblenz, N 1292 /37.

85 Auch nach seiner Entlassung aus dem REM konnte Stuckart seine Karriere in der NS-Verwaltung fortsetzen. Nach einer kurzen Verwendung als OLG-Präsident in Darmstadt wurde er im März 1935 - wiederum durch Vermittlung Ludwig Grauerts - zum Abteilungsleiter mit dem Titel und den Bezügen eines Staatssekretärs im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern (RMdI) ernannt. Dort leitete er die Verfassungsabteilung und wirkte an der Rassengesetzgebung und den Reichs- und Verwaltungsreformplänen des RMdI mit. 1936 trat er in die SS ein - um Aufnahme in die SS hatte er schon 1933 ersucht - und wurde jeweils am "Tag der Machtübernahme", dem 30. Januar, bis 1944 zum SS-Obergruppenführer befördert. Als Staatssekretär und Stabsleiter des Generalbevollmächtigten für die Verwaltung (GBV, W. Frick mit H. Himmler als Vertreter) war er während des Krieges intensiv mit Verwaltungsorganisations- und -reformfragen, sowie mit Siedlungs-, Volkszugehörigkeits-, Grenzziehungs- und "Judenangelegenheiten" befasst. Er nahm am 20. Januar 1942 an der Wannseekonferenz zur "Endlösung der Judenfrage" teil. Als amtierender Innen- und Volksbildungsminister der Regierung Dönitz wurde Stuckart am 26. Mai 1945 verhaftet und schließlich im sog. Wilhelmstraßenprozess (4.11.1947-4.4.1949) zu 3 Jahren und 10 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die Strafe galt jedoch - im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand und die vorherige Internierung - als verbüßt. Nach seiner Freilassung war er im Bund der Heimatvertriebenen (BHE) aktiv und wurde Geschäftsführer des Instituts zur Förderung der niedersächsischen Wirtschaft in Hannover. Er starb bei einem Autounfall einen Tag vor seinem 51. Geburtstag. Vgl. BAL SSO Stuckart, Wilhelm, 16.11.1902. Veröffentlichungen u.a.: Stuckart, "Probleme der Verwaltung", in: Hans Frank (Hrsg.), Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1936; ders., Die Staatsverwaltung, in Handbuch des Verwaltungsrechts, 1936; Grundprobleme der Verwaltungsreform, Jahrbuch für Kommunalwissenschaft N° 5, 1938; Neubau des Reiches, in: Tag des deutschen Rechts 1939, hrsg. vom Deutschen Rechtswahrerbund, 1939, S. 588-601; zus. mit Hans Globke: Reichsbürgergesetz vom 15. Sept. 1935, 1936; zus. mit R. Schiedermair: Rassen- und Erbpflege in der Gesetzgebung des Dritten Reiches, 1. Aufl., 1938; 2. Aufl. 1940; 3. Aufl. 1942; 4. Aufl. 1943.

86 In: StA Nürnberg, KV Prozesse Fall 11, Nr. A 163, S. 23877. Auf Befragen erklärte Stuckart, dass hierfür auch seine gemäßigte "Stellungnahme" zum GzWBB ausschlaggebend gewesen sei, da es auch deswegen zu einer Auseinandersetzung mit einer Reihe von Gauleitern und mit Rusts engerer Umgebung gekommen sei, die aus radikalen Parteigängern bestanden habe: "Rust und sein Kreis empfanden mich als Hemmschuh für ihre radikalen Parteiziele. Deswegen mußte ich gehen."

87Dr. Georg Hubrich(*21.12.1890- ?) studierte Rechts- und Staatswissenschaften und war seit 1922 im Preußischen Kultusministerium tätig. Im April 1928 wurde er zum Ministerialrats befördert und war für die Verwaltung des Fonds für Schulbauten zuständig. Im Frühjahr 1935 wurde Hubrich offenbar auf Betreiben W. Stuckarts ins Reichsinnenministerium geholt. Bereits 1936 firmierte im Geschäftsverteilungsplan als Gruppenleiter für das Sachgebiet "Staatsangehörigkeit und Rasse". Hubrich, der vor 1933 in der DVP aktiv war, trat am 1. Mai 1937 der NSDAP bei und wurde im April 1941 zum Ministerialdirigenten befördert, vgl. BAL R 2/ 11685, Bl. 146; 11689, Bl. 130 ff. Im Dezember 1939 erschien ein Aufsatz Hubrichs in der von Stuckart herausgegebenen "Deutschen Verwaltung" (DV) mit dem Titel: "Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete" (DV 1939, S. 605 ff.), indem Hubrich die deutschen Verwaltungsstrukturen im zerstörten polnischen Staat beschrieb. Nach dem Krieg wohnte Hubrich in Hamburg und war als Finanzdirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks unter Leitung des ehemaligen letzten demokratischen Kultusministers A. Grimme tätig.

88 Zeugenbefragung G. Hubrichs am 17. Juli 1953, in: Verfahrensakten vor dem LVG Hannover, Bl. 231 ff., als Beiakte im Sühneverfahren gegen W. Stuckart vor der Berliner Spruchkammer, in: LAB Rep 031-02-01, Nr. 12647.

89 Ebd.

90 Eidesstattliche Versicherung von Erwin Gentz vom 25. März 1948, in: BAL 99 US 7 Fall XI /865, Bl. 31 ff.

91 Die Erkenntnis, dass der "Rasseverderb" die Ursache für den Untergang früherer Reiche bilde, war für Stuckart die "sittliche Rechtfertigung für die Maßnahmen des nationalsozialistischen Staates auf dem Gebiet der Rassenpflege und Rassenhygiene." Hierbei zählte er explizitdie Einführung des "Arierparagraphen" für das Berufsbeamtentumund weitere Maßnahmen des NS-Staates auf.

92Stuckart lehnte sich in seiner Broschüre eng an Postulate des Reichsinnenministers Frick an. Frick hatte sich bereits am 9. Mai 1933 in einer programmatischen Rede vor den Ministerpräsidenten für die "einheitliche organische Gestaltung des deutschen Bildungswesens" ausgesprochen. Zur Festigung der Macht müsse die Grundlage in der Erziehung des Volkes geschaffen werden. Bei der Beschäftigung mit der Geschichte müsse "die völkische Entwicklung aus dem Boden und den Rasseverhältnissen" der eigenen Heimat erlebt werden. Ein "Hauptstück der Geschichtsbetrachtung" sollten die "letzten beiden Jahrzehnte" bilden, damit u.a. den Schülern auch eine "zu Opfer und Mithilfe bereite Gesinnung" für das Drittel aller Deutschen außerhalb des Deutschen Reiches geweckt werde. Ebenso sprach sich Frick für die Einführung der "Rassenkunde" und erbgesundheitliche Aufklärung notwendig. Den Unterrichtsverwaltungen der Länder empfahl Frick, die "Wehrhaftmachung der Schuljugend" durch "körperliche Ertüchtigung" zu befördern. Abschließend ging Frick auf das "Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen" vom 25. April 1933 ein, das den Zugang zu Bildungseinrichtungen für "nichtarische Personen" reglementierte und damit der Abwehr des "geistigen Einflusses" der "Fremdstämmigen" diene. Vgl.: Wilhelm Frick: Kampfziel der deutschen Schule, Schriften zur politischen Bildung, XI. Reihe, Erziehung, Heft 1, Langensalza 1933 (Ansprache auf der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9.5.1933); P.D. Stachura: Das Dritte Reich und die Jugenderziehung, in: K.D. Bracher/M. Funke/Jacobsen (Hrsg.), Nationalsozialistische Diktatur, Düsseldorf 1983, S. 224-228; Vgl. auch Neliba, a.a.O. 1992, S.127.

93 Zu Sunkel: Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil 2, Die Kapitulation der Hohen Schulen: das Jahr 1933 und seine Themen, Band 2, München/London/ New York/ Paris 1994, S. 383 f, 454 ff; Grüttner, a.a.O. (2004), S. 172.

94 Die Universitätsabteilung des Ministeriums wurde zunächst von Georg Gerullis, dann vertretungsweise von Joachim Haupt und schließlich als "Amt Wissenschaft" ab April 1934 von Theodor Vahlengeleitet, der wiederum von seinem Mitarbeiter, dem Chemiker Franz Bachér, abgelöst wurde.

95 Zu Gerullis, mwN.:Grüttner, a.a.O. (2004), S. 59. Klee, a.a.O., 2003, S. 181; HelmutHeiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil 2. Die Kapitulation der hohen Schulen: Das Jahr 1933 und seine Themen. Bd. 2, München u.a. 1994, S. 327 ff; S. 545 ff.

96 Zu Haupt mwN., s. Grüttner, a.a.O (2004), S. 71.

97 Zu Vahlen, s.: Kyra T. Inachin, "Märtyrer mit einem kleinen Häuflein Getreuer". Der erste Gauleiter der NSDAP in Pommern Karl Theodor Vahlen, in: VfZ 2001, S. 31 ff; Klee, 2003, S. 637; Grüttner, a.a.O. (2004); Hammerstein, a.a.O. (1999), S. 124 ff; Heiber, a.a.O. (1966), S. 117, 643.

98 Die Daten sind in der gesichteten Literatur uneinheitlich.

99H. Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil 1,Der Professor im Dritten Reich: Bilder aus der akademischen Provinz, München/ London/ New York/ Paris 1991, S. 392.

100 BAL R 26 III/220.

101 Zu Achelis: mwN. Klee, a.a.O. (2003), S. 10; Hammerstein, a.a.O. (1999), S. 124.

102 Vgl. hierzu Günter Püttner, Der öffentliche Dienst, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. VI, S. 1082 ff. Stuckart schrieb im Februar 1933 in einem Bericht an den damaligen Kommissar im Preußischen Innenministerium und späteren Chef der Ordnungspolizei, Kurt Daluege, über die Besetzung von Stellen in Pommern mit Nazis, dass der "eine oder andere Marxist", der sich in leitender Stellung befände, unter Zuhilfenahme des § 107 Abs. 2 der preuß. Disziplinarstrafordnung vom 27. Januar 1932 für nichtrichterliche Beamte problemlos "abgebaut" werden könne, in: BAL BDC-Orpo / A 446.

103 RGBl. 1933, I, S. 175; Das Gesetz wurde u.a. von einem Kenner des Beamtenrechts aus der Weimarer Zeit, dem Abteilungsleiter im Reichsministerium der Finanzen, Oskar Georg Fischbach, Reichsgesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, Berlin 1933 und dem späteren Leiter der "Untergruppe Beamtentum" der Abt. II im Reichs- und Preuß. Ministerium des Innern, Johann Baptist Seel, Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, 2. Aufl., Berlin 1934, kommentiert. Fischbach publizierte auch noch nach 1945 zur Beamtengesetzgebung: Deutsches Beamtengesetz, Detmold u.a. 1951. Zur Entstehungsgeschichte und zu den Auswirkungen des GzWBB: H. Mommsen, a.a.O. (1966); Hans Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums. Handbuch des öffentlichen Rechts, Bd. 1, hrsg. von Walter Wiese, Köln/Berlin/Bonn/München 1980, S. 378 ff; ders.: Zum Beamtenleitbild des 20. Jahrhunderts, Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.): NS-Recht in historischer Perspektive, München/Wien 1981, S. 109 ff.; U. D. Adam, Judenpolitik Dritten Reich, Düsseldorf 1979, S. 51 ff.; D. Majer, "Fremdvölkische" im Dritten Reich. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berücksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements, Boppard 1981, S.157- 169; H.G. Merz, Beamtentum und Beamtenpolitik in Baden, Freiburg/ München 1985, S. 276-292.

104 Vgl. Püttner, a.a.O, S. 1084, Anm. 9.

105J. B. Seel, in: Deutsches Beamtenrecht, 1933, S. 9 ff.

106 Dieses "Frontkämpferprivileg" ging auf ein Schreiben Hindenburgs an Hitler vom 4. April 1933 zurück, in welchem der Reichspräsident dem "Führer" kundtat: "In den letzten Tagen sind mir eine ganze Reihe von Fällen gemeldet worden, in denen kriegsbeschädigte Richter, Rechtsanwälte und Justizbeamte von untadeliger Amtsführung lediglich deshalb zwangsbeurlaubt wurden und später entlassen werden sollen, weil sie jüdischer Abstammung sind." Eine solche Behandlung kriegsbeschädigter Beamter sei für Ihn persönlich "ganz unerträglich." "Wenn sie (es) wert waren, für Deutschland zu kämpfen und zu bluten, sollen sie auch als würdig angesehen werden, dem Vaterlande (...) weiter zu dienen." Vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden. 1 Band., Frankfurt/M.:1990, S. 88 f; Volltext des Hindenburgbriefes und das Antwortschreibens von Hitler bei: Walter Hubatsch, Hindenburg und der Staat, Göttingen 1966, S. 375-378.

107 Vgl. J. B. Seel: Ausklang des Berufsbeamtengesetzes- Neues Beamtenrecht, in: Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 1934, S. 148 ff.

108Horst Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im "Dritten Reich", Entrechtung und Verfolgung, 2. Aufl., München 1990, S. 61.

109 RGBl. 1933 I, S.141.

110 RGBl. 1933 I, S.195.

111 Zit. nach mwN. R.Hilberg, a.a.O. (1990), S. 36. die NSDAP hieß damals noch Deutsche Arbeiter Partei und wurde im März in NSDAP umbenannt. Hitler verlas das Programm am 24. Februar 1920, vgl. Reginald Phelps, Hitler als Parteiredner im Jahre 1920, in: VfZ 1963, S. 274 ff.

112Sievert Lorenzen: Die Juden und die Justiz, 2. Aufl., Berlin 1934, S. 173 ff.; Eine anschauliche Darstellung des beruflichen Schicksals des Leiters des Ausländerreferates im preuß. Innenministerium, Rathenau, aufgrund der Anwendung des GzWBB liefert Rink, a.a.O. (2002), S. 200 ff. Zu den personellen "Säuberungen" in der Justiz, s. Lothar Gruchmann: Justiz im Dritten Reich 1933-1940: Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner. 2. Aufl., München 1990, S. 124 ff.

113 Im planmäßigen höheren Dienst 6.560 Beamte, davon 500 "Nichtarier", in Beförderungsstellen 152; als Gerichtsassessoren 3879 Beamte, davon 238 "Nichtarier"; als Referendare 10.246 Beamte, davon 938 "Nichtarier" und in den übrigen Dienstzweigen 24.496 Beamte, davon 28 "Nichtarier",.

114 286 Beamte des planmäßigen höheren Dienstes aus, 203 "nichtarische" Gerichtsassessoren, 873 "nichtarische" Referendare und 11 "nichtarische" Beamte der übrigen Dienstzweige.

115 Zur Frage der Befreiungen nach § 7 der VO, s. John M. Steiner / Jobst Freiherr v. Cornberg, Willkür in der Willkür. Befreiung von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen, in: VfZ 1998, S. 144- 187;

116 RGBl. 1935 I, S. 1333 f.

117 RGBl. 1935 I, S. 1146.

118 Zur Entstehung der Nürnberger Gesetze, s. vor allem die Monographie von Essner, a.a.O. (2002), S. 76 ff. Das Reichsinnenministeriums (RMdI) wies in einem Runderlass vom 9. Dezember 1935 zu § 4 Abs. 2 der 1. VO zum Reichsbürgergesetz nochmals ausdrücklich darauf hin, dass die Ausfüllung der Fragebögen zum GzWBB "unverzüglich zu veranlassen" sei; in Zweifelsfällen sei ein Gutachten der Reichstelle für Sippenforschung einzuholen. Nach "getroffener Feststellung" war der "nichtarische" Beamte "mit tunlichster Beschleunigung" in den Ruhestand zu versetzen. Zudem sollte den Betroffenen "möglichst umgehend" ein Pensionsbescheid erteilt werden. Zudem sollten nunmehr auch die Ehefrauen erfasst werden. Mit Runderlass vom 20. Dezember 1935 legte das RMdI dann fest, dass der "Übertritt" jüdischer Beamter ipso iure erfolge. Vgl. MBliV Nr. 51, Nr. 52, in: BAL R 1501/5515.

119 Zur Verfolgung jüdischer Wissenschaftler: Edward Yarnall Hartshorne, The German Universities and National Socialism, Cambridge-Mass. 1937; Rudolf Schottländer (Hrsg.), Verfolgte Berliner Wissenschaft. Ein Gedenkwerk. Zusammengestellt von Rudolf Schottländer, 1. Auflage, Berlin 1988; Horst Göppinger, a.a.O., (1990); W. Benz, Von der Entrechtung zur Verfolgung und Vernichtung. Jüdische Juristen unter dem nationalsozialistischen Regime, in: Helmut Heinrichs (u.a.) (Hrsg.): Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993; Stefan Höpel, Die "Säuberung" der deutschen Rechtswissenschaft - Ausmaß und Dimensionen der Vertreibung nach 1933, in: Kritische Justiz 1993, S. 438 ff.; Konrad Jarausch, Die Vertreibung der jüdischen Studenten und Professoren von der Berliner Universität unter dem NS-Regime, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte, Bd.I, Stuttgart 1988; Ders., Die Vertreibung der jüdischen Studenten und Professoren von der Berliner Universität unter dem NS-Regime, Vortrag vom 15. Juni 1993, Berlin 1993.

120 Vgl. hierzu: Horst Möller, Exodus der Kultur: Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler in der Emigration nach 1933, München 1984; ders., Wissenschaft in der Emigration - Quantitative und geographische Aspekte, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, Bd. 7, 1984, S.1-9; Tilmann Buddensieg u.a.(Hrsg.), Emigration. Deutsche Wissenschaftler nach 1933. Entlassung und Vertreibung, Berlin 1987; Hans-Peter Benöhr, Jüdische Rechtsgelehrte in der deutschen Rechtswissenschaft, in: Judentum im deutschen Sprachraum, hg. von Karl E. Grötzinger, Frankfurt/M. 1991, S. 280-308; Konrad Jarausch, Jewish Lawyers in Germany 1848-1938. The Desintegration of a Profession in Leo Baeck Institute Yearbook N° 36, 1991, S. 171-190; Gunther Kühne, Juristenemigration 1933-1945 und der Beitrag deutscher Emigranten zum Rechtsleben in Israel, in: NJW 1996, S. 2966 ff.; Werner Röder/ Herbert Strauss (Hrsg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933- International Biographical Dictionary of Central European Emigrés, München 1980-1983; E.C. Stiefel, Die deutsche juristische Emigration in den USA, in: JZ 1988, S. 421ff.; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Dritter Band 1914-1945, München 1999, S. 254-299.

121Möller, a.a.O., (1987), S. 316.

122Ebd, S. 320 f.

123Jarausch, a.a.O., 1993, S. 14.

124 Hierzu: Anna- Maria Gräfin von Lösch, Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933, Tübingen 1999; Stolleis, a.a.O., 1999, S. 259; Zu Ernst Rabel: Rolf-Ulrich Kunze, Ernst Rabel und das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und Internationales Privatrecht 1926-1945, Göttingen 2004

125 Vgl. mwN.: Lösch, a.a.O., S. 167 ff.

126 Zit. nach Göppinger, a.a.O, S. 195; Schottländer, a.a.O., S. 34. In seiner Rede anlässlich der 550-Jahr-Feier der Heidelberger Universität zum Thema "Nationalsozialismus und Wissenschaft" am 23. Juni 1936 stellte Rust noch einmal heraus, dass die Entlassungen von Hochschullehrern nicht auf wissenschaftliche Gründe zurückgingen, sondern, dass man sie, wie er sich ausdrückte, "als Parteigänger einer politischen Lehre, die den Umsturz aller Ordnungen auf ihre Fahnen geschrieben hatte", beseitigt" habe zit. nach Möller, a.a.O. (1987), S. 310 ff.

127Schottländer, S.33 f.

128 Vgl. hierzu die Erste VO zur Durchführung des GzWBB vom 11. April 1933, RGBl. 1933 I, S. 195.

129 Eidesstattliche Versicherung des ehemaligen Ministerialdirektors im Preußischen Kultusministerium, Gustav Rothstein, geboren am 16. Juni 1874 und von 1932 bis Frühjahr 1933 Leiter der Abteilung "Höheres Schulwesen" vom 19. Februar 1948, in: BAL 99 US 7 Fall XI, 865, Dokumentenbuch III A. Nach Erinnerung von Erwin Gentz waren die Mitarbeiter der Kommissionen sogar überwiegend "alte Beamte des Kultusministeriums"; Parteimitglieder seien demgegenüber in der Minderzahl gewesen, vgl. Eidesstattliche Versicherung von Erwin Gentz vom 25. März 1948, in: BAL 99 US 7 Fall XI/865, Bl. 31 ff.

130 Das Preußische Kultusministerium war für die Universitäten Berlin, Bonn, Breslau, Frankfurt, Göttingen, Greifswald, Halle, Kiel, Köln, Königsberg, Marburg, Münster sowie die Technischen Hochschulen Aachen, Berlin, Breslau, Hannover, die Medizinische Akademie Düsseldorf und die Akademie Braunschweig zuständig.

131 Eidesstattliche Versicherung Gustav Rothstein, vom 19. Februar 1948, in: BAL 99 US 7 Fall XI, 865, Dokumentenbuch III A.

132Ebd.

133 § 2 GzWBB hatte im Hochschulbereich keine praktische Bedeutung.

134 Vgl.: Manfred Gailus, Für Gott, Volk, Blut und Rasse. Der Berliner Pfarrer Karl Themel und sein Beitrag zur Judenverfolgung, in: DIE ZEIT, N°44 vom 25. Oktober 2001, S.100.

135Gentz und Rothstein gaben in ihren o.g. eidesstattlichen Versicherungen für Stuckarts Verteidigung im Nürnberger Prozess im Hinblick auf den Schulbereich an, dass Stuckart seine Aufgabe sehr ernst genommen habe und stets bestrebt gewesen sei, den "wirklichen Sachverhalt" aufzuklären. Er habe sich "nie mit der Aufzählung der Partei- oder Verbandszugehörigkeit" eines Betroffenen begnügt, sondern stets durch Zeugen namentlich erhärtete Angaben zur Betätigung verlangt. Erst nach "reiflichster Prüfung" habe er Stellung genommen und stets "nur nach sachlichen Gesichtspunkten" entschieden. Hierbei habe er die Mängel des Gesetzes gesehen, nach dem aufgrund objektiver Daten des Beamten eine Entscheidung über die subjektive, innere Einstellung und Haltung getroffen werden mußte. Angesichts dieser Gründlichkeit hätten politische Gegner Stuckart vorgeworfen, dass es ihm an "politischem Schwung" ermangelt, und dass er - ein "typischer Formaljurist" - zu viele "kleinliche rechtliche Bedenken" geltend gemacht hätte. Stuckart habe demgegenüber besonderen Wert darauf gelegt, dass in der Kommission Juristen den bestimmenden Einfluss ausübten. Hierbei habe er Wert darauf gelegt, dass neu hinzugezogene Juristen Examina hatten, die mit besser als "ausreichend" bewertet worden waren.

136 Vgl. Stuckarts Stellungnahme zum Anklagepunkt "Vorbereitung eines Angriffskrieges", in: BA Koblenz N 1292/35.

137 Anstelle von Stuckart zeichneten zuweilen Achelis, Haupt oder der Leiter der Kirchenabteilung, August Jäger als Vertreter gegen.

138Stuckart betonte in einer Anfang September 1934 verfassten Stellungnahme zur Rolle und Funktion des Staatssekretärs im Kultusministerium, dass er sich "als gewissenhafter Mensch" für alle Vorgänge, die er abzeichne, dem Minister gegenüber "in erster Linie verantwortlich sehe", weshalb er umfassend beteiligt und informiert werden müsse, in: Institut für Zeitgeschichte München, F 129/18 bzw. BAL R 43 II, 1154, Bl. 20 ff. Diese Aussagen illustrieren, dass Stuckart seine Tätigkeit und die damit verbundene Verantwortung sehr ernst nahm und sich trotz großer Belastung intensiv mit den ihm vorgelegten Vorgängen beschäftigte. Ein bloßes "Abzeichnen" ohne nähere Lektüre oder Prüfung des Vorganges entsprach nicht seinem Stil. Er war vielmehr zu sehr sorgfältiger und gewissenhafter Bürokrat, um die "Dinge schleifen zu lassen." Dies machen auch Randbemerkungen an Vorgängen seiner Mitarbeiter deutlich. Stuckart zeichnete die ihm vorgelegten Vorgänge nicht nur geschäftsmäßig ab, ohne von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen, sondern prüfte und änderte sie, wenn ihm dies rechtlich geboten oder politisch opportun erschien. Den von ihm unterzeichneten Schreiben ging - sofern er sie nicht selbst entwickelte - eine sorgfältige Prüfung der von seinen Referenten entwickelten Konzepte voraus. Ein beliebtes Verteidigungsargument der "Schreibtischtäter", die später mit ihren Mitzeichnungen konfrontiert, behaupteten vom Inhalt der abgezeichneten Vorgänge, nichts gewusst zu haben, ist daher für Stuckart auf jeden Fall zu widerlegen. Vgl. zur Problematik der Paraphierung verbrecherischer Erlasse die Darstellung zu Ernst v. Weizsäcker bei: Wein, a.a.O., 1988, S. 304 ff.

139 Vgl. z.B. die Entlassungen der Professoren Kleinmann, Levinsohn, Goldmann, in: GStA PK, I. HA, Rep 76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 46 adhc, Bd.1, Bl. 791, 798, 804.

140 Vgl. z.B. RMBl. v. 29. März 1934, N° 14, S. 272.

141 Einige dieser Fälle wurden von Anna-Maria Gräfin von Lösch in ihrer Promotionsschrift zur Juristischen Fakultät der Friedrich Wilhelm Universität zu Berlin bereits untersucht und eindrucksvoll dargestellt, s. Lösch, a.a.O.

142 Zu James Goldschmidt (*1874 , † 1940) s. Göppinger 1990, S. 283.

143 Zu Fritz Schulz, s. Lösch, a.a.O., S. 190 ff.

144Wenzeslaus Graf v. Gleispach (*22.8.1876 , † 12.3.1944) wurde 1907 Professor in Prag; 1915 erhielt er einen Lehrstuhl in Wien. Er kam 1934 als Prof. für Strafrecht und Direktor des kriminalistischen Instituts nach Berlin. Weitere Angaben zu Gleispach bei Klee, a.a.O.2003, S. 186; Koenen, a.a.O. 1995, S. 640; Lösch, a.a.O.1999; Göppinger, a.a.O.1990, S. 385.

145 GStA PK, I. HA, Rep 76 a Sekt. 2 Tit. IV, Nr. 45, Bd. XIV; vgl. mwN: Lösch, a.a.O., S. 186 mit Verweis auf HUB-A Jur. Fakultät, Nr. 498, Bl. 109 und HUB-A UK-Per. Nr. G 140-I, Bl. 31.

146 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 2 Tit IV, Nr. 46, Bd. 29, Bl. 196 ff.

147 Zu C. Schmitts Rolle bei der Bekämpfung des "jüdischen Geists", s. Hasso Hofmann, Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist, in: Karlheinz Müller/ Klaus Wittstadt (Hrsg.): Geschichte und Kultur das Judentums, Würzburg 1988, S. 223-240; Raphael Gross, Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre, Frankfurt a.M. 2000; Koenen, 1995, S. 353 ff.

148Stuckart hatte damals festgehalten: "Erich Kaufmann ist während der Systemzeit als Sachverständiger in Reparationsfragen nach Berlin berufen und hier mit Hilfe des Reiches besoldet worden." "Die besonderen Aufgaben die Kaufmann damals zu erfüllen hatte, sind heute erledigt; soweit dies nicht der Fall ist, können sie von dem Völkerrechtler Bruns erledigt werden. Ich halte es daher für richtig, daß Kaufmann aus Berlin nach seiner Heimatuniversität Bonn zurückversetzt wird", in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 a V a Sekt. 2 Tit. IV Nr. 45 A, Bl. 114, dazu: Lösch, a.a.O. ,S. 202, Fn. 377; Koenen, 1995, S. 639. Stuckart hatte in einem anderen Schreiben unter dem 7. September 1933 der Juristischen Fakultät der F.W. Universität mitgeteilt, dass die "Anwesenheit des Staatsrates Schmitt in Berlin außerdem aus staatspolitischen Gründen erforderlich" ist, Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 76 a Sekt. 2 Tit. IV, Nr. 45, Bd. XIV. Zu Kaufmanns weiterem Schicksal s. Koenen 1995, S. 635 ff.

149 Vgl. mwN. Lösch, a.a.O., S. 214f.

150 MwN. Lösch ,a.a.O., S. 210 ff; Zu Max Alsberg: Gerhard Jungfer, Max Alsberg (*1877 ,† 1933). Verteidigung als ethische Mission, in: Kritische Justiz (Hrsg.): Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, Baden-Baden 1988, S. 153 ff; Curt Riess, Der Mann in der schwarzen Robe. Das Leben des Strafverteidigers Max Alsberg, 1965; Claus Seibert, Zur Erinnerung an Max Alsberg, in: NJW 1966, S. 1643; Werner Sartedt, Max Alsberg. Ein deutscher Strafverteidiger, in: Anwaltsblatt 1978, S. 7 ff.

151 Als Verteidiger kümmerte sich Alsberg jedoch nicht um die politische Haltung seiner Mandanten und vertrat beispielsweise auch die Interessen des im Exil lebenden Kaisers Wilhelm II.

152 GStA PK, I. HA, Rep. 76 a Sekt. 2 Tit. IV, Nr. 45 Bd. XIV, Bl. 56.

153 3. DVO zum GzWBB, v. 6.5. 1933, RGBl.I, S. 245.

154 Zit. nach Lösch, a.a.O., S. 211, Stuckart vom 6. September 1933, GStA PK , I. HA Rep. 76 Va Sekt.2 Tit. IV, Nr. 45 Bd. XIV, Bl. 55 Rs.

155 Kurz vor seinem Tode soll er geäußert haben: "Alles woran ich hing, ist zusammengebrochen. Ich lebe nun einmal in der deutschen Jurisprudenz. Nichts hat mich so ausgefüllt wie die Beschäftigung mit ihr."

156Eugen Mittwoch (*1876 , † 1942) wurde in der Gegend von Posen geboren und galt als eioner der bekanntesten Orientalisten seiner Zeit. Seit 1907 unterrichtete er orientalische Sprachen. Während das ersten Weltkrieges war er für das AA tätig. 1919 wurde er Professor für semitische Sprachen an der Berliner Universität. Während der 30iger Jahre war er für das Berliner Büro des American Joint Distribution Committee tätig. Er emigrierte schließlich nach London, wo er 1942 starb. Seine Veröffentlichungen wurden von Walter Gottschalk in einer "Festschrift" zu seinem 60. Geburtstag zusammengestellt, in: www.jct.ac.il.

157 GStA PK, I. HA, Rep. 76 Va Sekt. 2 Tit IV Nr. 68 E Bd. 8, Bl. 230 f.

158 GStA PK, I.HA, Rep. 76 V a Sekt. 2 Tit. IV Nr. 68 B Bd. IV, Bl.419. Stuckart zeigte sich von diesem Schreiben, dass er am 17. August 1933 abzeichnete, offenbar beeindruckt. Ausweislich des in den Akten erhaltenen - von Stuckart abgezeichnetem - Konzeptschreibens erhielt Chnouck Hurgronje am 13. September 1933 einen Zwischenbescheid, wonach Mittwochs Verbleiben im Amt z.Zt. noch einer Prüfung unterliege.

159Ernst Lewy (*1881 , † 1964).

160 GStA PK, I. HA, Rep.76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 68 B Bd. 4, Bl. 376.

161 Tatsächlich hatte sich Lewy nach eigenen Angaben schon 1910 habilitiert, vgl. GStA PK, I. HA, Rep.76 Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 68 E Bd. VII, Bl. 212.

162 GStA PK, I. HA, Rep.76 V a Sekt. 2 Tit. IV Nr. 68 E Bd. VII, Bl. 208 ff. Der finnische Kultusminister a.D., E. Setälä hatte Lewy bescheinigt seit 1922 auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft "vorzügliche Untersuchungen" geleistet habe, und darum gebeten, dass er "seine wissenschaftliche Arbeit auf dem finnisch-ugrischen Gebiet, welches so spärlich in Deutschland vertreten ist, zu(m) Nutzen der Wissenschaft fortsetzen könnte."

163Ebd.

164 GStA PK, I. HA, Rep.76 Va Sekt. 2 Tit IV Nr. 68 E Bd. VII, Bl. 244 ff. Am 20. April 1934 rief Lewy das Ministerium um Hilfe an, da der Transport seiner Bücher nach Berlin durch das Bezirksamt Mellrichstadt/Unterfranken unterbunden wurde und das Finanzamt Würzburg sein Konto gesperrt hatte. Das Ministerium half auch in diesem Falle mit Schreiben an die zuständigen Dienststellen ab und unterrichtete Lewy hiervon in Spanien, vgl. ebd. Bl. 483-488.

165 G StA PK, I. HA, Rep.76 Va Sekt.2 Tit IV Nr. 46 adhc Bd. II, Bl. 30 ff.

166Otto Krayer (*22.10.1899 ,† 18.3.1982) leistete 1917/18 Kriegsdienst an der Westfront und studierte von 1919-1924 in Freiburg, München und Berlin Medizin. Er habilitierte sich 1929 in Berlin und wurde nach dem Tode seines Mentors Paul Trendelenburg geschäftsführender Direktor des pharmakologischen Instituts in Berlin. Den Ruf auf den Lehrstuhl Ellingers lehnte er ab (s.o) und ging 1934 als Rockefeller Fellow nach London, von 1934-1937 nach Beirut, 1937-1939 nach Harvard. 1938 erhielt er einen Ruf an die Universität Peking, blieb aber in Harvard, wo er bis 1966 das Department of Pharmacology leitete. Er starb 1982 in Tucson, Arizona. Zur Biographie Krayerssiehe: www.pharmakologie.uni-freiburg.de/krayer/lit.htm .

167 GStA PK I. HA, Rep. 76 V a Sekt. 2 Tit. IV Nr. 53 Bd. 20, Bl. 439 ff.

168 Vermerk von Achelis, a.a.O.

169 Von dieser Entscheidung setzte Stuckart auchdie Universität Göttingen, an der Krayer damals forschte, umgehend in Kenntnis.

170 Der Pharmakologe Prof. Dr. Wolfgang Heubner (*1877 , † 1957) wurde 1910 ordentlicher Professor an der Universität Göttingen. 1929 ging er nach Düsseldorf und 1930 erhielt er einen Ruf nach Heidelberg. Seit 1932 lehrte er an der Berliner Universität an der er seine Karriere auch während der NS-Zeit fortsetzte. Seine regimekritische Haltung wurde offenbar im Hinblick auf seine für die Wehrmacht wichtigen Forschungen toleriert. Heubner setzte seine Karriere 1949 als angesehener Pharmakologe an der Freien Universität Berlin fort. 1933 hatte Heubner, der mit Krayer befreundet war, von diesem ein Schreiben erhalten: "Ich bin mir vollkommen klar darüber, dass die Maßnahme gegen die jüdischen Wissenschaftler eine politische Maßnahme ist. Mich trifft sie nicht als politisches Subjekt, sondern als moralisches Subjekt, dessen Handeln vor dem Forum der Ethik zu verantworten ist. Ich habe nie daran gedacht, mich für Herrn Ellinger einzusetzen. Es handelt sich gar nicht um eine Person. Es handelt sich um ein ethisches Phänomen in mir, über das ich nicht hinweggehen kann, ohne vor mir selbst schamrot zu werden." Zu Heubner: Johanna Therese Kneer, Wolfgang Heubner: Leben und Werk. Diss Med., Tübingen 1989; Hans Herken, Die Berliner Pharmakologie in der Nachkriegszeit. Erinnerungen an ein Stück bewegter Universitätsgeschichte der Jahre 1945-1960, Berlin 1999.

171 GStA PK, I. HA, Rep.76 V a Sekt. 2 Tit. IV Nr. 46 Bd. 29, Bl.271-275.

172Rhoda Erdmann (*5.12.1870, † 23.8.1935) war zunächst als Volksschullehrerin tätig und studierte von 1903 bis 1908 Zoologie, Botanik und Mathematik in Berlin. 1908 promovierte sie in München und trat eine Stelle als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am Institut für Infektionskrankheiten bei Robert Koch (1843-1910) in Berlin an. Sie widmete sich vor allem der Protozoenkunde und der Zytologie. Ihr erster Antrag, sich als Frau 1913 zu habilitieren, wurde 1913 von der Wissenschaftsverwaltung abgelehnt. Daher ging sie für sechs Jahre als Research Fellow nach Yale, wo sie sich mit den modernsten experimentellen Methoden der Zellforschung und Gewebezüchtung vertraut machte. In Yale und Princeton war sie als Lecturer für Biologie tätig. 1919 kehrte sie nach Deutschland zurück und es gelang ihr, vor allem dank der Fürsprache des Charité-Pathologen Johannes Orth (1847-1923) eine Abteilung für experimentelle Zellforschung - zunächst am Institut für Krebsforschung der Charité - einzurichten. Im Juli 1920 konnte sie sich dann endlich an der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität als zweite Frau nach Paula Hertwig (1889-1983) habilitieren und gehörte zu den ersten an der Berliner Universität wirkenden Professorinnen. 1923 wurde sie als Privatdozentin an die Medizinische Fakultät der Berliner Universität übernommen und erhielt 1924 eine nichtbeamtete außerordentliche Professur. Im Jahre 1929 wurde sie beamtete a. o. Professorin.

Nach der Machtübernahme durchsuchten im August 1933 Polizeibeamte das Institut und ihre Privatwohnung und verhafteten Erdmann. Sie wurde für zwei Wochen im Polizei-Untersuchungsgefängnis am Alexanderplatz festgehalten. Im Februar 1934 schrieb Erdmann über die gegen sie erhobenen Vorwürfe an einen befreundeten Professor in den USA: "Die Anklagen ... sind die lächerlichsten, die ich mir denken kann, 1. daß ich Jüdin sei, 2. daß ich zum Verein Sozialistischer Ärzte gehöre, 3. daß ich Sozialdemokratin bin, 4. daß ich Beziehungen mit einem Sowjet-Kommissär hätte, 5. daß ich meinen jüdischen Schülern Stellen verschafft hätte..." Letzteres sei allerdings "das einzige, was einigermaßen zutrifft, ich habe Herrn Löwenthal ein Stipendium verschafft ... " Obwohl sich die meisten Anschuldigungen als haltlos erwiesen und die ausgesprochene Entlassung zunächst wieder rückgängig gemacht wurde, wurde Erdmann im Mai 1934 endgültig in den Ruhestand versetzt. Das Institut für experimentelle Zellforschung wurde am 1. Juni 1934 aufgelöst. Erdmann starb ein Jahr später in Berlin; Zu Erdmann: mwH. Peter Schneck, in: www.hu-berlin.de/presse/zeitung/archiv/96_97/num_697/14.html .

173 Vgl. GStA PK, I. HA, Rep.76 Va Sekt. 2 Tit IV Nr. 46 Bd.29, Bl. 150 ff.

174 A.a.O, Bl.178

175 GStA PK, I. HA, Rep 76 Va Sekt. 2 Tit IV Nr. 46 adhc Bd. II.

176 Das Beispiel des späteren Staatssekretärs im Bundesjustizministerium Walter Strauß, der am 10. November 1934 als Assessor im preußischen Justizdienst und als "Nichtarier", der an den Spartakistenkämpfen im März 1919 beteiligt war, von Staatssekretär Roland Freisler ebenfalls nach § 6 GzWBB in den Ruhestand versetzt wurde zeigt, dass § 5 und § 6 GzWBB auch in anderen Ressorts als "Auffangnormen" verwendet wurden. Hierzu: Friedemann Utz, Preuße, Protestant, Pragmatiker. Der Staatssekretär Walther Strauß und sein Staat, Tübingen 2003, S. 34 ff. Nach einem Affidavit von Stuckarts Kollegen im Preußischen Kultusministerium und später im RMdI, Georg Hubrich, war die Anwendung von § 6 GzWBB in der Ministerialbürokratie Standard für derartige Fälle, vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, durchgesehene und erweiterte Ausgabe, Frankfurt/M. 1990, S. 90.

177Case N° 11, Ministries Trial/ "Wilhelmstraßenprozeß", the U.S. vs. von Weizsäcker and Others, Vgl.: Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Bd. XII-XIV, Washington o.J.; Zum "Wilhelmstrassenprozess": Robert M.W. Kempner/ Carl Haensel: Das Urteil im Wilhelmstrassenprozeß, Schwäbisch Gmünd 1950; Rainer A. Blasius, Fall 11: Der Wilhelmstrassenprozeß gegen das Auswärtige Amt und andere Ministerien, in: Gerd R. Ueberschär, Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943-1952, 1999, S. 187- 198.

178 Anklageschrift im Fall Nr.11 die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Ernst von Weizsäcker et al., Nürnberg 1947, S. 13, in: BA Koblenz N 1292/95

179 Offenbar handelte es sich hierbei um einen rechtstechnischen Schachzug der Anklage, die das 1933/34 geschehene Unrecht, das eigentlich außerhalb des zeitlichen Mandates (1935-1945) der alliierten Militärgerichtsbarkeit in Deutschland lag, vor Gericht zu behandeln.

180 BA Koblenz N 1292/ 35.

181 Diese Aussage wurde durch die eidesstattlichen Versicherungen seiner ehemaligen Mitarbeiter, Gustav Rothstein, vom 19. Februar 1948, in: BAL 99 US 7 Fall XI, 865, Dokumentenbuch III A und Erwin Gentz vom 25. März 1948, in: BAL 99 US 7 Fall XI/865, Bl. 31 ff., bestätigt.

182 Sitzungsprotokoll der Verhandlung vor dem Militärgerichtshof Nr. IV am 4. Oktober 1948 in: Staatsarchiv Nürnberg KV Prozesse Fall 11 Nr. A 164, S. 24062 ff.

183 Auf die Frage, wie er jeweils votiert habe, wiederholte er, dass er nicht "in verschärfendem Sinne votiert" hätte, sondern sei vielfach sogar hinter den Voten der Kommission zurückgeblieben und habe hierdurch die Anwendung des GzWBB verhindert.

184Hans Carl Maria Alfons Peters (5.9.1896 - 15.4.1966) studierte Rechtswissenschaften in Münster, Wien und Berlin und bestand das Staatsexamen mit Auszeichnung. Er habilitierte sich 1925 in Breslau. Seit 1923 gehörte Peters der Zentrumspartei an. 1928 wurde er als Referent ins Preußische Kultusministerium berufen, wo er später zum "Generalreferent der Universitäten" wurde. Ob er seine Tätigkeit auch unter Rust fortsetzte, ist unklar. 1928 wurde Peters als a.o. Professor an der Berliner Universität tätig und veröffentlichte eine Arbeit zum Thema "Zentralisation und Dezentralisation". 1932/33 gehörte er als Zentrumsmitglied dem Preußischen Landtag an und vertrat die Regierung Braun nach "Papens Preußenschlag" vor dem Staatsgerichtshof. Seit 1933 war er Mitglied der katholischen Görres Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaften. 1937 unternahm Peters eine Vortragsreise nach Brasilien, weitere Reisen wurden von SD und Partei nicht befürwortet. Seit 1936 war Peters als Reserveoffizier für die Luftwaffe tätig, 1940/42 war er im Luftwaffenführungsstab. Zudem war Peters Mitglied des Kreisauer Kreises und soll rassisch Verfolgten Unterstützung geleistet haben. Peters blieb 1945 zunächst an der Berliner Universität und wurde im Februar 1946 zum Vertreter der CDU für die Nürnberger Prozesse berufen. Während des Wilhelmstraßenprozesses referierte er zu staatsrechtlichen Fragen im Nationalsozialismus. 1949 wechselte Peters auf einen Lehrstuhl an die Universität Köln, wo er 1964/65 die Rektorenwürde innehatte. Zu Peters, Lösch, a.a.O. S. 302 ff:

185Stuckarts Verteidiger hatte geltend gemacht, dass das GzWBB keinesfalls eine typisch nationalsozialistische Erfindung sei, sondern vielmehr eine "zwangsläufige Folge des Systemwechsels, wie sie sich in Deutschland nach 1945 auch zeitigte" und wie sie in anderen Ländern etwa den USA auch gebräuchlich sei. Hierzu wurde auf die Executive Order 9835 von Präsident Harry S. Truman vom 21. März 1947, in der Maßnahmen angeordnet wurden, wonach politisch illoyale Beamte entlassen werden konnten, und auf eine Meldung in "Die Zeit" vom 25. März 1948 verwiesen, wonach der englische Ministerpräsident verkündet hatte, dass die Regierung alle Mitglieder der Kommunistischen Partei aus den für die Sicherheit des Staates lebenswichtigen Stellen entfernen wird. Vgl. Aussage von Georg Hubrich vom 27. Mai 1948 und Folgedokumente, in: BAL 99 US 7 Fall XI /865, Bl.40 ff.

186 Sitzungsprotokoll, in: Staatsarchiv Nürnberg KV Prozesse Fall 11 Nr. A 164, S. 24065.

187 BA Koblenz N 1292/ 35.

188 In Stuckarts Nachlass im BA Koblenz (N 1292) finden sich zahlreiche, überwiegend bestellte, eidesstattliche Versicherungen, die seine Verteidiger zur Entlastung in Nürnberg angesammelt hatten. Vielen ehemaligen Mitarbeitern lag daran, neben Stuckart, mittelbar auch sich selbst zu entlasten. Teilweise begann sogar ein reger Austausch von "Persilscheinen" im Hinblick auf laufende Entnazifizierungsverfahren.

189 Vgl.: BAL 99 US 7, Fall XI, 865, Dok. Nr. 300, Bl. 4 sowie Zeugenbefragung Bojungas am 17. Juli 1953, in: Verfahrensakten vor dem LVG Hannover, Bl. 238 ff., als Beiakte im Sühneverfahren gegen Stuckart vor der Berliner Spruchkammer, in: LAB Rep 031-02-01, Nr. 12647

190 Eidesstattliche Versicherung vom 24. April 1948, in: BAL 99 US 7, Fall XI/865, Bl. 5 ff.

191Bojung zählt hierbei bezeichnenderweise den am 2. September 1933 nach § 3 Abs. 1 GzWBB entlassenen Strafrechtler Prof. Honig und die beide nach § 6 GzWBB entlassenen Professoren Bernstein (Versicherungsmathematik am 24. November 1933) und Landau (Mathematik am 7. Februar 1934) auf.

192 Ein Beispielsfall, den Stuckart zu seiner Verteidigung vortrug, betraf den Mediziner Professor Dr. med. Erich Boden, geb. am 1. August 1883 in Breslau. Boden verlor als "Nichtarier" zunächst 1934 sein Amt als Hochschullehrer an der Medizinischen Akademie in Düsseldorf. Er suchte Stuckart persönlich im Ministerium in Berlin auf, da er glaubte, als "Mischling"im Amt bleiben zu können. Stuckart habe ihn "bereitwilligst empfangen", ihm seine Unterstützung zugesagt und sich "seiner Angelegenheit mit Ernst und Eifer angenommen". Stuckarts Bemühungen sei es zu verdanken, dass Boden einige Monate später wieder in sein Amt gekommen sei. Stuckart habe ihn darüberhinaus unterstützt, als der Düsseldorfer Gauleiter Friedrich Karl Florian ihn im Frühjahr 1944 zum "Volljuden" habe erklären wollen und ihm seine Approbation entzogen hätte. Im Herbst 1944 habe er seine Zulassung zurück erhalten. "Unterstützend" wirkte hierbei offenbar, dass Boden mit dem Leiter der "Volksdeutschen Mittelstelle", dem SS-Obergruppenführer und General der Polizei Werner Lorenz, verschwägert war, und dass Lorenz seit längerem mit Stuckart befreundet war. Vgl. Eidesstattliche Versicherung Erich Bodens vom 21. März 1948, in: BAL 99 US 7 /870 Fall XI, Dok Nr. 604.

 

Aufsatz vom 25. August 2005
© 2005 fhi
ISSN: 1860-5605
Erstveröffentlichung
25. August 2005

  • Zitiervorschlag Hans-Christian Jasch, Das preußische Kultusministerium und die "Ausschaltung" von "nichtarischen" und politisch mißliebigen Professoren an der Berliner Universität in den Jahren 1933 bis 1934 aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 (25. August 2005), in forum historiae iuris, https://forhistiur.net2005-08-jasch