Zeitschrift Rezensionen

Rezensiert von: Harald Maihold

Oliver Bach / Norbert Brieskorn / Gideon Stiening (Hrsg.), ‚Auctoritas omnium legum’. Francisco Suárez’ De legibus’ zwischen Theologie, Philosophie und Jurisprudenz Kremer . Politische Philosophie und Rechtstheorie des Mittelalters und der Neuzeit , Band II / 5, frommann-holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013. XXVII und 414 S., ISBN 978-3-772-82620-7 .

1Der vorliegende Sammelband, hervorgegangen aus einer im Rahmen eines Teilprojekts des Münchener SFB 573 (Rechtslehre der Spanischen Spätscholastik) im April 2010 veranstalteten Tagung, widmet sich dem Tractatus de legibus ac Deo Legislatore (1612) von Francisco Suárez aus tridisziplinärer Sicht. Die historisch einflussreiche wie systematisch bedeutsame Schrift, dessen wichtigstes drittes Buch die Herausgeber des vorliegenden Bandes im selben Verlag kürzlich auch als Textedition mit deutscher Übersetzung publiziert haben, wird sowohl in ihrem begründungstheoretischen Kontext als auch in allen ihren Teilen vorgestellt.

2Wie die Herausgeber betonen, steht der Traktat an einer Epochenschwelle. Er bildet in gewisser Hinsicht das Produkt einer Epoche und zugleich einen bedeutenden Beitrag zur politischen Philosophie der frühen Neuzeit. Neben Hobbes' De cive und Grotius' De iure bellic ac pacis zählt der Tractatus de legibus zu den bedeutendsten rechtstheoretischen Schriften der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die versuchen, die politische Philosophie aus kognitiven Krise zu führen und eine konsensfähige Grundlage für die Rechtslehre einer pluralistischen Gesellschaft zu konzipieren (4). Dass sich die Rechtsphilosophie einmal ausführlicher mit diesem Traktat beschäftigt ist umso begrüßenswerter, als im Vergleich zu Grotius und Hobbes dem Suárezische Werk von der politischen Philosophie und Rechtstheorie der Neuzeit bisher die ihm gebührende Aufmerksamkeit kaum zuteil wurde.

3Der Band beginnt mit einer Einführung, die den Traktat in seinen philosophischen, theologischen und rechtstheoretischen Kontext einordnet (XIII-XXVII). Ob der Traktat wirklich philosophiegeschichtlich als eine „Summe der Schule von Salamanca“ (XIII) bezeichnet werden kann, ist freilich nicht unzweifelhaft, besteht damit doch die Gefahr, Suárez als Denker in eine Schule zu zwängen und dabei seine Eigenarten einzuebnen. Auch das erklärte Anliegen des Bandes ist es ja, die Hindernisse für eine Rezeption des Suárezischen Gedankengutes in der Philosophiegeschichte aus dem Weg räumen zu wollen (XV), womit eine einseitige Zuweisung Suárez' an eine konfessionelle oder gar ordensabhängige Schule gerade vermieden werden soll. Jedenfalls wären hier einige Ausführungen dazu angebracht gewesen, was die Herausgeber philosophiegeschichtlich unter der Schule von Salamanca verstehen.

4Der erste Teil der Beiträge fragt nach dem Verhältnis von Metaphysik, Jurisprudenz und Theologie innerhalb der Suárezischen Begründungstheorie des Gesetzes. Wie Ludger Honnefelder zeigt, wird die Trennung von theoretischer und praktischer Vernunft, die für Suárez' Gesetzeslehre richtungsweisend wurde, bereits in den Disputationes metaphysicae von 1597 vorbereitet (3-26). Der Stellenwert von Theologie und säkularer Philosophie ist in den einzelnen Lehrstücken durchaus unterschiedlich. Thomas Marschlers Beitrag hebt den Verpflichtungswillen des göttlichen Gesetzgebers im Begriff der lex aeterna hervor. Dieser Begriff sei zwar außerhalb des Gesetzestraktats kaum präsent, dennoch lasse sich von einer „theonome[n] Begründung des natürlichen Rechts“ bei Suárez sprechen (27-52). Klaus-Gert Lutterbeck bestätigt diesen Eindruck von einer Oberhoheit der Theologie auch für die Jurisprudenz, die für Suárez Teilhabe am ewigen Gesetz des göttlichen Willens sei. Innerhalb der Jurisprudenz seien freiheitslogische Begründungen am Werk, die Suárez' Naturrechtslehre eher in die Nähe Kants als in die der Wolffschen Schule rückten (53-72). Martin Schmeisser zeigt dagegen anhand der lex naturalis-Konzeption, dass mehr philosophische als theologische Theoriebildungen für die bei Suárez aufscheinende Trennung von normativem und deskriptivem Naturrecht verantwortlich waren, indem sich Suárez durch einen eng gefassten Gesetzesbegriff von den Ansätzen Thomas von Aquins und Gabriel Vásquez' absetzte (73-95). Die Eigenständigkeit säkularer Metaphysik einer freiheitstheoretischen Gesetzeslehre zeigt Gideon Stiening auf, dessen Beiträge zu den besten des Bandes gehören, indem er die verschiedenen Elemente des Gesetzesbegriffes bei Suárez eingehend untersucht und dabei auf die unauflösbaren Antinomien von Suárez' voluntaristischer Gesetzestheorie zu der auf Hobbes weisenden Zwangsgewalt des Gesetzes hinweist (97-133). Wie anschlussfähig Suárez' Theorie vom ius gentium für das heutige, sich von nationalstaatlichen Bindungen lösende, „universelle“ Völkerrecht sein könnten, zeigt überzeugend der Beitrag von Matthias Lutz-Bachmann (135-152).

5Im zweiten Teil des Bandes widmen sich die Autoren den verschiedenen Teilen des Traktats, wobei neben den häufig behandelten Stellen auch bisher kaum beachtete Aspekte zur Sprache kommen. Den Beginn macht Matthias Kaufmanns Beitrag zur lex naturalis (lib. 1), demzufolge Suárez' Begriff der lex naturalis eine Moralisierung erkennen lässt, die bei seinen Zeitgenossen, etwa bei Gabriel Vásquez, nicht selbstverständlich war und die Suárez in die Nähe Kants rückt; Theologie und säkulare Moralphilosophie bzw. Rechtslehre bilden zwar zwei Seiten einer Medaille, werden aber deutlich voneinander getrennt (155-173). Mit der viel diskutierten Thematik des ius gentium bei Suárez (lib. 2) beschäftigt sich der Beitrag Gideon Stienings, wonach Suárez' begriffliche Differenzierungen zwar richtungweisend gewesen seien, sein Versuch, den Verpflichtungsgrund des Völkerrechts mit der mittelalterlichen Tradition auf das Gewohnheitsrecht zu stützen, aber erhebliche theologische Prämissen offenbart habe, die in der säkularen Völkerrechtslehre seit Hobbes fallengelassen werden mussten (175-194). Im anschließenden Beitrag zur Staatsphilosophie (lib. 3) zeigt Stiening, dass die Staatsgesetze für Suárez zwar allein auf säkulare Zwecke ausgerichtet sind, sich aber, entgegen den Säkularisierungstendenzen in der Staatslehre eines Machiavelli oder Bodin, einem theologischen Legitimationsrahmen einfügen, der dazu führt, dass die staatlichen Gesetzes inhaltlich mit der göttlichen Gerechtigkeit kompatibel sein müssen. In der Lehre vom Herrscher nehme Suárez eine moderne Position ein, indem er diesen nicht mehr unmittelbar von Gott, sondern über den freien Willen der Untertanen legitimiert sehe. Letztlich erfahre Suárez' Rechtslehre aber eine „substanzielle Theologisierung“, wenn über die Verpflichtungskraft der lex aeterna eine Verpflichtung des menschlichen Gesetzes bis in das Gewissen hinein propagiert werde (195-230). Norbert Brieskorns Zusammenfassung des kirchenrechtlichen Buches (lib. 4) zeigt, dass Suárez die Notwendigkeit kirchlicher Gesetze herausstreicht, ihnen Geltungskraft aber nicht außerhalb oder unabhängig vom staatlichen Recht zuspricht (231-254). Das Nebeneinander von theologischer Legitimation und säkularer Zielsetzung offenbart sich auch in Frank Grunerts kurzem, aber markanten, Neuland betretenden Beitrag zum Strafrecht, das Suárez eher nebenbei zusammen mit Steuern und anderen „lästigen Gesetzen“ behandle (lib. 5). Strafe diene der Stabilisierung der staatlichen Gemeinschaft, mit der Parallelisierung von Verbrechen und Sünde unterstütze aber die staatliche Strafe auch die Ausgleichung der religiösen Schuld. Der theologische Bezugsrahmen mache die Strafe dem Verbrecher wie dem Richter zur Pflicht. Suárez wende sich damit gegen die Auffassung der zeitgenössischen Juristen, die dem Richter regelmässig einen weiten Ermessensspielraum zubilligten. Die Verpflichtung des menschlichen Gesetzes auf das Gewissen, die Suárez nachhaltig vertritt, wird von Grunert am Ende eher als toter Ast der Strafrechtsgeschichte bewertet, während doch der „sozialethische Tadel“, den die Strafe auch heute noch gegen die Person des Täters richtet, eine durchaus ähnliche Funktion haben könnte. Auch hätte stärker auf die Tradition dieser Lehre eingegangen werden können1 (255-266). Oliver Bach stellt in einem ausführlichen Abschnitt Suárez' Kapitel zur Interpretation und Veränderung der Gesetze dar (lib. 6), das trotz ihrer praktisch-empirischen Anlage als eine bedeutende Pionierleistung auf dem Weg zu einer juristischen Hermeneutik anzusehen sei (267-309). Gegenüber dem theonomen Rahmen Suárezischer Gesetzeslehre betont Robert Schnepf eine eigentümliche Selbständigkeit des Gewohnheitsrechts (lib. 7), das Suárez auf den freien Willen der Menschen gründe und, im Angesicht einer sich herausbildenden nationalstaatlichen Rechtslehre, die das Gewohnheitsrecht zunehmend marginalisiert habe, noch einmal stark mache. Im Einzelnen bestehe hier noch Forschungsbedarf (311-331). Zum Recht der Privilegien (lib. 8) liefert Merio Scattola zunächst einen Vergleich der Privilegienlehre in modernen und den älteren Rechtstheorien, sozusagen als Flucht- und Ausgangspunkt der Suárezischen Überlegungen. Suárez habe dem Thema erstmals eine eigene Abhandlung gewidmet, die das Vorrecht in enge Verbindung zur Gnade und damit in einen theologischen Rahmen brachte. Diese Einbettung in eine voluntaristisch geprägte theologische Lehre sei zugleich auch das Innovative an diesem Abschnitt, indem es eine vollständige Abhandlung aller Aspekte des Privilegs ermöglichte (334-367). Mit Beiträgen zu den beiden letzten, bisher von der Rechtstheorie kaum beachteten Kapiteln zur lex divina positiva schließt das Buch ab. Stienings Beitrag zum Alten Testament (lib. 9) zeigt, dass die Schwierigkeit für Suárez darin bestand, den normativen Gehalt des Dekalogs auch nach der Ablösung des Alten Bundes zu retten, indem er den Dekalog als Ausdruck des Naturrechts deutete (369-384). Wie Brieskorn zeigt, hatte für Suárez auch das Neue Testament (lib. 10) durch Christus als „Gesetz der Gnade“ juridischen Status (385-408).

6Im Ganzen stellt der (leider sehr teure!) Band eine Bereicherung der Literatur zur politischen Philosophie der frühen Neuzeit dar, indem er einen zentralen Text eines wichtigen Autors dieser Zeit erstmals im Zusammenhang Gehör verschafft und ihn in den Kontext seiner Zeit und in das Spannungsfeld zwischen theologischer Legitimation und praktischer Zielsetzung der Gesetzeslehre einordnet. Dabei entstehen manche Redundanzen, was zum Teil unvermeidlich ist, zum Teil aber auch durch eine stringentere Abgrenzung der einzelnen Beiträge hätte vermindert werden können. Der Mehrwert der einzelnen Beiträge ist sehr unterschiedlich. Stark paraphrasierende, auf die Zusammenfassung des Textes ausgerichtete Beiträge finden sich ebenso wie systematisch ausgereifte und weiterführende Diskussionsangebote. Dies gilt auch für die nachgewiesene Literatur, mit der einige Beiträge den derzeitigen Forschungsstand umfänglich abbilden, während andere nur marginal auf sie eingehen. Nach Ansicht des Rezensenten wäre hier ein umfangreicheres einheitliches bibliographisches Verzeichnis wünschenswert gewesen.

Rezension vom 1. Januar 2015
© 2015 fhi
ISSN: 1860-5605
Erstveröffentlichung
1. Januar 2015

  • Zitiervorschlag Rezensiert von: Harald Maihold, Oliver Bach / Norbert Brieskorn / Gideon Stiening (Hrsg.), ‚Auctoritas omnium legum’. (1. Januar 2015), in forum historiae iuris, https://forhistiur.net/2013-01-maihold/