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Massimo Meccarelli*

Der große Abwesende? Die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit und die Frage der Obersten Gerichtsbarkeit im post-unitären Italien

1. Die Frage der Obersten Gerichtsbarkeit und das Programm der post-einheitlichen Staatsbildung
2. Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Frage der Obersten Gerichtsbarkeit
3. Der große Abwesende: Die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit
4. Die auf die Exekutive gerichtete Kontrolle
5. Die Verfassungsmäßigkeit der positiven Normen und die Aufgaben des Richters
6. Folgerung: intrinsische oder extrinsische Kontrolle?
7.Die Perspektive eines institutionellen Nirgendwo: Die Rechtsauslegung
8. Die Oberste Gerichtsbarkeit als konstitutionelle Ressource
 

1. Die Frage der Obersten Gerichtsbarkeit und das Programm der post-einheitlichen Staatsbildung

Die Vereinigung Italiens repräsentiert - abgesehen von der Vollendung des Prozesses des "Risorgimento" - auch den Beginn einer neuen Phase der juristischen Erfahrung. Nachdem Italien geschaffen war, ging es darum, ein rechtseinheitliches Gebäude für eine heterogene Realität zu konstruieren; diese Aufgabe würde Jahrzehnte beanspruchen, und den Beitrag einer Vielzahl von Kulturbereichen erfordern. Die Rechtswissenschaft und die Rechtsprechung entzogen sich, wie üblich, diesem Prozess nicht. Einerseits versuchten sie, die Entscheidungen der legislativen Politik zu leiten, zum anderen haben sie dazu beigetragen, deren Auswirkungen auszubalancieren und ihre Nutzen zu bewerten.

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Das war unausweichlich in einem Kontext, in dem die staatliche juristische Realität und die nationale Identität mehr ein Programm als ein Resultat darstellten. Es war zudem unausweichlich in einer Zeit, in der es darum ging, einen Prozess der Staatsbildung in einem Territorium zu fördern, das für viele Jahrhunderte seiner Geschichte eine nicht auf der Plattform der Einheitlichkeit des Rechts basierende juristische Erfahrung erlebt hat.

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In der neuen Ordnung, die auf den gesetzlichen Vorgaben aufbaute, war die Oberste Gerichtsbarkeit gefordert, eine Legalitätskontrolle auszuüben, um die korrekte Gesetzanwendung zu garantieren. Auf diese Weise konstituierte sich ein institutioneller Raum, in dem sich zusätzlich zur natürlichen Rolle der Obersten Gerichtsbarkeit eine unterstützende Funktion der gesetzgebenden Gewalt herausbildete.

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Aufgrund dieser Zusammengehörigkeit mit der Entstehung der neuen juristischen Ordnung wurde das Gebiet der Obersten Gerichtsbarkeit auch wegen seiner Wirkung auf die Beziehungen der Staatsgewalten untereinander bedeutsam.

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2. Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Frage der Obersten Gerichtsbarkeit

Die erklärte Priorität war, das Primat der Legislative über die Judikative zu sichern. Dies war Mitte des 19. Jahrhunderts keine grundlegende Neuheit. Es war der Fortbestand eines Programms, das bereits in den Anfängen der Idee eines Kassationsgerichts präsent war. In Frankreich ging es darum, das Gewicht der Parlements in der Führung der Rechtsordnung zu beschränken, die neue legislative Gewalt - bestrebt nach Zentralität - vor den einschneidenden Angriffen der alten rechtsprechenden Gewalt der obersten Gerichte zu schützen 1.

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Ein in Form der Kassation organisiertes System der Obersten Gerichtsbarkeit ist tatsächlich darauf ausgerichtet, eher die Richter als den Gesetzgeber zu kontrollieren. In der Auffassung der Franzosen wurde eine solche 'funktionale' Eigenschaft klar anerkannt; «est tellement entracinée dans l'esprit français» konstatierte De la Grasserie, «n'ayant aucun besoin d'être analysée, discutée ou améliorée» 2.

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Eine solche systematische Bedeutung wurde der Kassation auch durch die italienische Doktrin des 19. Jahrhunderts beigemessen 3; gleichzeitig war sich diese jedoch der Zusammenhänge mit den französischen Besonderheiten bewusst 4. Tatsächlich waren die Kontext-Bedingungen und die Probleme, die mit der Obersten Gerichtsbarkeit gelöst werden sollten, für Italien andere; die kulturellen Voraussetzungen und die fundamentalen Auffassungen, auf die sich die Rechtswissenschaft stützte, waren unterschiedlich.

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Folglich erklärt sich die verfassungsrechtliche Bedeutung der Frage der Obersten Gerichtsbarkeit nicht nur in der Errichtung eines institutionellen Bereiches, der den Gesetzgeber vor seinen Richtern schützen sollte. Die Funktionen, die diesem Sektor des staatlichen Lebens übertragen wurden, erscheinen komplexer.

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Dies erschließt sich unmittelbar anhand des Hybrid-Charakters des Kassationssystems im post-unitären Italien, und anhand der Weise, mit der es errichtet wurde.

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Die Entscheidung für die cassation in Italien war durchaus nicht vorgezeichnet, sie wurde legislativ getroffen, trotz vieler Widerstände in der wissenschaftlichen Welt. Tatsächlich war die Diskussion, vor allem in den ersten Jahren nach der Vereinigung, ziemlich offen auch bezüglich der Kompatibilität eines solchen Typs der Obersten Gerichtsbarkeit mit der italienischen Verfassungsordnung. Es gab Stimmen, die wie Carcano in der Kassation ein Rechtsinstitut sahen, das, neben der übertriebenen Begrenzung der Unabhängigkeit des Richters und des Richterstandes auch "Usurpator" der Befugnisse der Legislative sei: «tutti gli atti e i procedimenti della Corte di cassazione sono, per la loro essenza, atti e procedimenti di potere legislativo» 5.

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Die Kassation etablierte, diesen Auffassungen zufolge, einen systematischen Kern («la pretesa unità ed uniformità della giurisprudenza, la separazione assoluta del diritto dal fatto, la violazione di legge e simili»), der im Kontrast steht zu «la critica acuta e profonda dell'esperienza» 6.

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Die Rechtswissenschaft zeigte sich, wenn auch manifestiert in unterschiedlichen Akzentuierungen und Sichtweisen, unschlüssig. Dies bestimmte die Weise und die Zeitdauer, in der unsere Rechtsordnung das französische Modell aufnahm.

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Wie wir wissen, operierte die Oberste Gerichtsbarkeit, zumindest für die gesamte Dauer der liberalen Erfahrung, auf der Basis eines legislativen Instrumentariums, das als vorübergehend angesehen wurde und, bereits ab dem Moment der Gründung der einheitlichen Rechtsordnung nicht Bezug nahm auf «un sistema preconcetto di legislazione» 7. Die Natur des Obersten Gerichts enthielt Aspekte, die zum Teil auf das Konzept der cassation, in dem ursprünglich in Frankreich gewollten Sinne, zurückgeführt werden können. Zum Teil sind sie jedoch auch einzuordnen in die Kategorie der Dritten Instanz oder der Revision; also Modelle Oberster Gerichtsbarkeit, die typisch sind für die juristische Erfahrung, die der legalistischen Wende vorausging, welche durch die Erfolge der französischen Revolution und der Aufklärung geprägt war.

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Gleichzeitig war die Struktur der Obersten Gerichtsbarkeit nicht einheitlich. Sie bewegte sich zwischen einem abwesenden oder schwachen Zentrum und einem Netz regionaler Oberster Gerichtshöfe, die untereinander relativ autonom waren.

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All das, - es handelt sich übrigens um einen Ansatz, der die Reform der post-unitären Rechtsordnung allgemein charakterisiert 8 - war bewusst so vorgesehen, aufgrund der technisch-juridischen Auswirkungen auf das Rechtssystem, aber darüber hinaus auch aufgrund der Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Struktur der Macht, die es implizierte 9. Die verfassungsrechtliche Auswirkung der Frage nahm sogar oft die Bedeutung eines Entscheidungsfaktors für die Alternative zwischen Kassation und Dritter Instanz ein. Man musste bewerten, wie beispielsweise Carcano erläuterte, inwieweit das eine und das andere Modell mit den Prinzipien des Parlamentarismus und den dato bestehenden Institutionen harmonierte 10.

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Der Gesetzgeber orientierte sich an der Richtung der Kassation, aber das Verhältnis zwischen konstitutioneller Ordnung und Struktur der Obersten Gerichtsbarkeit hörte nicht auf, ein offenes, zu diskutierendes Thema zu sein.

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In dieses bewegliche Szenario ordnet sich auch die Frage der Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit ein.

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Nachfolgend soll es somit darum gehen, ein Problem, das die Geschichtsschreibung traditionell ausgehend von der Frage des in der von König Alberto erlassenen Verfassung erkennbaren Charakters der Rigidität oder Flexibilität betrachtet, von einem anderen Standpunkt, nämlich von jenem der Gerichtsbarkeit aus, zu studieren 11.

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3. Der große Abwesende: Die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit

Die Untersuchungen, die sich der Geschichte der Kassation in Italien widmen, haben bereits herausgearbeitet, dass die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze nicht zu den Voraussetzungen für eine Oberste Gerichtsbarkeit zählte. Eine solche Perspektive erschien, vor allem in der unmittelbar post-unitären Dynamik, nicht praktikabel.

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Sie bedeutete einen Konflikt zu der verfassungsrechtlichen Tradition Piemont's. Zudem erschwerte der Verdacht der Illegitimität die legislative Aktivität der Regierung. Man denke an die Gesetzgebung von 1859, ermöglicht durch Verordnungen, die die Regierung aufgrund der besonderen Umstände des Krieges gegen Österreich einführen konnte; eine solche außergewöhnliche Machtbefugnis wurde auch über die temporär zugestandenen Grenzen hinaus ausgeübt 12.

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Im post-unitären Leben des Staates waren die Normativakte, die einer Gefahr der Verfassungswidrigkeit ausgesetzt waren, zudem vielfältig. Dies gilt insbesondere für all diejenigen repressiven Maßnahmen, die konsistenter Teil der Notstandspolitik waren und durch Verordnungen eingeführt wurden, bezüglich derer das Parlament sich als unfähig erwies, sie rechtzeitig auf dem Wege der institutionellen Mechanismen der Unterbrechung und Beendigung von Parlamentssitzungsperioden, sowie der Auflösung des Abgeordnetenhauses, zu diskutieren.

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Die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit konnte, vom Standpunkt der Regierungsstrategie, einen bedeutsamen und potentiell destabilisierenden Faktor darstellen. Ihre 'Abwesenheit' entspräche somit der Notwendigkeit, der Exekutive eine vorherrschende Rolle und Spielraum im Dialog mit der Legislative zu garantieren.

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Es ist jedoch möglich, weitere Erklärungsansätze zu finden. Tatsächlich ist zu berücksichtigen, dass die Evolution der post-unitären Rechtsordnung sich nicht in einem notwendigen Kontrast zwischen dem Richterstand und der politischen Macht erschöpfte. Politische und richterliche Macht bezogen sich auf ein und dieselbe homogene Führungsschicht 13.

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Überzeugender ist es daher, zu fragen, inwieweit die Abwesenheit eines echten Kontrollmechanismus der Verfassungsmäßigkeit, ausgeübt durch die Oberste Gerichtsbarkeit, in der instrumentellen Verdrängung eines Problems bestand, und inwiefern sie hingegen eine Form der Wahrnehmung der Gewaltenteilung darstellte.

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Hierzu muss geklärt werden, wie diese Frage von der Rechtskultur jener Zeit erfasst wurde.

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Spuren einer Diskussion über eine mögliche Befugnis zur Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit, die der Judikative zuzuerkennen wäre, finden sich abgesehen von der wissenschaftlichen Diskussion, in Reformprojekten.

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Bereits in dem Projekt zur Gerichtsordnung, das von der Kommission Cassinis von 1861 vorgelegt wurde - einer Kommission, die einberufen wurde, «per deliberare sulla convenienza d'instituire Corpi giudiziarii superiori alle Corti d'Appello nei principali centri del nuovo Regno Italiano ed un Supremo ed unico consiglio di Giustizia, inteso segnatamente a risolvere i conflitti, a tutelare la disciplina, a mantenere l'unità della Giurisprudenza» - wurden einige Profile des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten eigens bezüglich der «cognizione di tutte le quistioni di incostituzionalità» aufgenommen 14.

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Die Reform sah eine 'föderale' Gerichtsordnung vor, gestützt durch eine Oberste Gerichtsbarkeit, die sich auf sechs autonome regionale Gerichte dritter Instanz (und nicht Kassation) und einen zentralen Obersten Gerichtshof, genannt 'Supremo Consiglio di Giustizia' aufteilte.

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Solche Vorschläge führten in den 60er Jahren zu einer umfassenden Debatte. Es handelt sich jedoch um eine Diskussion, in der das Problem einer möglichen Rolle des Obersten Gerichtshofes als Richter der Verfassungsmäßigkeit, obwohl es erwogen wurde, keinen fundamentalen Schlüsselpunkt darzustellen schien.

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Der angesprochene mögliche einheitliche Oberste Gerichtshof charakterisierte sich vor allem durch die disziplinären Funktionen, die Lösung von Konflikten der Gerichtsbarkeit zwischen den regionalen Obersten Gerichten, die Sanktion der gesetzverletzenden Entscheidungen, die Zusammenarbeit mit dem Gesetzgeber mit dem Ziel, nicht eindeutige Normen zu modifizieren. Eine so verstandene Oberste Gerichtsbarkeit wurde beschrieben als «corpo intermedio tra la magistratura ed il potere legislativo» 15, oder als Organ, das unabhängig von der Exekutive die Justiz ausübte, und somit eine effektive Gewaltenteilung vervollständigte 16; aber all das, ohne dass ihr notwendigerweise explizit Funktionen einer Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit übertragen würden.

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Viele Jahre später, zum Ende des alten und Beginn des neuen Jahrhunderts, war das Bild ähnlich. Die Frage einer Verfassungskontrolle durch die Oberste Gerichtsbarkeit erschien sekundär, in den Schatten gestellt durch das noch immer ungelöste Problem der Vereinheitlichung und/oder Ausgestaltung der Obersten Gerichtsbarkeit, und vom noch immer nicht gelösten Knoten der Natur einer Dritten Instanz oder Kassation, die dieser und/oder diese anzunehmen hätte.

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Es handelt sich um Übereinstimmungen, die sicherlich auf einen anderen Kontext zurückzuführen sind, als den für die Debatte der 60er Jahre charakteristischen. Wenn es zu Zeiten Cassinis darum ging, festzustellen, von welcher gerichtlichen Unterstützung die legislative Vereinheitlichung des Rechts begleitet werden müsse, ging es nun darum, auch auf dem Gebiet der Obersten Gerichtsbarkeit, die komplizierte geschichtliche Phase 17 zu bewältigen, in der die soziale und wirtschaftliche Weiterentwicklung das bestehende Rechtssystem als unzureichend erscheinen ließ.

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Die überkommene Kodifikation wurde durch Sondergesetzgebung und eine Rechtsprechung, die sich einer möglichen und notwendigen kreativen Rolle bezüglich der positiven Rechtsordnung immer bewusster wurde, kontinuierlich ausgehöhlt.

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Angesichts dieser veränderten Rahmenbedingungen fällt um so mehr auf, dass die Einstellung in bezug auf die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit konstant blieb.

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Im Jahr 1903 wurde im Abgeordnetenhaus ein von der Regierung Zanardelli vorgeschlagenes Reformprojekt für die Rechtsordnung diskutiert, das die Gerichtsordnung im allgemeinen betraf.

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In Bezug auf die Konzeption der Obersten Gerichtsbarkeit scheint sich dieses insbesondere durch eine doppelte Wahl ausgezeichnet zu haben: Es sollte ein Netz von regionalen Höfen dritter Instanz institutionalisiert und ein einziger Kassationshof eingesetzt werden, der, technisch gesprochen, die typischen Eigenschaften der Kassation auf sich vereinen sollte. Der Rechtsweg sollte auf regionaler Ebene abgeschlossen werden. Der zentrale Rechtsweg diente nur dazu, eine Legalitätskontrolle zu garantieren und eine Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu begünstigen 18.

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Auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Struktur tendierte die Spitze der Rechtsordnung mit dieser Art des zentralen Gerichtshofes scheinbar nicht dazu, eine Kontrolle der anderen Gewalten auszuüben, sondern sie war weiterhin auf das Innere der Justiz gerichtet - gerade weil sie von Dynamiken und Notwendigkeiten der substantiellen Justiz losgelöst und dazu bestimmt war, die korrekte Interpretation des Gesetzes zu verfolgen.

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Der neue einheitliche Kassationshof, erklärte Zanardelli, stellte sich «all'infuori dei comuni ordini giudiziari» 19. Das Projekt beabsichtigte, aus der Kassation einen institutionellen Ort zu machen, an dem die besten Juristen aus den verschiedenen italienischen Regionen und Vertreter der verschiedenen wissenschaftlichen Strömungen, vereint werden; die Rechtsprechung dieses Gerichtshofes wurde damit Ausdruck des Fortschrittes der Rechtswissenschaft und Quelle der Synthese und der Einheit des Rechts 20. Eine solche Charakterisierung und funktionale Bestimmung sollten den Obersten Gerichtshof zu einem Organ machen, das «senza perdere la sua notevole indole di istituzione giudiziaria, per essere posta all'apice del potere giudiziario, si asside arbitra fra tutti i poteri» 21.

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Auf der Basis dieser Ausrichtung der Reform gab es Stimmen, die gerade die mit der Ausgewogenheit der Gewalten verknüpften Aspekte hervorhoben; in der Diskussion marginale Aspekte, die jedoch für unsere Analyse bedeutsam sind.

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Beispielsweise findet man in dem vorgeschlagenen System ein Element verfassungsrechtlicher Garantie, das sich auch an die Legislative richtet: «quanto alla cassazione plaudo che il disegno la restituisca alla più alta missione, con la speranza non lontana che a più alti ideali possa mirarsi, fino a metterla al di sopra del potere legislativo quando si attenti di violare le libertà statutarie» 22. Somit hätte das Projekt einen Gerichtshof eingeführt, der in der Lage gewesen wäre, eine Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit auch gegen die Legislative auszuüben.

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Andere sahen in dieser neuen einheitlichen Institution - «un collegio (disse bene la relazione) non solamente giudiziario, ma costituzionale» -, ein Kontrollorgan «dei diritti dei privati nella interpretazione della legge», das «è anche custode del potere legislativo contro le usurpazioni del potere esecutivo, come custode dell'integrità del potere giudiziario» 23. Es handelte sich um eine Legalitätskontrollbefugnis, die dazu neigte, die Wertigkeit einer Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit zu übernehmen, mit dem Ziel, auch eine korrekte Dialektik zwischen den Gewalten zu garantieren, indem sie Exzesse der Exekutive vermeiden sollte.

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4. Die auf die Exekutive gerichtete Kontrolle

Folgen wir also der gerade vorgeschlagenen thematischen Richtung. Im Hintergrund steht die oben bereits angesprochene sehr konkrete und dornige Frage, wie die der Regierung zustehende Verordnungsbefugnis geregelt werden sollte. Die Missbräuche der Verordnungsbefugnis in repressiver Hinsicht «dimostrano che la Corte di cassazione entra ormai nei congegni costituzionali; ed abbiamo tutto l'interesse, anzi la necessità che essa risponda sempre a questa sua alta missione» 24.

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Auf der Basis eines solchen Ansatzes wäre die Oberste Gerichtsbarkeit mit einer Kontrollaufgabe der Verfassungsmäßigkeit betraut, die ihre Tätigkeit nicht auf die Prüfung konzentriert, ob die ordentliche Gesetzgebung sich an die Rechtsgrundsätze hält, sondern auf die Überprüfung der formalen Legitimität der normativen Maßnahmen, und insbesondere jener der Regierung. Es sei daran erinnert, dass es tatsächlich diese Rolle ist, die die Kassation im Hinblick auf die Ergebnisse konkret angenommen hatte, beispielsweise gegenüber dem 'decreto Pelloux' 25.

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Wir beziehen uns auf die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Erlass der Verordnung vom 22. Juni 1899, Nr. 227. In diesem Fall bediente sich die Regierung des Dekretes, um den parlamentarischen Widerstand gegen einen Gesetzesvorschlag zur Pressefreiheit und Öffentlichen Sicherheit zu überwinden. Mit zusätzlichen Maßnahmen wurden die Parlamentssitzungen zunächst ausgesetzt und schließlich beendet. Die Kassation erachtete die Verordnung mit Urteil vom 20. September 1900, gerade aufgrund der Maßnahme der Parlamentschließung, als unwirksam. Dies bedeutete, «giusta le norme costituzionali ed in base alla costante consuetudine», die Hinfälligkeit aller eingestellten Gesetzesprojekte 26.

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Bei genauer Betrachtung wurde jedoch eine solche Funktion der auf die Exekutive gerichteten Kontrolle nicht als besondere Eigenschaft der Obersten Gerichtsbarkeit angesehen. Die Doktrin neigte allgemein dazu, im Richter einen 'Kontrolleur der Legitimität' zu sehen.

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Auch wenn - wie bekräftigt wurde - die Funktion der Gerichtsbarkeit nicht die Notwendigkeit überprüfen kann, die die Voraussetzung der Notverordnungsbefugnis darstellte, stand dem Richter im allgemeinen die Auslegung und die Anwendung der Verordnungen zu, und insbesondere die Entscheidung, ob die Verordnung noch formale Mängel der Gültigkeit beinhaltete, oder ob sie hingegen bereits die Gesetzesautorität erworben hatte. Die Untersuchung bestand darin, zu überprüfen, ob eine gültige Rechtsnorm existiert 27.

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Es gab Stimmen, die entschiedener von einer Kontrollbefugnis als «integro e assoluto rispetto a tutte le norme giuridiche emanate dal potere esecutivo» sprachen 28.

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«La difesa giurisdizionale della libertà», erklärt Brunialti, «si esercita dunque esclusivamente contro il potere esecutivo, quando non si attribuisca al potere giudiziario la facoltà di toglier forza nell'applicazione alle leggi incostituzionali». Dennoch wurde mit Blick auf die Gewaltenteilung festgestellt, dass die Kontrolle nicht dazu berechtigen dürfe, die überprüften Verordnungen aufzuheben, sondern lediglich die Anwendung der Norm auf den konkreten Fall auszuschließen. Im Übrigen betrifft diese Diskussion nicht die gesetzvertretende Verordnungsbefugnis. Man wird lediglich ihre Legitimität im Hinblick auf den Moment überprüfen können, in dem das Legislative Mandat endet 29. Oder, wie andere sagen, wird man die «mala esecuzione» der legislativen Vollmacht überprüfen können 30.

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Die Frage der Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit bezog sich folglich einzig auf die Kontrolle der Verordnungsbefugnis der Regierung auf judikativer Ebene.

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Es handelt sich im Übrigen um einen Punkt, der in diesen Begrifflichkeiten nicht nur in Italien diskutiert wurde. So gab es das Beispiel Belgien 31, wo bereits die Verfassung von 1831 festhielt, dass die Gerichte (und nicht nur der Oberste Gerichtshof) sich ausschließlich an das Gesetz zu halten hätten, ohne Verwaltungsmaßnahmen, Ausführungsverordnungen und Gesetzesverordnungen, die im Widerspruch zum Gesetz stehen, anzuwenden. Dies wurde mit ähnlichen Ansätzen ab den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts auch in deutschen wissenschaftlichen Kreisen debattiert 32. Im Zentrum der Dialektik Parlament-Regierung, betrachtet von der Position der Verfassungsmäßigkeit der Verordnungen, stand nicht ein besonderes Verfassungsgericht. Es seien die Gerichte, die die formale Legitimität der Verordnung beurteilten, erläutert Rudolf von Gneist, und «ob und wie weit die publizierten "Verordnungen" der Staatsregierung nach der Landesverfassung Gesetzeskraft haben oder nicht»; im Falle schließlich von Ausführungsverordnungen der Gesetze müßten sie zudem abwägen, «wo die Grenze zwischen Ausführung und Abänderung der Gesetze liegt» 33. Auch in diesem Fall gehörte eine solche, substantiell formale, Kontrolle zur normalen ordentlichen Gerichtsbarkeit, nicht zu einer gesonderten höchstrichterlichen Instanz.

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Versuchen wir zusammenzufassen: Das Thema der Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit - unabhängig von den Anforderungen an die Oberste Gerichtsbarkeit - scheint in diesem Zeitraum seinen Platz im Zusammenhang mit dem Problem der Grenzen der normativen Gewalt der Regierung gefunden zu haben; zugleich entstand die Frage in einem institutionellen Raum, der nicht nur derjenige der Obersten Gerichtsbarkeit war, sondern der Gerichtsbarkeit im allgemeinen.

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5. Die Verfassungsmäßigkeit der positiven Normen und die Aufgaben des Richters

Verbreitern wir also unsere Bezugsbasis. Das Verhältnis zwischen Oberster Gerichtsbarkeit und zugrundeliegender Verfassung erhellt sich besser anhand der Definition der Rolle des Richters im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der positiven Normen.

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In dieser Hinsicht neigt der kontinentale habitus dazu, die Judikative als «mero strumento degli altri poteri» zu betrachten 34.

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«Negli stati parlamentari», bemerkte Lodovico Mortara, «non esiste un organo costituente speciale con la sua speciale funzione»; was nicht heißen sollte, dass von Mortara ein unbewegliches und nicht modifizierbares Verfassungsrecht unterstellt wurde. «Mediante l'esercizio della funzione legislativa può ottenersi il progressivo svolgimento del diritto pubblico fondamentale dello Stato». Es handelte sich somit - vielmehr als um eine Gewalt, die konstitutionellen Normen zu ersetzen, aufzuheben, zu ändern - darum, die konstitutionellen Maßnahmen, mittels der Gesetze, einer «continua e progressiva interpretazione» zu unterziehen, die sie «ai movimenti della vita sociale»anpasste 35. Die verfassungsgebende Funktion existierte, nicht jedoch ein Organ, das speziell ihrer Ausübung gewidmet war, und von demjenigen der Gesetzgebung abwich.

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Dies hob auch Attilio Brunialti hervor: Die vorherrschende Doktrin bekräftigte, dass die verfassungsgebende Gewalt ein und dasselbe sei wie die gesetzgebende Gewalt. Dies war die mit der Evolution der italienischen Verfassung konforme Doktrin, in der sich keine Spur einer separaten verfassungsgebenden Gewalt fand 36.

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Es ist eine Konsequenz der aus der französischen Erfahrung abgeleiteten Art und Weise, die Gewaltenteilung aufzufassen, «legislativamente attuata soltanto a carico e non a favore del potere giudiziario» 37, eine Perspektive, die die Möglichkeit ausschließt, dass die Justiz eine Kontrolle über das Gesetz ausübt, hinsichtlich seines Inhaltes, und mehr noch hinsichtlich seiner Verfassungsmäßigkeit. Übrigens war die italienische Verfassung selbst, aufgrund ihrer Formulierung und ihrer Positionierung in der Hierarchie der Rechtsquellen, kaum geeignet, eine Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit zu begünstigen.

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Das amerikanische Beispiel, obwohl mit Interesse studiert, beeindruckt die europäischen Juristen des 19. Jahrhunderts eher, als Lösungen zu liefern. «Cette introduction de la magistrature dans les affaires publiques», wurde bekräftigt 38, «est faite pour nous surprendre. Elle semble violer le principe sacré de la séparation des pouvoirs en rendant possibles des conflits dangereux entre l'autorité législative et l'autorité judiciaire».

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Die angelsächsischen Erfahrungen wurden mit Neugier betrachtet und vergleichend herangezogen. Für anwendbar auf die kontinentalen Rechtsordnungen hielt man sie überwiegend aber nicht. Unpassend erschien die - in den angelsächsischen Ländern weniger ausgeprägte - Wahrnehmung der Gewaltenteilung selbst, derzufolge die richterliche Gewalt als «un vero potere politico» gestaltet worden wäre 39. Diese wurde diesseits des Ärmelkanals als nicht praktizierbar angesehen.

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Um die Wende zum 20. Jahrhundert erschien bezüglich der Grenzen der legislativen Funktion die wissenschaftliche Ausrichtung somit hinreichend gefestigt: Es gab, wie Santi Romano in einem um 1902 in Camerino entstandenen Aufsatz feststellte, zwei Konstanten, mit denen die Rechtswissenschaft sich der Frage stellte: die Modifizierbarkeit der Verfassung durch die legislativen Organe und die Inkompetenz der Richter, die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzen zu kontrollieren 40.

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6. Folgerung: intrinsische oder extrinsische Kontrolle?

Nachdem somit Einigkeit darüber erzielt worden war, dass der Richterstand nicht zu einer echten Verfassungskontrolle berechtigt sein sollte, definierten die Juristen die Schwelle, bis zu der der Richter vorstoßen können sollte, wenn er Elemente einer Verfassungswidrigkeit der anzuwendenden Normen feststellte.

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Einige doktrinale Positionen neigen zur Unterscheidung zwischen einer intrinsischen und einer extrinsischen Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit. Erstere bestehe darin, zu überprüfen, ob die Bestimmungen des Gesetzes «abbiano un contenuto conforme o compatibile coi principi generali stabiliti nella carta costituzionale», die zweite hingegen verifiziere, ob die «deliberazione e formazione» der Bestimmungen des Gesetzes «sia avvenuta secondo le forme della carta medesima stabilite»41.

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Für die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts konnte das Problem der Verfassungsmäßigkeit auf der 'intrinischen' Ebene genau genommen nicht entstehen 42. Es kam vor, dass die parlamentarische Ordnung ein spezielles verfassungsgebendes Organ mit einer außerordentlichen legislativen Funktion, die von der ordentlichen getrennt ist, vorsah. Die ordentliche legislative Funktion wurde allein, und nur dann, begrenzt, wenn diese andere Funktion mit einer entsprechenden Institution vorgesehen war 43.

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Nicht einmal diejenigen, die sich, wie Santi Romano 44, bereit erklärten, bezüglich der Grenzen der legislativen Funktion die Stichhaltigkeit der als Dogmen geltendenden Prinzipien und Formeln zu überprüfen, bezweifelten, dass die Richter eine Kontrolle der intrinsischen Verfassungsmäßigkeit der Gesetze nicht ausüben können.

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Auf der Ebene der intrinsischen Verfassungsmäßigkeit konnte der Richter sich nicht einmal vorwagen, die Anwendung einer Norm, die als verfassungswidrig angesehen wurde, aufzuheben 45. Das Problem lag allein beim Parlament; die Lösung stand nur diesem zu.

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Es konnte sich hingegen eine Frage der extrinsischen oder formalen Verfassungswidrigkeit stellen, wenn «l'opera collettiva e simultanea dei tre fattori legislativi» fehlte, oder, wie andere konstatieren, wenn die notwendigen Voraussetzungen fehlten 46.

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Die Kontrollfunktion im technischen Sinne verblieb jedoch beim Parlament. Der richterlichen Autorität konnte die Befugnis zuerkannt werden, eine Norm mit den Eigenschaften der extrinsischen Verfassungswidrigkeit nicht anzuwenden. Es handelte sich jedoch um eine Entscheidung, die nicht in der Lage gewesen wäre, eine Nichtigkeitswirkung der gültigen Norm hinsichtlich des Einzelfalles zu erzeugen, wie mit Blick auf Verordnungen zeitgenössisch auch bemerkt wurde47.

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Schließlich gab es Stimmen, die sich auch im Hinblick auf diese Möglichkeit der 'aufhebenden' Kontrolle, obwohl bezogen auf Probleme der extrinsischen Nicht-Verfassungsmäßigkeit, vorsichtig äußerten. In unserem System, bemerkte Mortara 48, «la competenza a esaminare se una legge abbia o no i requisiti esteriori della costituzionalità, spetterebbe, caso per caso, ad ogni conciliatore o pretore, tribunale o corte esistente sul territorio italiano. E' facile ravvisare il pericolo che ne deriverebbe».

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7. Die Perspektive eines institutionellen Nirgendwo: Die Rechtsauslegung

In einem solchen restriktiven Rahmen eröffnet sich jedoch ein strategischer Raum, der vielleicht den wahren Ort bildet, an dem die 'Kontrolle' der Verfassungsmäßigkeit - wir beobachten es hier im Hinblick auf die theoretisch-systematische Wahrnehmung - einen effektiven operativen Spielraum erlangt.

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Italienische Juristen, Brunialti ist ein gutes Beispiel, blieben der Auffassung, dass «la vita costituzionale di uno Stato» sich neben der Politik auch durch «manifestazioni della coscienza giuridica» ausdrücke und entfalte. Dies ist eine folgenreiche Feststellung.

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Auf der Basis eines solchen Bewusstseins wurde dem Richter tatsächlich die Aufgabe übertragen, «interpretare una legge in modo che si accordi alle norme dello Statuto». Die richterliche Gewalt diente gerade dazu, das Gesetz mit den Verfassungsprinzipien zu vereinbaren, wenn der Gegensatz mit diesen nicht aus der Formulierung des Textes herrührte, sondern aus der Art seiner Anwendung 49.

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Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze ist letztendlich «une question d'interprétation légale». 50.

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Tatsächlich stellte Santi Romani fest, «tutto il diritto scritto ha la sua base in un diritto tacito, fondamentale, immediata emanazione delle forze sociali ordinate [...] che governa le leggi». Das geschriebene Recht, im wesentlichen, «retrotrae, per dir così, ad una specie di diritto consuetudinario, cui non solo non domina, ma dal quale viene dominato, quasi penetrato». Der Jurist basierte seine Aktivität auf Regeln, die ihre Wertigkeit aus dem Bezug auf die fundamentalen Prinzipien ableiten, «siano scritti o non scritti, poco importa», dieselben, die den Gesetzgeber binden. «Siffatte regole, rispetto agli individui che debbono obbedire alle leggi, qualunque sia il loro contenuto, non possono essere che regole d'interpretazione, di fronte al legislatore solo limiti». Sicherlich, fuhr Romano fort, könne der Gesetzgeber die fundamentalen Prinzipien außer Kraft setzen, wie es für die Nichtrückwirkung, die formelle Gerechtigkeit, die wohlerworbenen Rechte geschah, aber er könne es nur dann tun, wenn er durch konkrete Gründe gestützt werde. Die Ermessensbefugnis, die das Parlament in einem solchen Fall ausübe, müsse konform sein «alla finalità da cui il potere medesimo deriva; si ha altrimenti uno sviamento del potere, che costituisce una violazione di diritto, nel senso proprio della parola» 51.

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Es lief somit darauf hinaus, Spielräume für eine indirekte 'Kontrolle' zu schaffen, eine Macht, die verfassungswidrige Norm interpretativ anzupassen.

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Dabei handelte es sich um eine tief in der rechtswissenschaftlichen Kultur Italiens verwurzelte hermeneutische Auffassung des Verhältnisses zwischen legaler Tatsache und verfassungsrechtlichem Prinzip, die die interpretative Harmonisierung des positiven Rechts mit den generellen Prinzipien der Verfassungsordnung legitimiert. Es sind die fundamentalen Prinzipien, wie zu unterstreichen ist, die sich nicht nur in der geschriebenen Verfassung wiederfinden, sondern aus dem Gewebe der materiellen Verfassung selbst hervorgehen.

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Dies entsprach einer Verlagerung des Problems der Verfassungsmäßigkeit vom Feld der institutionellen Beziehungen auf jenes der Anwendungsmethode des Rechts.

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Die technisch-juristische Sichtweise der Rechtsauslegung wurde ein institutionelles 'Nirgendwo' der effektiven Regulierung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze.

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Es handelte sich um einen Ansatz, der sicherlich das Gewicht der Judikative aufwertet. Die Existenz des gültigen Gesetzes wurde durch die Judikative bestimmt, denn wenn ein nationaler Wille ein Gesetz hervorgebracht hat, «la sua esistenza è indipendente dalla volontà creatrice come tale» 52. Auch dank dieser besonderen Rolle erlangt die richterliche Gewalt die eigene Unabhängigkeit von den anderen Staatsgewalten.

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Das wurde ermöglicht, ohne das durch das Gesetz bemessene Verhältnis zwischen Recht und juristischer Notwendigkeit in Frage zu stellen.

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Die Interpretation determinierte dabei die Überlegungen über den verfassungsrechtlichen Nutzen des Gesetzes, ohne sich auf seine Gültigkeit auszuwirken; gleichzeitig blieb die Möglichkeit einer konstitutionellen Lesart des Gesetzes offen, die von Mal zu Mal aktualisiert wurde 53.

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Die Interpretation war darüber hinaus kein exklusiver Aufgabenbereich, und für unsere Juristen erschöpfte sie sich sicherlich nicht in der Person des Richters. Sie setzte auch und vor allem die unersetzliche Mediation des Rechtswissenschaftlers voraus. Eine solche Präsenz garantierte, dass die interpretativen Dynamiken, die das positive Recht 'konstitutionalisieren', nicht mit der Entscheidung für die Legalität und die Gewaltenteilung in Konflikt gerieten.

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In Italien fand sich der Jurist bereits mit der Wende durch die Pandektenwissenschaft in der Rolle, eine Allianz zwischen Wissenschaft und Gesetzgebung zu fördern. Der Jurist beschäftigte sich mit der wissenschaftlichen Kontrolle der Rechtsprechung. Indem die Rechtswissenschaft die Subordination des Richters unter das Gesetz sicherstellte, schuf sie sich eine Rolle in erster Reihe bei der Bildung des Rechtssystems. Korrelativ diente die Errichtung des Systems auf dem Gesetz durch die Wissenschaft auch dazu, die Prinzipien des Rechtsstaates vor eventuellen Eingriffen des politischen Gesetzgebers selbst zu verteidigen. Somit verweigerte der Jurist einerseits die Kontrolle der substantiellen Verfassungsmäßigkeit der Gesetze durch den Richter, während er andererseits die Anforderung einer 'wissenschaftlichen Überprüfung' des Gesetzesinhaltes forderte, als Bedingung für Ihre Aufnahme im Rechtssystem 54.

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Eine solche Aufgabenstellung wurde umso bedeutender in den letzten Zügen des 19. und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als sich - in zahlreichen unterschiedlichen Auseinandersetzungen mit der Tradition der Pandektenwissenschaft - neue Ansätze entwickelten, die Rechtsauslegung in einer Perspektive zu verstehen, die «non pure il carattere generale dell'interpretazione e il suo inevitabile sopraffare il testo, ma la relazione fra legge e interpretazione» 55 betraf. In der italienischen Realität setzten sich auch solche antiformalistischen und tendenziell freirechtlichen Ansätze fort, die der Rechtswissenschaft eine zentrale Rolle in der Rechtsauslegung reservieren wollten 56. Dies ist eine Charakteristik, die den italienischen 'giusliberismo' von der deutschen Freirechtsbewegung unterscheidet, die stärker die Macht des Richters betonte.

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Wir stehen einer Rückkehr (oder Neuformulierung) der Zentralität des Juristen gegenüber, die mit ihrer typischsten Anforderung, d.h. das Recht auszulegen, in das Beziehungsgeflecht zwischen politischer Macht und Recht eingriff, um eine fundamentale Funktion für sich zu schaffen und zu entfalten. Auf diese Weise positionierte sich der Jurist mitten in die Dialektik zwischen den Gewalten durch die alleinige Tatsache, seine eigene kulturelle Funktion zu entfalten, ohne einen institutionellen Platz einzunehmen.

83
Dies erklärt sich schließlich auch aufgrund der großen Verflechtung (und in vielen Fällen auch Identität) der Personen untereinander, die in den unterschiedlichen Institutionen tätig waren, sowie zwischen diesen und denjenigen, die wissenschaftliche Tätigkeit ausübten. Mit einer solch hohen Neigung zur Austauschbarkeit der Humanressourcen konnten die Auswirkungen der Institutionen auf das Recht nicht erschöpfend durch eine Aufteilung der Kompetenzen reguliert werden.

84
Die Rechtsaulegung scheint eine gemeinsame Ebene zur Vervollkommnung der Dialektik zwischen den Institutionen darzustellen. Genau dieses impliziert das Primat des Juristen gegenüber dem des Richters.

85

8. Die Oberste Gerichtsbarkeit als konstitutionelle Ressource

Unter Berücksichtigung dieser genetischen 'Meta-Wirkung' der Rechtsauslegung nimmt die Frage der Obersten Gerichtsbarkeit eine neue Wertigkeit an.

86
Größere Bedeutung erhalten wiederholte Meinungsäußerungen, die auf die Kassation verwiesen - den Obersten Richter, der angerufen wurde, um die exakte Befolgung des Gesetzes zu garantieren - als den Ort der Ausarbeitung des Gesetzes und der Verfolgung der Entscheidungen des Gesetzgebers. Mortara - eben jener, der explizit einen autonomen institutionellen Raum für die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit negierte - hielt fest: «tra la funzione della legge e quella della giurisdizione non vi è solo un rapporto di dipendenza». «La funzione giurisdizionale [...] segna il confine al di là del quale non può estendersi quella che suolsi chiamare la onnipotenza della legge» 57.

87
Auf diese Weise - unter dem Schutz anderer Funktionen, die wiederum sehr wohl institutionell zugewiesen wurden - konnte die Oberste Gerichtsbarkeit es erreichen, auf die verfassungsrechtlichen Spielräume des Gesetzes einzuwirken.

88
Mit solchen theoretischen Voraussetzungen scheint die pluralistische Morphologie der Obersten Gerichtsbarkeit Öffnungen zu einer interpretativen Gestaltung der verfassungsrechtlichen Wertigkeit des positiven Rechts begünstigt zu haben, indem sie die Möglichkeiten für deren Überprüfung in der Rechtsprechung (auch auf höchstem Niveau der Gerichtsbarkeit) multiplizierte.

89
Vielleicht lag es auch daran, dass jenes so ostentativ kritisierte System der Obersten Gerichtshöfe so lange Zeit in Kraft bleiben konnte. Es war im Grunde ein wertvolles Mittel für einen Staat mit jungen Institutionen, ohne konsolidierte verfassungsrechtliche Praxis, die geeignet wäre, sein Leben und seine Dialektik zu lenken, und allein eine mit der Realität kompatible verfassungsrechtliche Struktur zu determinieren; schließlich handelte es sich um einen souveränen Staat, der, da er ein Rechtsstaat sein wollte, nicht von dem drückenden und problematischen Thema der Disziplinierung der eigenen Gewalten absehen konnte. 90

Fußnoten:

* Eine Fassung des vorliegenden Artikels in italienischer Sprache wird in der Zeitschrift Giornale di storia costituzionale. Periodico del Laboratorio di storia costituzionale "Antoine Barnave", Nr.4 veröffentlicht.

1 Vgl. J.L. Halperin, Le tribunal de cassation et les pouvoirs sous la Révolution (1790-1799), Paris, LGDJ, 1987, passim, L. Lacchè, Il potere giudiziario come potere politico in Attilio Brunialti, in Storia, amministrazione, costituzione, 7, 1999, S.34.

2 R. De la Grasserie, De la fonction et des juridictions de cassation en législation comparée (évolution, comparaison critique, réforme), Paris, LGDJ, 1911, S.1. Vergleichbare Überlegungen finden sich bei M. Renouard, Considerations sur l'histoire de la Cour de Cassation, Paris, Cosse, 1875, S.18 . Auch P. Harras von Harrasowsky, Die Rechtsmittel im Civilprocess nach dem gegenwärtigen Stände der Gesetzgebung, Wien, Hölder, 1879, S.5 unterstrich die antijurisprudentiellen Valenzen im französischen Modell.

3 U. a. vgl. G.D. Tiepolo, Della suprema autorità giudiziaria, in La legge, I, 1861, S.170, L. Frojo, Elementi di procedura civile, Napoli, Stamperia di F. Ferrante e C., 1865, S.66, G. De Falco, Discorso pronunciato presso la Corte di cassazione di Roma nella assemblea generale del 3 gennaio 1884, Roma, Tipografia del Senato, 1884, S.14, C. Carbellotto, Cassazione e Corte di Cassazione, in Digesto italiano, VII, 1888, S.49, L. Mortara, Commentario del Codice e delle leggi di procedura civile, (3. Ausgabe), Milano, Vallardi, 1905, vol.II, S.14-15.

4 Siehe z. B. De Foresta, Del riordinamento giudiziario. Cassazione o terza istanza?, (1868), im Anhang von M. D'Addio, Politica e magistratura, (1848-1876), Milano, Giuffrè, 1966, S.487, oder die Discussione sul disegno di legge sull'ordinamento giudiziario, in Atti parlamentari della Camera dei Deputati. Discussioni, Legislatura XXI, 2a Sessione 1902-1903, Vol.VII, Roma, Camera dei Deputati, 1903, Tornata del 10 marzo 1903, S.6538, G. Sarocchi, S. Lessona, E. Finzi, E. Barsanti, A. Tellini, Sul problema delle Cassazioni territoriali. Consigli degli avvocati e dei procuratori di Firenze, Firenze, Tipografia Barbera, 1923, S.6.

5 G. Carcano, La Cassazione e lo Statuto, Milano, 1872, S.12-13 und S.27-28. Ähnlich waren die Beobachtungen von E. Barral, A. Anelli, R. Luzzati, L. Bertolotti, Intorno alla suprema magistratura del Regno, Milano, f.lli Rechidei, 1872, S.132-133, F. Carrara, Della sostituzione dei supremi tribunali di terza istanza alle quattro corti di cassazioni, (1873), im Anhang von M. D'Addio, (Anm.4), S.534, G. Carnazza, Sull'organizzazione giudiziaria, in Il circolo giuridico, X, 1879, S.66-68.

6 Mit diesen Beobachtungen leitete der Monitore dei tribunali, II, 1861, S.155, die Seiten der Protokolle der Kommission Cassinis ein, die die Zeitschrift komplett veröffentlichte. S. u., Abschnitt 3.

7 C. Giuliani, La terza istanza e la Corte di Cassazione, in La legge, I, parte I, 1861, S.94. Vgl. M. Meccarelli, Identità e funzione delle corti supreme in Europa al tempo delle codificazioni, in Quaderni fiorentini, 28, 1999, S.1147-1166.

8 Vgl. E. Dezza, Gli ordinamenti giudiziari in Italia nell'età della codificazione, in Saggi di storia del diritto penale moderno, Milano, LED, 1992, S.191, A. Sciumè, 'Quando la politica entra dalla porta la giustizia fugge impaurita dalla finestra': giudici e sentimento della giustizia in Italia dall'Unità al primo Novecento, in Europäische und amerikanische Richterbilder, heraugegeben von A. Gouron, L Mayali, A. Padoa Schioppa, D. Simon, Frankfurt am Main, Klostermann, 1996, S.167-175, V. Denti, M. Taruffo, La Rivista di diritto processuale civile, in Quaderni fiorentini, 16, 1987, S.663, N. Tranfaglia, Magistratura, in Storia d'Italia, herausgegeben von F. Levi, U. Levra, N. Tranfaglia, Firenze, Nuova Italia, 1978, S.619, P. Marovelli, L'indipendenza e l'autonomia della magistratura italiana dal 1848 al 1923, Milano, Giuffrè, 1967, S.194-201.

9 Siehe u. a. C. Manganini, Raffronto tra il sistema della Cassazione e quello delle terze istanze, in La legge, VI, parte I, 1866, S.355-358, E. Barral, A. Anelli, R. Luzzati, L. Bertolotti, (Anm.5), S.133-136, D. Cavalleri, L'istituto della cassazione e della terza istanza, Milano, Hoepli, 1902, S.48. Vgl. auch die Discussione del progetto di legge per istituire sezioni temporanee in talune Corti di cassazione, in Atti parlamentari della Camera dei Deputati, Discussioni, Legislatura XII, Sessione 1874-75, 2° periodo, Roma, 1875, vol.IV, S.4447-4478.

10 G. Carcano, (Anm.5), S.5: Es sei zu verifizieren «se e quanto l'uno e l'altro sistema possono accomodarsi ai principii del Governo rappresentativo e stare in mezzo ad istituzioni della natura di quelle che ci governano».

11 Vgl. J. Luther, Idee e storie di giustizia costituzionale nell'Ottocento, Torino, Giappichelli, 1990, S.169-183, u. derselbe, Die italienische Verfassungsgerichtsbarkeit. Geschichte, Prozeßrecht, Rechtsprechung, Baden-Baden, Nomos, 1990, S.44-50, M. Bignami, Costituzione flessibile, costituzione rigida e controllo di costituzionalità in Italia (1848-1956), Milano, Giuffrè, 1997, S.1-25, J. Varela Suanzes, Riflessioni sul concetto di rigidità costituzionale, in Giurisprudenza costituzionale, XXXIX, 1994, vol.II, p.3313-3338, A. Pace, La causa della rigidità costituzionale, Padova, CEDAM, 1996, S.74-96.

12 Vgl. R. Martucci, L'invenzione dell'Italia unita, Milano, Sansoni, 1999, S.342, A. Sciumè, Fra revisione e cassazione. Modelli di organizzazione giudiziaria e politica dell'unificazione nella Lombardia postunitaria, in Ius mediolani, Milano, Giuffrè, 1996 , S.997-998, 1022-1023 e 1049-1050, P. Saraceno, Storia della magistratura italiana, Roma, Università La Sapienza, 1993, S.130-135, M. D'Addio, (Anm.4), S.109-113, P. Marovelli, (Anm.8), S.54-55.

13 «Potere politico» bemerkt P. Saraceno, Alta magistratura e classe politica dalla integrazione alla separazione, Roma, Edizione d'Ateneo & Bizzarri, 1979, S.23, «e potere giudiziario non solo non rappresentavano forze diverse ma, non di rado, si confondevano persino negli stessi individui».

14 G. Astengo, (a cura di), Processi verbali delle sedute della commissione […], in Monitore dei tribunali, II, 1861, Protokoll Nr. 3, S.159. Vgl. den Kommentar von A. Sciumè, (Anm.12), S.1001-1026 und M. D'Addio, (Anm.4), S.109-117.

15 S. Marchese, Sull'ordinamento delle Corti supreme italiane, in La legge, I, parte I, I, 1861, S.10.

16 G.D. Tiepolo, (Anm.3), S.169. Solche Charakterisierungen des einheitlichen Obersten Gerichtshofes finden sich auch bei A. Caveri, Corte di terza istanza,di cassazione, di revisione, corte suprema, (1861), im Anhang von M. D'Addio, (Anm.4), S.467-469, G. Astengo, (Anm.14), Protokoll Nr. 3, S.158-159, D. Giuriati, La Cassazione e le tre istanze, Torino, 1861, p.2, G. Calgarini, Il tribunale di terzo grado e una giurisdizione suprema, in La legge, VI, 1866, parte I, S.893-894. Nach M. D'Addio (Anm.4), S.115, jedoch habe das Projekt Cassinis zu der Schlussfolgerung geführt, «che il giudizio di costituzionalità era la vera ed unica giustificazione che distingueva il consiglio supremo di giustizia dalle cassazioni regionali».

17 Eine eingehendere Zusammenfassung solcher wissenschaftlicher Ausarbeitungen wird von P. Grossi, Scienza giuridica italiana, Milano, Giuffrè, 2000, vorgelegt.

18 G. Zanardelli, Discorso del Presidente del Consiglio rivolto alla Camera dei Deputati, nella tornata del 25 marzo 1903, in Discorsi parlamentari, Roma, Camera dei Deputati, 1905, vol.II, S.642-643, insb. S.638, C. Cavagnari, La riforma dell'ordinamento giudiziario, in Monitore dei tribunali, XLIV, 1903, S.161, C. Lessona, La réforme judiciaire en Italie, in Revue trimestrielle de droit civil, IX, 1903, S.349-351, E. Piola Caselli, La magistratura, Torino, UTET, 1907, S.417-421. Vgl. P. Marovelli, (Anm.8), S.195-202.

19 G. Zanardelli, (Anm.18), S.638. Bekräftigt wurde dies vom Abgeordneten Sacchi während der Parlamentsdebatte in Atti parlamentari della Camera dei Deputati, (Anm.4), Tornata del 13 marzo 1903, S.6397.

20 Vgl. dazu Jusitizminister Cocco-Ortu während der Debatte im Abgeordnetenhaus, Ibidem, Tornata del 24 marzo 1903, S.6686: Die Kassation wurde «un consesso in cui si raccolgano i più eminenti giuristi d'ogni contrada d'Italia, ciascuno dei quali vi porti il contributo del sapere, dei progressi, delle correnti scientifiche [...] che si elaborano nei vari centri della cultura nazionale; cosicché, col concorso degli studi e della dottrina di tutti, la giurisprudenza sia l'espressione del progresso, e formi l'unità del diritto, fondamento primo dell'unità morale della nazione».

21 C. Cavagnari, (Anm.18), S.162.

22 Es handelt sich um einen Ausschnitt aus dem Beitrag des Abgeordneten Sorani, in Atti parlamentari della Camera dei Deputati, (Anm.4), Tornata del 18 marzo 1903, S.6502.

23 Sacchi Ibidem, Tornata del 13 marzo 1903, cit., S.6397.

24Ibidem, S.6398; eine Rolle als Schutzwall gegen die Einmischungen der Exekutive wurde dem Obersten Kassationsgerichtshof auch vom Abgeordneten Giradini Ibidem, Tornata del 19 marzo 1903, S.6538 beigemessen.

25 Vgl. M. Sbriccoli, Il diritto penale liberale. La "Rivista Penale" di Luigi Lucchini, 1874-1900, in Quaderni fiorentini, 16, 1987, S.105-183, J. Luther, Idee e storie, (Anm.11) S.192-194, und derselbe Die italienische Verfassungsgerichtsbarkeit, (Anm.11), S.50, M. Bignami, (Anm.11), S.53-55.

26 Entscheidung vom 20. September 1900 in Giurisprudenza italiana, 1900, II, S.57. Vgl. dazu ebenda den Kommentar von L. Mortara, Il decreto - legge 22 giugno 1899 davanti alla Corte di cassazione, S.53-56. Vgl. E. Presutti, Il decreto - legge 22 giugno 1899 avanti alla giurisprudenza penale, in Giurisprudenza italiana, 1899, II, col.367-380, L. Lucchini, Il decreto legge sui provvedimenti politici, in Rivista penale, 50, XXV, 1899, S.125-143, und derselbe, Decreti legge e necessità di Stato, in Rivista penale, 51, XXVI, 1900, S.583-584.

27 L. Mortara, Commentario, (Anm.3), vol.I, S.100-104: Dem Richter stehe «senza dubbio la interpretazione e l'applicazione dei decreti-legge» zu. Insbesondere ist es seine Aufgabe, «decidere se il decreto-legge sia tuttora nello stadio di imperfezione organica che costituisce il suo peccato originale, ovvero se abbia acquistato definitiva autorità di legge, qualora su questo punto siavi controversia. L'indagine [...] è diretta ad accertare se esista una vera e propria norma giuridica, laonde appartiene alla competenza giudiziaria» [p.104]. Vgl. A. Brunialti, Il diritto costituzionale e la politica nella scienza e nelle istituzioni, Torino, UTET, 1900, vol.II, S.594.

28 F. Degni, L'interpretazione della legge, Napoli, Jovene, 1909, S. 230. Ebenso C. Lessona, La legalità della norma e il potere giudiziario, in Scritti minori, S.Maria C.V., Cavotta, 1911, vol.I, S.52-72.

29 A. Brunialti, Il diritto costituzionale, (Anm.27), vol.I, (1896), S.385 e S.320, vol.II, S.594 e S.569-597. Vgl. D. Cavalleri, (Anm.9), S.49, C. Lessona, La legalità, (Anm.28), 54.

30 F. Degni, (Anm.28), S.234. Ebenso C. Lessona, (Anm.28), S.47-48. Zu den verschiedenen Sichtweisen in der Doktrin und Rechtswissenschaft in bezug auf die 'Kontrolle' der gesetzvertretenden Verordnungen und der Verordnungen siehe M. Bignami, (Anm.11), S.43-61.

31 Vgl. L. Lacchè, La costituzione belga del 1831, in Storia, amministrazione, costituzione, 9, 2001, S.100-101. Daran erinnerte bereits A. Brunialti, Il diritto costituzionale, (Anm.27), vol.II, S.581.

32 Die Positionen sind hinreichend artikuliert. Man denke z. B. an die Diskussion zwischen E. A. Ehr, Studien über das preußsche Staatsrecht, S.179-243 und R. John, Rechtsgültigkeit und Verbindlichkeit publizirter Gesetze und Verordnungen nach den Grundsätzen des preussischen Staatrechts, S.244-274, in der Zeitschrift für deutschen Staatsrecht und deutsche Verfassungsgeschichte, I, 1867. Siehe dazu auch H. Bischof, Verfassung, Gesetz, Verordnung und richterliches Prüfungsrecht der Verfassungsmäßigkeit landesherrlicher Gesetze und Verordnungen,, in Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß, XVI, 1859, S.235-294, 385-422, XVII, 1860, S.104-144, 253-304, 448-464, und R. von Gneist, Soll der Richter auch über die Frage zu befinden haben, ob ein Gesetz verfasssungsmäßig zu Stande gekommen?, Gutachten für den vierten Deutschen Juristentag, Berlin, Springer, 1863, in partic. S.5-6; für die folgenden Jahrzehnte siehe, G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, Freiburg, Mohr, 1887, E. Hubrich, Das Reichsgericht über den Gesetzes- und Verordnungsbegriff nach Reichsrecht, Berlin, Struppe & Winckler, 1905. Vgl. J. Luther, (Anm.11), S.141-168.

33 R. von Gneist, (Anm.32), S.22.

34 L. Lacchè, Il potere giudiziario (Anm.1), S.31-32.

35 L. Mortara, Commentario, (Anm.3), vol.I, S.124. Ähnlicher Ansicht waren F. Degni, (Anm.28), S. 228, S. Romano, Osservazioni preliminari per una teoria sui limiti della funzione legislativa nel diritto italiano (1902), jetzt in Scritti minori, Padova, CEDAM, 1950, vol.I., S.238.

36 A. Brunialti, Il diritto costituzionale, (Anm.27), vol.I, S.336: «può ritenersi essere ormai generale tra noi la dottrina che il potere costituente è una sola cosa col legislativo ed in verun modo può considerarsi come distinto. La qual dottrina come a suo luogo vedremo, è conforme alla evoluzione della costituzione italiana, nella quale non è traccia di un distinto potere costituente». Der Autor fand deutlich kritischere Töne in dem Aufsatz Funzione politica del potere giudiziario, in Archivio giuridico, V, 1870, S.408. Siehe die dazu von L. Lacchè, Il potere giudiziario, (Anm.1), S.25-45, verfasste Abhandlung.

37 E. Piola Caselli, (Anm.18), S.138.

38 E. Hedde, Du rôle politique du pouvoir judiciaire dans la constitution des États-Unis, Paris, V. Giard et E. Brière, 1895, S.6. Vgl. R. De la Grasseire, (Anm.2), S.88, A. Brunialti, Il diritto costituzionale, (Anm.27), vol.I, S.324, L. Mortara, Commentario, (Anm.3), vol.I, S.130, und schon G.D. Tiepolo, (Anm.3), S.169, A. Caveri, (Anm.16), S.469.

39 A. Brunialti, Funzione politica, (Anm.36), S.404. Er bekräftigte später solche Ansätze in Il diritto costituzionale, (Anm.27), insb. vol.I, S.322-325.

40 S. Romano, (Anm.35), S.217. Im folgenden der Text auf italienisch: «Due - principalmente, anzi quasi esclusivamente- sono stati i punti di vista da cui si è creduto di poter condurre ed esaurire l'esame del grave problema: la modificabilità per mezzo degli organi legislativi ordinari, dello Statuto e l'incompetenza dei giudici a sindacare gli atti che presentano, regolarmente osservate, le forme esteriori delle leggi». Der Versuch von Romano ist es, mit einer «osservazione microscopica», aber ohne Verzicht auf die beiden o. a. Prinzipien, eine eingehendere Theorie der Grenzen der legislativen Funktion herauszuarbeiten.

41 L. Mortara, Commentario, (Anm.3), vol.I, S.123. Vgl. M. Bignami, (Anm.11), S.27-43.

42 F. Degni, (Anm.28), S.228. Dies war eine hinreichend konsolidierte Orientierung der Rechtswissenschaft. Vgl. M. Bignami, (Anm.11), S.27-28. Das Unterscheidungskriterium wurde nachfolgend noch in den 30er Jahren angewendet; vgl. G. Arangio Ruiz, Intorno al sindacato giudiziario sulle leggi, in Studi di diritto pubblico in onore di Oreste Ranelletti nel XXXV anno del suo insegnamento, Padova, CEDAM, 1931, vol.I, S.21-23.

43 L. Mortara, Commentario, (Anm.3), vol.I, S.123. Es geht um «una funzione legislativa straordinaria, distinta dalla ordinaria perché affidata ad un organo speciale, il quale come la funzione stessa, riceve il nome di "costituente"». Nur wo diese Funktion instituiert ist, «col relativo organo [...] necessariamente la funzione legislativa incontra un impedimento a svolgersi oltre i confini del diritto nazionale». Vgl. A. Brunialti, Il diritto costituzionale, (Anm.27), vol.II, S.591, C. Lessona, La legalità, (Anm.28), S.45.

44 S. Romano, (Anm.35), S.228 e S.217. Besonders bekräftigte der Autor: «è parimenti indubitato che ai giudici, siano essi comuni che speciali, è sottratto qualsiasi controllo sulla legittimità sostanziale delle leggi»; dennoch ist er sehr bemüht, «non arrestarsi innanzi a principii e formule, che si presentano con la consistenza di dommi e che invece rivelano la loro manchevolezza».

45 A. Brunialti, Il diritto costituzionale, (Anm.27), vol.II, S.591, L. Mortara, Commentario, (Anm.3), vol.I, S.123-124, C. Lessona, La legalità (Anm.28), S.39-45.

46 F. Degni, (Anm.28), S.229. Es seien jedoch nicht kontrollierbar die interna corporis.Vgl. auch M. D'Amelio, Corte di cassazione, in Enciclopedia italiana di scienze lettere ed arti, IX, 1931, S.539, C. Lessona, La legalità (Anm.28), S.43-44, A. Brunialti, Il diritto costituzionale, (Anm.27), vol.II, S.592.

47 A. Brunialti, Il diritto costituzionale, (Anm.27), vol.II, S.593 und vol.I, S.322, und schon F.A. De Marchi, Dell'autorità giudiziaria siccome guarentigia dell'osservanza dello Statuto, in Monitore dei tribunali, I, 1860, S.545-549. Solche Richtungen wurden von der deutschen Doktrin verfolgt. Sie wurden zusammengefasst von R. von Gneist, (Anm.32), S.3-4 und S.22-23. Vgl. R. John, (Anm.32), S.260-262, H. Bischof, (Anm.32), passim. Vgl. M. La Torre, Scienza giuridica e stato di diritto. Leonard Nelson e Georg Jellinek, in Materiali per una storia della cultura giuridica, 2, 1999, S.395 f..

48 L. Mortara, Commentario, (Anm.3), vol.I, S.130.

49 A. Brunialti, Il diritto costituzionale, (Anm.27), vol.I, S.172; im folgenden der Wortlaut Ibidem, vol.II, S.592: «Se l'opposizione ai principii dello Statuto risulta non dal testo di una legge, ma da un determinato modo di intenderla, il potere giudiziario, nell'applicarla, le può dare quell'interpretazione che la renda conciliabile coi principii medesimi». Diese Linie wird auch Ibidem, vol.I, S.322 bekräftigt.

50 E. Hedde, (Anm.38), S.16.

51 S. Romano, (Anm.35), S.240-242. Dieser Ansatz dient auch dazu, die Prämissen zu identifizieren, unter denen der Gesetzgeber die Verfassung modifizieren kann; d. h. wann die Änderung durch die «necessità» auferlegt wird, die als «diritto che scaturisce immediatamente e direttamente dalle forze sociali» verstanden wird; wann es darum geht, eine Gewohnheit zu erkennen; wann die Modifikation indirekt in eine Integration in die Verfassung resultiert. [S.236-238].

52 A. Brunialti, Funzione politica, (Anm.36), S.406-407.

53 G.M. Malvezzi, Sulle tesi delle convenienza di unificare la corte di cassazione in Italia, Venezia, tip. Emiliana, 1872.

54 G. Cianferotti, Storia della letteratura amministriativistica italiana, Milano, Giuffrè, 1998, S.757 und auch S.756, erläutert es deutlich: durch «un' "alleanza della scienza con la legislazione"» macht der Jurist sich «mallevadore del controllo scientifico di legittimità dell'operato della giurisprudenza»; aber als Folge erhielt er eine zentrale Rolle in der Pflege des Rechtssystems auch hinsichtlich der Eingriffe des Gesetzgebers. Aus diesem Grund lehnt er ab «il controllo giudiziario della costituzionalità sostanziale delle leggi per affermare, invece, l'esigenza del controllo dottrinale della 'scientificità' dei loro contenuti, come elemento necessario alla ricevibilità e all'introduzione delle leggi nel sistema del diritto positivo». Vgl. J.Varela Suanzes, Riflessioni sul concetto di rigidità costituzionale, cit., p.3332, in bezug auf die von der deutschen Rechtswissenschaft erarbeitete "materielle Gesetzesauffassung"

55 B. Brugi, Dalla interpretazione della legge al sistema del diritto, in Per la storia della giurisprudenza e dell'Università italiane, Nuovi Saggi, Torino, 1921, S.17. Vgl. M. Meccarelli, Un senso moderno di legalità. Il diritto e la sua evoluzione nel pensiero di Biagio Brugi, in Quaderni fiorentini, n.30, 2001 S.124-184.

56 Zum italienischen 'giusliberismo' siehe P. Grossi, Scienza giuridica, (Anm.27), und ders. Itinerari dell'assolutismo giuridico. Saldezze e incrinature nelle "parti generali" di Chironi, Coviello e Ferrara, in Quaderni fiorentini, 27, 1998, S.168-227, Interpretazione ed esegesi, in Studi in memoria di G.Tarello, I, Milano, Giuffrè, 1990, S.282-307, "La scienza del diritto privato". Una rivista progetto nella Firenze di fine secolo, Milano, Giuffrè, 1988, P. Costa, L'interpretazione della legge: François Gény e la cultura giuridica italiana fra Ottocento e Novecento, in Quaderni fiorentini, 20, 1991, S.428, L. Lombardi, Saggio sul diritto giurisprudenziale, Milano, Giuffrè, 1975.

57 L. Mortara, Commentario, (Anm.3), vol.I, S.71.

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