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Viktor Winkler

Moderne als Krise, Krise als Modernisierung: Franz Wieacker und die großen Besinnungs-Bücher nach 1945

Inhalt:

1. Prolog: Von großen Büchern
2. Ein erster Blick: Der Befund einer juristischen "Besinnungs-Literatur" nach 1945
3. Ein zweiter Blick: Kontinuitäten nach hinten
4. Ein weiter Blick: Die großen Bücher 1933-1945
5. Ein analytischer Blick: "Fortschritte" mit und gegen die Krise
    5.1. Erklärungsmodell I: Bedrohung
    5.2. Erklärungsmodell II: Öffnung
    5.3. Ein Beispiel: Koschakers "Krise" und Wieackers "Befreiung"
6. Ein zweiter analytischer Blick: Krise als Dauerzustand
    6.1. Die ewige Krise der Romanistik
    6.2. "Naturrecht"? "Renaissance"?
    6.3. Megaprobleme - Metaprobleme
7. Ein Blick nach vorn: Wieackers "Privatrechtsgeschichte der Neuzeit" von 1967
    7.1. Topos Anti-Positivismus
    7.2. Topos Kulturkritik
8. Schluß: Ein großes Buch

 

Das Reich der Werte verdrängt - zurück bleibt, als ererbte
Haltung, der männliche pessimistische Behauptungswille in
einer entgötterten Welt."
Franz Wieacker 1

"Kann der Mensch so leben?"
E.-W. Böckenförde2

1. Prolog: Von großen Büchern

Franz Wieacker (1908-1994) hat mit seiner "Privatrechtsgeschichte der Neuzeit" von 1952 ein Buch geschrieben, das nach vielen Seiten scheint. Daß es zu den großen Büchern des vergangenen Jahrhunderts zählt, ist wahr.3 Aber diese "Größe" ist nicht nur eine solche der Wirkung oder Virtuosität, sondern auch und vor allem der großen Fragen und großen Themen, zu denen es drängt und aus denen es zugleich seine Kraft bezieht. Wer dieses Referenz- und Standardwerk der Rechtsgeschichte (auch) als eine solche Suche nach und Auseinandersetzung mit den Megathemen des Rechts liest, gewinnt, so meine erste These, nicht nur ein genaueres Verständnis des Buches selbst, sondern auch einen besonderen Einblick in die Rechtswissenschaftsgeschichte der Nachkriegszeit, wo bekanntlich eine besondere Gattung rechtswissenschaftlicher Literatur, die ich hier "Besinnungs-Bücher" nenne, unmittelbar nach 1945 jene großen Rechts-Fragen stellt (siehe unten 2.). Näher betrachtet schwinden auch hier freilich die Epochengrenzen (siehe unten 3.). Und geben den Blick frei auf einen größeren Zusammenhang von "Besinnungs"-Literatur (dazu 4.), der neue Fragen provoziert nach Nähe (dazu 5.) und Distanz (dazu 6.) zum historischen Umfeld. Geht der Blick so weit, dann entfernt er sich von Wieackers Buch - und rückt darin diesem großen Buch zugleich erst wirklich nah (dazu 7.).

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2. Ein erster Blick: Der Befund einer juristischen Besinnungs-Literatur nach 1945

Das Etikett "Besinnungs-Literatur" bedarf der Erklärung. Die Bezeichnung ist verkürzend, aber nicht abschätzig gemeint. Sie meint dreierlei: "Besonnen" wird sich, indem man in sich geht, prüft, ordnet. Ein Innehalten also, das neu und anders sehen will, sich bereit weiß zum Neuanfang. Es handelt sich um einen Wechsel des Beobachterstandpunkts. Zugleich wechseln aber auch, zweitens, Inhalte: Wer sich besinnt, wendet sich den Meta-Themen, also philosophischen, zumindest philosophischeren Fragen zu, fragt nicht nur anders, sondern immer in die Tiefe hinein. Schließlich ist darin, drittens, immer ein Gefühl der Krise enthalten, ja Besinnung und Krisengefühl gehören regelmäßig zusammen, das Eine wächst mit dem Anderen.

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Alle drei Elemente von Besinnungs-Literatur sind bedeutungsvoll. Sie finden sich sämtlich in einer Reihe von unmittelbar nach 1945 (und gedrängt um 1947) erschienener rechtswissenschaftlicher Arbeiten. Mir geht es hier um:
Paul Koschakers "Europa und das römische Recht" von 1947
Ludwig Mitteis´ "Vom Lebenswert der Rechtsgeschichte" von 1947
Helmut Coings "Die obersten Grundsätze des Rechts" von 1947
Hans Welzels "Naturrecht und materiale Gerechtigkeit" von 1951
Gustav Radbruchs "Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht" von 1946
Hans Rommens "Die ewige Wiederkehr des Naturrechts" von 1947
Wilhelm R. Beyers "Rechtsphilosophische Besinnung" von 1947
Hans Thiemes "Das Naturrecht und die europäische Privatrechtsgeschichte" von 1947

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Die Auflistung ist (bei weitem) nicht abschliessend. Arbeiten mit so "besinnender" Tendenz finden sich, je nachdem wie man sichtet und ordnet unterschiedlich, aber zwischen 1945 und 1960 jedenfalls überreich.4 Die hier genannten waren wohl jene, die damals und heute die größte Beachtung gefunden haben. Das gängige Etikett für Sie ist "Naturrechts-Renaissance". Diese ist längst Epochenbezeichnung, und als solche begräbt sie, naturgemäß, (allzu) Vieles unter sich. Natürlich fällt auf, wie gedrängt, zumal um 1947 herum, hier von ganz Ähnlichem die Rede ist. Und natürlich spricht man in diesen Arbeiten vom "Naturrecht". Welzel, Rommen, Beyer, Coing, Thieme scheint es um nichts anderes zu gehen, und selbst Paul Koschakers Buch, das auf den ersten Blick recht positiv von Europa und vom römischen Recht zu handeln scheint, fleht nach "europäischem Naturrecht"5. Und schließlich liegt die Bedeutung von Kriegsende und Kapitulation 1945, gelesen in damaligen (und späteren) Konnotationen von "Untergang", "Zerstörung" und "Niederlage", für diese Arbeiten auf der Hand. Die Titel, Ton und Sprache dieser Texte scheinen all das reichhaltig wiederzugeben: Ganz evident ist das schon im Titel von Fritz von Hippels Buch von 19466, das auch hierher gehört. Beyer spricht vom "Trümmerfeld", das der Nationalsozialismus hinterlassen habe, Würtenberger in der Rezension zu Coings "Grundsätzen" von der "Gesundung unseres Rechtslebens". Coing selbst verstand zeitlebens sein Buch von 1947 als "direkte Reaktion" auf "Zerstörung" und "Perversion" von Recht.7 Erzählt wird also eine Geschichte von "Besinnung" nach "Katastrophe" (Meinecke), einer Trümmerliteratur aus und in den Trümmern.

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3. Ein zweiter Blick: Kontinuitäten nach hinten

Bei näherer Betrachtung ergibt sich eine andere Geschichte. Sie widerlegt nicht die vorherige, trägt aber viele Zweifel an sie heran. Denn auf den zweiten Blick sieht man, daß die hier genannten Bücher eigentlich bereits vor 1945 entstanden sind. "Eigentlich", denn sie werden geschrieben nach 1945, erdacht aber meist davor. Das gilt besonders für Paul Koschakers "Europa und das römische Recht", das nichts Anderes ist als die (wenn auch überarbeitete) Erweiterung von Koschakers "Krise" von 1938;8 ein Buch, geschrieben "mitten"9 im "Dritten Reich". Rommens Buch war bereits 1936 erschienen. Daß man jedenfalls eine "Abkehr" oder "Wende" Radbruchs in seiner Arbeit nach 1945 erkennen könne, darf man heute wohl ablehnen.10 Thieme hat seine (eingehenden, langjährigen) Studien11 zum Naturrecht im "Dritten Reich" mit dem (schmalen, eher oberflächlichen) Büchlein von 1947 fortgesetzt. Hans Welzels auflagenstarke Naturrechts-Darstellung von 1951 steht in Kontinuität zu Welzels rechtsphilosophischer Ausrichtung vor 1945.12 Franz Wieackers Privatrechtsgeschichte, um dessen Einordnung es noch gehen wird, hat nicht nur Idee und Intention, sondern auch schon Komposition, Struktur und Anlage der "Privatrechtsgeschichte der Neuzeit" vor 1945, nämlich als Dozent, längst entworfen.13 Mitteis' Spätwerk vom "Lebenswert" vollzieht im Kern die bei ihm vor 1945 längst ausgeführte Tendenz gegen "Positivismus" der bloßen Fakten und für die Suche nach der "Rechtsidee" in der Rechtsgeschichte.14 Auf Coing scheint dies nicht zuzutreffen, er hatte vor 1945 gar nicht zu rechtsphilosophischen Fragen publiziert (sein Forschungsgegenstand war die Rezeption gewesen). Aber indem Coings "Grundsätze" sehr viel aufbereiten, was den Rechtshistoriker Coing umtrieb,15 darf man vielleicht doch auch hier von Kontinuität sprechen.

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4. Ein weiter Blick: Große Bücher zwischen 1933 und 1945

Wagt man so, hinter die magische Grenze von 1945 zu schauen, dann treten plötzlich auch ganz andere Bücher hinzu. Dann fällt auf, daß gerade hier, also vor 1945 und nach 1933, die großen Bücher des Jahrhunderts geschrieben werden. Es lohnt sich jedenfalls, sich das bloße Faktum Ihrer Entstehung einmal in einer Liste zu vergegenwärtigen:

Otto Brunners "Land und Herrschaft" von 1939
Ernst Fraenkels "Dual State" von 1941
Franz Neumanns "Behemoth" von 1942
Hans Kelsens "Reine Rechtslehre" von 1934
Karl Poppers "Open society and its enemies" von 1939-194316
Ernst Blochs "Prinzip Hoffnung" von 1938-4717
Hayeks "Weg zur Knechtschaft" von 1944
Schumpeters "Capitalism, Socialism and Democracy" von 1943

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Was für eine Reihe! Natürlich erkennt man zunächst nur Trennendes. Völlig Verschiedenes ist zusammengeworfen: geschichtswissenschaftliche Beiträge (Brunner), Herrschaftsanalysen (Fraenkel, Neumann, Schumpeter), Plädoyers (Popper, Hayek), Philosophien (Bloch, Kelsen) - Ökonomie, Geschichtswissenschaft, Politologie, Rechtsphilosophie, Staatsphilosophie - Positivismus und Naturrecht, marxistische Geschichtsutopie und anti-marxistische Utopiekritik, liberalistische Aufbruchs- und sozialistische Untergangsstimmung. Zugleich scheinen auch hier die Kausalitäten schnell aufgeklärt. Man schreibt seit 1933 eben an gegen das Regime, das zur "Erorberung" Europas ansetzt und besinnt sich im großen Stil über "Gesellschaft" (offene), "Staat" (doppelten), "Zukunft" (kontingente), "Heimat" (noch-nicht-seiende), "Recht" (zu bereinigendes) etc. Diesen Bezug kann man ganz konkret machen: Fraenkel und Neumann liefern die Analyse jenes "NS-Staates", der sie unmittelbar bedroht; der eine schreibt bereits in der Emigration (Neumann), der Andere noch im "NS-Staat", das Manuskript wird unter Lebensgefahr herausgeschmuggelt (Fraenkel); deutlicher können Bedingungen wissenschaftlicher Produktion kaum ausfallen. Klar ist diese Pression auch bei Popper: Am Tag des Einmarsches in Österreich setzt sich der Wiener Emigrant im fernen Neuseeland an den Schreibtisch und beginnt mit der Niederschrift seines Plädoyers für die "offene Gesellschaft".18 Hayek und Schumpeter verteidigen/erklären jetzt (1942/1943) alles andere als gesicherte "Liberalität" (nicht nur) gegen Hitler. Und wie anders sollte man das 1938 (im amerikanischen Exil) begonnene "Prinzip Hoffnung" lesen denn als Anathema zur Hoffnungslosigkeit in den Gestapo-Gefängnissen, "Konzentrationslagern" und anderswo? Das wäre dann die komplementäre "Kampfliteratur" dort gegen die "Trümmerliteratur" hier.

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5. Ein analytischer Blick: "Fortschritte" mit und gegen die Krise

5.1. Erklärungsmodell I: Bedrohung

Bereits das Werk von Brunner passt aber in diese Geschichte nicht hinein. Tatsächlich ist jedes Buch der Liste ein "Klassiker" geworden - und geblieben. Man darf wohl sagen, es handelt sich nicht nur um vergangene "Meisterwerke", sondern um Meilensteine, die zu Standardwerken des jeweiligen Faches gezählt werden. Das ist erstaunlich, denn der "Klassiker" ist zeitlos. In jedem Fall ist in diesen Büchern etwas ausgedrückt, das offenbar unabhängig vom zeithistorischen Kontext richtig war und ist. Dann aber gibt es nur zwei idealtypische Erklärungsmöglichkeiten: Solche "Meilensteine" waren trotz oder sie waren gerade wegen des historischen Kontextes möglich. Vieles deutet darauf hin, daß sie gerade mit der Krisenerfahrung von Krieg, Bedrohung, Vertreibung, Exil etc. möglich wurden. Biographisch gibt es dafür einige Anhaltspunkte: Fraenkel, Neumann, Bloch, Popper ist bei aller auch biographischen Verschiedenheit gemeinsam, daß sie (1) ihre Werke scheinbar grundlos, also ohne äußeren Anstoß/Auftrag beginnen, sie (2) diese unter den denkbar ungünstigsten, ja eigentlich unmöglichen (vor allem finanziellen) Bedingungen schreiben und (3) trotz der sehr geringen Aussicht auf Erfolg/Publikation/Einnahmen eine bisweilen ins Obsessive gesteigerte Disziplin speziell für diese Arbeit aufbringen.19 Nur schwer kann man darin nicht das Krisenhaft-Existentielle dieses Schreibens sehen. Die zum Teil nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten sind nach diesem Erklärungsmodell keine neuen Hürden auf dem eingeschlagenen Weg, sondern Auslöser einer anders u.U. ungeschrieben gebliebenen Arbeit.

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5.2. Erklärungsmodell II: Öffnung

Erkenntnisse über die Geschichte der Rechtsgeschichte im "Dritten Reich" deuten in dieselbe Richtung. Für die "Römische Rechtsgeschichte" lassen sich bedeutende wissenschaftliche Fortschritte in der Zeit von 1933 bis 1945 festmachen, die ebenfalls mit einem Zustand der "Bedrohung" einhergehen und mit ihm auch kausal verknüpft sind.20 Die "Fortschritte"21 entstanden hier im Zuge der Reaktion auf die bekanntlich prekäre Lage der Disziplin "Römische Rechtsgeschichte" angesichts Punkt 19 des NSDAP-Programms, einer breiten Aversion gegen die Rezeption des "fremden" römischen Rechts, der geradezu idealen Disposition der "Germanistik" für die NS-Ideologie22 u.a.m. In dieser Lage war die Wissenschaft vom Römischen Recht zu neuen Zugängen gezwungen, und vollzog diese auch reichlich. Die so gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse blieben auch nach 1945 gültig, ja bildeten nicht selten echte Durchbrüche.23

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Und doch wie anders war diese "Bedrohung" als jene eines Popper oder Bloch. Franz Wieacker hat, in seiner Rezension zu Koschakers Buch von 1947, dies als ehemaliger Beteiligter ganz deutlich gemacht und durchaus populäre Ausreden zerstört: Keineswegs sei man als Romanist in besonderer Gefahr gegenüber dem Regime gewesen, die "eigentliche Katastrophe des römischen Rechts in Deutschland nach 1933 lag in der Vertreibung der Mehrzahl der führenden Gelehrten"24. Vielmehr boten die neuen Verhältnisse jenen, die deutsch, nicht-jüdisch, nicht "links" und anti-positivistisch waren, hervorragende Karrierechancen. In Ermangelung eines besseren Wortes möchte ich das "Öffnungen" nennen. Diese Mischung aus latenter Bedrohung (für den Fall der deutlichen Abweichung von den Vorgaben des Regimes) und breiter Entwicklungsmöglichkeiten (für den Fall der Übernahme bzw. Fortführung gewisser Ideologie-Bereiche) war aber doch bezeichnend für die ganz überwiegende Mehrheit. So ist "Modernisierung" ja auch ein allgemeines Phänomen der Geschichte des "Dritten Reiches".25

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5.3. Ein Beispiel: Koschakers "Krise" und Wieackers "Befreiung"

Paul Koschakers "Europa und das römische Recht" von 1947, eines jener "Besinnungs"-Bücher nach 1945 und nach Intention und Titel leicht als Reaktion auf deutschen "Untergang" auszumachen, ist wie bereits angedeutet tatsächlich der Ausbau26 des 1938 erschienenen "Die Krise des römischen Rechts und die romanistische Rechtswissenschaft"27. Das verdutzt, denn die "Krise" meint man, seit sechzig Jahren in Europa-Rechtskultur-Beschwörungs-Rhethorik geschult, doch in der "deutschen Katastrophe" ausgemacht zu haben; aber 1938? Welche Krise ist denn nun gemeint? Von der prekären Lage der Romanistik im NS war bereits die Rede. Eine Verteidigung also des römischen Rechts und seiner "Kultur" gegen germanisch-nationalistischen "Ungeist"? Für diese Lesart finden sich reichhaltige Belege. Koschakers Buch geriert sich in der Tat als Verteidigungsschrift, ja - zeitgenössischen Zungenschlag wählend - als "Kampfschrift" und, mehr noch, als "Bekenntnis"28. Man liest von "europäischer Idee und Kultur", "europäischer Kulturgemeinschaft"29, der Gefahr vom Verlust des "Anschlusses an Europa"30 als "Gefahr geistiger Isolierung"31. Unter Betonung der "Aktualität (!) des römischen Rechts" rügt Koschaker die Verdrängung der Romanistik aus dem Stundenplan seit den NS-Ausbildungsreformen (1934/35) und nennt sie eine "Enttäuschung"32. Und er kommt auch auf Punkt 19 des NSDAP-Parteiprogramms zu sprechen, dessen ominöse Kampfansage an das römische Recht er als "mißverständlich" verstanden wissen will.33 Liest man schließlich Sätze wie

"Das Römische Recht war jenes Dach, das euch [die Juristen; Anm d. Verf] beschützte, ein milder Herr, der ohne Totalitätsansprüche allen Nationen Europas Spielraum für Entfaltung bot"34

dann stockt einem als Leser der Atem, zumal wenn man das allgemeine Schweigen aus Wissenschaftler-Mund nach 1933 kennt. Hier scheint also das zu Popper, Fraenkel, und die Anderen angedeutete Erklärungsmodell wieder wirksam zu sein, indem unter (äußerer/"innerer") Bedrohung Wichtiges ausgedrückt ist. Daß dies im "NS-Staat" erfolgt sein soll, macht gleichwohl staunen. Das Erstaunen wird noch größer wenn man den Ort dieser Anrufungen europäischer Rechtkultur betritt: Nicht konspirativ oder versteckt in einem ausländischen Verlag und nicht als Flugblatt entstehen diese Worte, sondern, im Dezember 1937, als Vortrag vor der nationalsozialistischen Akademie für Deutsches Recht. Und das mit Nationalsozialisten durchsetzte Publikum ist nicht vor den Kopf gestoßen, steht nicht indigniert auf, setzt nicht die Greifarme des Regimes in Bewegung, sondern - klatscht. "Am Schlusse gab es rauschenden Beifall und die sehr höfliche Einladung, den Vortrag als Nummer eins einer neuen Akademie-Serie zu publizieren"35. Koschaker selbst stellte dann im Europa-Buch von 1947 freimütig fest, daß "keinem Romanisten wegen seiner Wissenschaft von der Regierung ein Haar gekrümmt wurde"36. Tatsächlich hatte Koschaker jetzt und zuvor viel ideologisch Anschlußfähiges produziert, indem er mit der Pandektistik "deutsche" Rechtswissenschaft und "deutschen Geist" die Welt erobern sah, in "europäischer Kultur" anti-bolschewistische Klischees bediente, und (gemeinsam mit nicht wenigen Romanisten-Kollegen) das römische Recht von allem "orientalen" Einfluß frei zu halten suchte.37 Gerne wird auch vergessen, wie glühend alles Römische in diesem Regime verehrt wurde.38 In jedem Fall vergeht viel von dem Widerstands-Hauch, der das Buch von 1938 umweht.39 Die Gründe für den "Erfolg" von 1938 liegen dennoch (auch) tiefer.

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Koschaker sprach mit seinem Vortrag von 1937 ein großes Thema an. Im Paradox vom "Untergang" des römischen Rechts durch seine Positivierung im BGB schwelte das Problem seit 1900, aber es schwelte unter der Oberfläche. Koschaker nahm das Problem auf und plädierte leidenschaftlich für die (Wieder-)Einsetzung der Wissenschaft vom römischen Recht als praktisch-dogmatische Wissenschaft wie er sie mit Savignys Historischer Rechtsschule identifizierte. Die Aufgabe der Verbindung zum geltenden Recht erschien ihm als Sündenfall. Das war die "Krise" von der er sprach.40 Die "Historisierung der romanistischen Wissenschaft" bekämpfte er dann auch nicht nur in der BGB-Einführung selbst, sondern auch und eigentlich primär als Versäumnis der Rechtswissenschaft. Römische Rechtswissenschaft trotz Kodifizierung lautet die Devise.

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Wirklich interessant wird dieses Plädoyer für praktische Romanistik erst mit der Gegenposition. Sie findet sich folgenreich bei Franz Wieacker. Dessen spätere "Privatrechtsgeschichte der Neuzeit" entsteht wie angedeutet eigentlich vor 1945. Auch hier gilt das nicht für die Niederschrift, wohl aber für Konzept, Struktur und manches mehr. Die "Privatrechtsgeschichte der Neuzeit" als solche war bekanntlich unmittelbares Ergebnis nationalsozialistischer Studienreform - und ein "lange überfälliger Modernisierungsschritt"41, nämlich letzthin die Aufhebung der seit Einführung des BGB positiv (!) obsolet gewordenen Dichotomie Romanistik-Germanistik auf dem Weg der Abschaffung der jeweiligen früheren Vorlesungen und Ersetzung durch das neue Produkt "Privatrechtsgeschichte der Neuzeit". Auch hier kann man also von einem Modernisierungseffekt sprechen, der mit den Durchsetzungsmöglichkeiten des Regimes aufs Engste zusammenhängt. Der junge Privatdozent Franz Wieacker (1933-1937) gehört jedenfalls zur Avantgarde, die die neue Vorlesung durchführen darf. Sie entspricht seinem ureigenen Anliegen. Was der Romanist Koschaker 1938 als "Krise" der römischen Rechtswissenschaft brandmarkt ist für den frisch (nach Leipzig) berufenen Romanisten Franz Wieacker die lange überfällige Ermöglichung wissenschaftlicher(er) Forschung.42 In seiner Rezension von Koschakers Umarbeitung von 1947 nach dem Krieg feiert Wieacker die Ablösung der Romanistik vom geltenden Recht, bei allem Lob und bei besonderem Respekt vor der Leistung Koschakers, in scharfer Absetzung zu dessen Krisen-Vokabeln als "Befreiung".43 Ermöglicht sei damit nichts weniger als die "Geburt der modernen Rechtsgeschichte" als wissenschaftliche Bearbeitung des römischen Rechts ohne die Beschränkungen praktisch-dogmatischer Ansprüche. Endlich, so Wieacker, könne man befreit an die Quellen herantreten, was er, in bemerkenswertem Wort, die "wirklichkeitswissenschaftliche" Methode nennt. In der "Privatrechtsgeschichte" von 1952, dem "Herzstück seines reichen Lebenswerks"44, ist dieses rechtsgeschichtliche Programm dann voll durchgeführt.45

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Das Wort von der "wirklichkeitswissenschaftlichen" Methode deutet bereits an, daß hier weit mehr versteckt liegt als abstrakte (zutreffende) wissenschaftstheoretische Feststellungen: Wieacker ist seit seiner Freiburger Studenten-Zeit (von 1930-1933 als Assistent bei Pringsheim und unter besonderem Einfluß Kantorowicz´)46 glühender Anhänger einer Romanistik, die nicht nur ad fontes will, Interpolationenforschung, also Quellenkritik betreibt, folglich pandektistische und byzantinische Verfälschungen bekämpft, sondern auch eine dezidiert wertende Position zum römischen Recht einnimmt: Das "klassische" römische Recht als lebensnahes case law, wurde demnach durch byzantinische Verfremdung47 und dann vor allem pandektistische "Konstruktion" lebensfern, blutleer, doktrinär, formalistisch etc.48 Sowohl Dissertation (1932) als auch Habilitationsschrift (1936) ging es jeweils im Kern um den Nachweis einer weiteren Verfälschung klassischen Rechts durch Byzanz, Interpolation und Pandektistik, die, besonders dann in der Habilitationsarbeit, in "Abstraktheit", "Lebensfremdheit" etc. gesehen wird.49 Erst jüngst wurden diese Vorverständnisse in Wieackers romanistischer Ausrichtung wieder aufgesucht, überprüft und in die richtigen Kontexte gestellt.50 Wieacker selbst hat einen (nicht unerheblichen) Teil dieser Überzeugungen später selbstkritisch hinterfragt.51 Aber es war die Überzeugung, die hinter der "Befreiungs"-These stand, schon vor 1933, und danach harmonierte sie mit den rechtsgeschichts-wissenschaftlichen Leitmotiven.52 Nach 1945 hat Wieacker nahtlos hieran angeknüpft. An ganz ungewöhnlicher Stelle kann man das nachlesen: Als Niklas Luhmann, befragt nach Initiations-Erfahrungen im Rechtsstudium, ein wenig überraschend ein frühes besonderes Interesse für das römische Recht angab, hat er, neben der Zufälligkeit vorhandener Buchbestände im Buchnotstand nach 1945, als Ursache hierfür die ganz besondere Wirkung des noch immer jungen Professors Franz Wieacker auf ihn und die übrigen Freiburger Studenten betont, die im Kern darin bestanden habe, die "rechtspraktische" Seite des "sehr unsystematischen römischen Rechts" als "case law" und der jeweiligen Abhängigkeit auch römisch-rechtlicher "Institutionen" vom praktischen "Bedarf" herausgestellt zu haben.53

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Die geschilderte Diskussion zwischen Koschaker und Wieacker betrifft also "Großes", Zeitloses. Ermöglicht wurde die Austragung dieser Gegensätze aber durch ganz konkrete historische Umstände, die man, im obigen Sinn, unter "Öffnungen" subsumieren kann. Koschakers Position im "Dritten Reich" war ja (zumindest bis etwa 1942/43) alles andere als "gefährdet"; und sie beruhte auch auf äußeren "Öffnungen": Koschaker übernimmt nicht nur einen "frei gewordenen" (= vertriebenen) Lehrstuhl, es ist zugleich der Lehrstuhl eines der angesehensten Romanisten Europas (Ernst Rabel). Das gleiche gilt für Wieacker: Das "Dritte Reich" eröffnete ihm ganz besondere Karrieremöglichkeiten. Wie Koschaker (der freilich 1933 bereits lange zu den vielleicht drei, vier führenden Romanisten gehörte) bestand für Wieacker ein inhaltlicher Rechtfertigungsdruck bezüglich des römischen Rechts,54 institutionell scheinen mir aber die die Möglichkeiten die Beschränkungen für den 1933 nicht einmal 25jährigen bei Weitem überwogen zu haben.55 Daß er (1935/36) an die "Stoßtruppfakultät" nach Kiel gerufen (wenn auch nicht berufen) wird, machte ihn jedenfalls pro forma zur Avantgarde (in jeder Bedeutung des Wortes).56 Man kann und darf darin demnach eine enge kausale Verbindung zum historischen Kontext bei der Entstehung von Wieackers "Privatrechtsgeschichte" sehen.

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6. Ein zweiter analytischer Blick: Krise als Dauerzustand

Nahezu jedes der hier genannten Bücher spricht von "Krise"; gegenwärtig ist sie in allen: Den "Besinnungs"-Büchern nach 1945, die die Krise gerade nicht für überwunden erklären,57 den Emigranten-Büchern, die die Zeit für den Neuansatz gekommen sehen,58 Koschaker und Wieacker sowieso. Über die Metapher vom Staat als Körper kommt die "Krisis" als medizinischer Begriff seit der frühen Neuzeit in die Geschichte und verläßt sie nicht mehr.59 Schon bald wird daraus, bis heute, ein geschichtsphilosophischer Topos mit regelmäßig kulturpessimistischer Schlagseite.60 Und in der Tat: Egal wohin man schaut, Krise ist immer61, und überall62. Dann aber ist dieses Selbstgefühl abgelöst von historischen Ereignissen. Dieser zweite analytische Blick meint daher die andere Seite dieser Bücher, nämlich die Distanz zum historischen Kontext.

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6.1. Die ewige Krise der Romanistik

Augenfällig ist solche Distanz vom historischen Kontext trotz "Krise" bereits bei Koschakers "Krise" der romanistischen Rechtswissenschaft. Wenn man von Aktualität63 sprechen möchte, hier wäre sie angebracht. Denn Koschakers Plädoyer für eine Wiedereinsetzung der romanistischen Rechtswissenschaft in den vorigen Stand einer dogmatisch-praktischen Wissenschaft (Leitbild Savigny) ist für das Europa von 2004 längst reformuliert64: Ganz im Sinn Koschakers soll nach europäischer (kruder) Rechtsvereinheitlichung europäische Rechtswissenschaft (organische) Rechtseinheit herstellen. Möglich sei dies angesichts des gemeinsamen und noch aktuell auffindbaren (!) Bestandes europäischer Rechtsfiguren, der "Vitalität des Ius Commune" (Zimmermann)65. Und geleistet werden könne dies als Wiederbelebung "ursprünglicher Einheit europäischer Rechtswissenschaft" (Zimmermann). Die Bedenken an solchem Anknüpfen an Koschakers Botschaft liegen auf dem Tisch.66 Diskutiert wird darüber dennoch nicht sehr anders als zu Koschakers Zeiten.67 Die Identitäts"krise" des römischen Rechts - die tatsächliche und die eingebildete - ist also ein Dauer- und kein Krisenphänomen.68

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6.2. "Naturrecht"? "Renaissance"?

"Der Genius der Rechtswissenschaft konnte sich nicht lange in der Dürre des Positivismus halten"69

Zeitlos erweist sich bei genauerer Betrachtung meines Erachtens auch das vermeintliche "Krisenphänomen" "Naturrechts-Renaissance" - nur eben anders als die populäre Berufung auf die "ewige Wiederkehr des Naturrechtsgedankens" (Rommen) gerne nahelegen möchte. Zunächst ist auch hier die Bedeutung der Wörter zu klären. "Naturrecht" im Sinn eines metaphysisch vorhandenen Bestandes fester, ewig gültiger und formulierbarer Rechtsregeln a priori wollte hier nach 1945 wenn ich recht sehe niemand. Der Glaube an ein solches "Naturrecht" war 1945 schon (sehr) lange "ausgeträumt" (Windscheid), also im Wissenschaftssystem nicht mehr ernsthaft kommunizierbar. Aus heutiger Sicht tendiert man leicht dazu, in damaligen Diskussionen eine Naivität zu sehen, die sie demnach tatsächlich nicht besaßen. Das gilt zunächst für den doch vermeintlichen "Kopf" der "Renaissance" Radbruch: Im berühmt-berüchtigten Aufsatz zu "Gesetzlichem Unrecht und übergesetzlichem Recht" von 1946 kommt der Begriff "Naturrecht" nicht vor,70 tatsächlich ist der Beitrag randvoll mit - Rechtsprechungsfällen! Es ging also zunächst nicht um Rechtsphilosophisches, sondern "Rechtspraktisches"71 an seit 1945 anstehenden konkreten "positiven" Rechts-Problemen.72 Selbst die Pointe von Hans Welzels Naturrechts-Geschichte seit der Antike von 1951 bestand nicht in der Wiedererweckung eine solchen naiven Naturrechts.73 Heinrich Rommen, als Vertreter eines theologischen Naturrechts-Versuchs, war auch74 in dieser Hinsicht ein Außenseiter.

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(Spätestens) seit Stammlers "Naturrecht mit wechselndem Inhalt"75 bemüht man sich statt dessen meist um die Begründung eines Bestandes "naturrechtlicher" Regeln aus der Geschichte. Ein solches "schwächeres"76 Naturrecht findet sich vor allem bei Helmut Coing77. Seine "obersten Grundsätze des Rechts" meinen für den Rechtshistoriker Coing eben jene aus historischer Anschauung, aus "typischen sozialen Situationen"78 gewinnbaren Aussagen über Recht; es geht bei ihm um "Grundtendenzen"79 allgemeinen Inhalts, nicht um Rechtssätze an sich,80 um den Versuch, in der Situation nach 1945 "methodisch [!] feste Grundlagen" zur "Prüfung" des Gesetzes "vor dem Forum des Naturrechts"81 zu ermitteln. Das Austarieren neuer Begründungsmöglichkeiten für naturrechtliche Rechtskritik und nicht die Wiedereinführung vergangener Naturrechts-Bestände, Neubegründung und nicht Neugründung ist also das Programm. Der Untertitel bei Coing sollte in der Tat "Neubegründung" lauten; die "Neugründung" war ein Druckfehler.82

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"Wiedergekehrt" (Rommen), "wiedererstanden" (Thieme) "neubegründet" (Coing) ist also nicht "das Naturrecht". Dafür waren auch die philosophischen Vorprägungen der Akteure zu unterschiedlich: Wertphilosophie nach Hartmann und Scheler (Coing und Welzel), südwestdeutscher Neukantianismus (Radbruch), Neothomismus (Rommen) etc. etc.83 Was tatsächlich allen gemeinsam ist, erschließt sich nur auf den zweiten Blick, aber dann sofort überreich: Erzählt wird überall die Geschichte der "Wiederkehr" des Naturrechts vor allem, um das Scheitern seines Antipoden, des "Positivismus" zu erklären. Gerade dafür benötigt man die "Figur" der Wiederkehr: Während man sonst gerne vom "ewigen" Problem des Naturrechts spricht,84 inszeniert man jetzt 194585 als Menetekel des Positivismus mit anschließendem Wiederkehr-Finale.

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Am populärsten war dies natürlich geschehen durch Radbruch und seine "Wehrlosigkeits"-These. Aber gerade die Naturrechts-Renaissance zeigt doch, daß dies jenseits der Radbruchschen Sorgen um die "praktischen" Rechtsprechungsfälle und jenseits der Trennmarke 1945 lediglich die aktuell gewandte Variation einer alten communis opinio war, eine Fortführung des Anti-Positivismus vor 1945 in neuem Gewand. Dasselbe Personal, das nach 1933 die (meist zuvor selbst herbeigeredete)86 Krise von Weimar "geistlosen" Positivismus zuschrieb, schrieb diesem nach 1945 die (zum Teil mitverschuldete) Katastrophe von Auschwitz87 zu. Radbruchs "Wehrlosigkeits"-These war in ihrer idiomatischen Formulierung insofern lediglich die Brücke, über die dann auch ganz unwissenschaftlich und sehr praktisch Betroffene gehen konnten.88 Aber die Wissenschaft leistete die eigentliche Legitimations-Arbeit, indem sie vom "lange totgesagtem Naturrecht"89 sprach. Dazu gehörte dann auch, dass man sich in der Rückschau mit betont entspannter Geste versicherte: "In dem Maße, in dem das gesetzliche Unrecht des totalitären Willkürstaates aus unserer Rechtsordnung ausgemerzt wurde, konnte das Naturrecht wieder hinter den Vorhang des positiven Rechts zurücktreten".90

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Könnte man sich mit einer weiten Begriffsverwendung auf "Naturrecht" als Anti-Positivismus einigen, so war "Naturrecht" tatsächlich nie tot, sondern einer der ganz wenigen Dauererscheinungen einer ansonsten doch so uneinheitlichen Rechtsgeschichte. Im vermeintlich "positivistischen" 19.Jahrhundert, das mit Savigny Natur- und Vernunftrecht (nicht ohne Recht) für überwunden halten durfte, war "Naturrecht" in dem hier verstandenen Sinn einer metaphysisch argumentierenden Positivismus-Kritik durchaus omnipräsent.91 Ein wirkliches Abreißen dieser Anrufung erkenne ich nicht. "Naturrechts-Renaissance" ist immer.92 Natürlich gibt es auch hier "Wellen". Aber sie hängen nach meiner Einschätzung nicht mit Konjunkturen philosophischer Erkenntnis, sondern mit dem jeweils geschichtlich-konkret entstandenen Drang zur Umgehung des positiven Rechts zusammen: Naturrecht tritt in eine breitere Diskussion (zumal mit politischen Subtexten) immer dann, wenn zur Freisetzung einer sonst nicht auflösbaren (revolutionären) Dynamik ein Schritt hinter das geltende Recht unerläßlich erscheint.93 Damit ist aber die Gleichsetzung von Naturrecht und Anti-Positivismus für den hiesigen Zusammenhang sehr plausibel. Dass sie eine Verkürzung aber keine Verfälschung darstellt, zeigt die hiesige "Naturrechts-Renaissance" dann deutlich:

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Der Nationalsozialismus wird "Warnung und Lehre" erst indem er die "letzte todbringende Frucht vom Baume des Positivismus des 19. Jahrhunderts"94 ist. Die "Wiederkehr des Naturrechts" mag ewig sein, aber ihre Ursache ist: "Der Genius der Rechtswissenschaft konnte sich nicht lange in der Dürre des Positivismus halten"95. Man schwankt zwar bisweilen ein wenig, ob "der Positivismus überall im Vergehen" ist,96 oder sich jetzt 1947 erst noch "Rechtswissenschaft vom Positivismus befreien"97 muß. Aber zehn Jahre später beruhigt man sich: "Rechtspositivismus findet heute kaum noch einen wissenschaftlich ernst zu nehmenden Vertreter"98. Dann ist es nur recht und billig, wenn Mitteis sich zu dem Satz hinreißen läßt: "Das Naturrecht ist das eigentlich geltende Recht".99 Und auch wenn man, wie dargelegt, die rechtspraktische Seite von Radbruchs Kernaufsatz sehen muß, so kann man schließlich doch auch und gerade in "Gesetzlichem Unrecht und übergesetzlichem Recht"100 noch das rechtsphilosophische Desiderat des Anti-Positivismus ausmachen,101 in bemerkenswerter Kontinuität übrigens.102 Daß in der allseitigen Fortführung der staats- und rechtstheoretischen Debatten aus Weimar nach 1945 allein Hans Kelsen nicht vorkam,103 ist da beinahe nur noch Symptom.

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Dabei geht es nicht um die wissenschaftliche Richtigkeit oder Unrichtigkeit des "Positivismus".104 Aber die Bekämpfung des Positivismus hatte Folgen, die man nicht anders als fatal nennen kann.105 Indem man nach 1945 den Positivismus zum Sündenbock machte, verhinderte man also nicht nur die eigentliche Aufarbeitung, sondern bog die "Lehren" aus dem "Dritten Reich" geradezu in die entgegengesetzte Richtung. "So werden die Opfer zu Tätern"106.

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6.3. Megaprobleme - Metaprobleme

Einher ging in den "Besinnungs-Büchern" mit dem Anti-Positivismus das was Coing unter Verwendung einer berüchtigten Vokabel auch für die Rechtsgeschichte "geisteswissenschaftliche Methode"107 nennen wollte. Ganz generell gehörte zum Wiederkehr-Mythos das Leitmotiv eines metaphysischen Mangelzustandes. Nichts anderes ist gemeint, wenn man unter dem Eindruck der "Rechtsperversion" forderte, "einen neuen Blick auch für die sittlichen und religiösen Grundlagen echten Rechts zurückzugewinnen"108. Das kam manchmal auch ganz naiv und unverfänglich daher: "Aus der Geschichte ersehen wir: Je größer die staatlichen und religiösen Verwirrungen sind, je unsicherer und krisenhafter die Zeit ist, um so stärker ist der Wunsch, sich an ein Absolutes anzuklammern. In dieser Lage sind wir heute."109 Das war freilich noch vor Auschwitz gesagt. Daher klingt es auch nach 1945 noch ganz genauso: Eine "gefährliche anthropologische Entwicklung" konstatiert Hans Thieme 1947 darin, "daß die Menschen mit dem Verlust der metaphysischen Basis die absoluten Maßstäbe für ihr Handeln zu verlieren beginnen. Auf diese absoluten Maßstäbe kommt es an. Historismus, Positivismus und Relativismus vermögen sie nicht zu geben, auch nicht Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung"110. So ist zugleich der enge Bezug zum Anti-Positivismus evident. Und auch hier will man "Rechtsgeschichte als Geistesgeschichte"111. Damit sind nur alte Muster weitergeführt, besonders wenn man jetzt mit den gewohnten Vokabeln und geschichtsphilosophischen Erblasten nach dem "Lebenswert" (Mitteis) der Rechtsgeschichte fragt.112

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Die Anrufung von Metaphysik, von "Rechtsidee" und "Rechtskultur", der "Zuwendung an eine an die Rechtsidee gebundene Auffassung vom Recht"113 basiert meist auf einem betont kulturpessimistischen Zug.114 So muß man auf den zweiten Blick erkennen, daß etwa bei Koschaker "europäische Kultur" nicht nur durch nationalstaatliche (nationalistische) Verengung bedroht sein soll, sondern mehr noch durch "Ausdehnung der Bildung auf die breiten Massen" mit der Folge "neuer Bildungsideale".115 "Rechtsphilosophie tut not" angesichts der "Leere der geistigen Gegenwart"116. Der "Jurist allein", heißt es, könne die "Gesundung unseres Rechtslebens" nicht leisten, er benötige "die Unterstützung der Rechtsphilosophie"117. Diese soll dann auch noch die Öffnung bringen für weitere Diskurse: "Eine Rechtsphilosophie kann und darf politischen Fragen nicht ausweichen"118.

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Man mag dem Erklärungsmodell eines deutschen "Sonderweges" allgemein kritisch gegenüberstehen,119 kommt aber zugleich schwer umhin, in diesen "Besinnungs-Büchern" ein spezifisch deutsches Leiden an der Moderne zu erkennen. Beides, das Leidens-Moment wie das spezifisch "deutsche" daran, sind höchst angreifbare Einschätzungen. Sie sind nur schwer zu belegen und kaum zu wiederlegen. Zugleich handelt es sich in diesen "Besinnungs-Themen" um Megaprobleme des Rechts (Was ist Recht? Was könnten Maßstäbe für eine überpositive Gerechtigkeit sein? Welches Recht und welche Gerechtigkeit zeigt die Rechtsgeschichte? etc. etc.), die naturgemäß in allen Rechtsordnungen diskutiert werden. So ist etwa im doch so "praktisch" veranlagten anglo-amerikanischen Rechtsdenken die Diskussion um ein überpositives Recht bis heute nicht abgerissen.120 Aber mir geht es auch nicht so sehr um die Ankreidung "deutscher" metaphysischer "Sehnsucht"; das würde die Ideologie mehr fortschreiben als kritisieren. Wichtiger ist mir, daß auch hier nach 1945 Tendenz und Sprache von vor 1945 fortgesetzt werden.121 Am folgenreichsten hat beides, solche Tendenz und solche Sprache, bekanntlich Carl Schmitt formuliert.122 Aber man findet das nicht nur bei den "Schülern" und Epigonen, die sich vor allem nach 1968 auf alte Gedanken und Bewertung besinnen;123 man musste nicht nach Plettenberg fahren, um sich solche Kulturkritik abzuholen. Vielmehr wird gleich nach 1945 fortgeführt, was lange zuvor begonnen wurde. Auch hier kann man sich natürlich aus dem großen Angebot der Kontinuitäten nahezu beliebig bedienen.124 Aber es genügt, sich die oben gelistete andere Gruppe der "Besinnungs-Bücher" vor Augen zu führen, um zu sehen, wie anders die Reaktionen auch hätten ausfallen können. Wie anders wird dort mit Staat und Recht verfahren, wie anders mit Moderne und Modernität, wie anders auch mit der Analyse von Recht im Nationalsozialismus: Während man seit 1947 an der Apologie durch Dämonisierung von "pervertiertem" Recht durch geisteskranken Diktator in "totalem" Staat arbeitet, wurden hier strukturelle Analysen hervorgebracht, die bei aller Zeitbedingtheit zu sachlichen, empirisch unterfütterten und also wissenschaftlich verwertbaren Theorien führten.125 An "offene Gesellschaft" wird geglaubt, ebenso an die prinzipielle Offenheit des historischen Prozesses und die Möglichkeit seiner Verbesserung zu einem Ort individueller Selbstverwirklichung. Laboratorium mundi, nicht irdisches Jammertal ist die Welt in diesen Büchern. Man begnügt sich mit "moderner" Pluralität und Ausdifferenzierung, sieht "reines" statt "blutleeres" Recht. Ausdifferenzierung ohne Mitte macht Mut, nicht Angst. Während anderswo zum Begräbnis der Moderne geblasen wird, spricht man hier von Chancen und Öffnungen, von der Kraft des Individuums, der Berechtigung seiner Wünsche und der Möglichkeit ihrer Erfüllung.126

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Das klingt, auch nach Abzug des marxistischen Zungenschlags, 1948 in Cambridge ganz anders als 1947 in Frankfurt am Main, Göttingen und anderswo:

"Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor der Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, sich an der Wurzel fassen."127

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7. Ein Blick nach vorn: Wieackers "Privatrechtsgeschichte der Neuzeit" von 1967

Man gewinnt erst einen wirklichen Eindruck von Franz Wieackers "Privatrechtsgeschichte der Neuzeit" von 1967128 wenn man all diese Kontexte mitbedenkt. Nicht weil das Buch als Summe daraus mit ihnen gleichzusetzen wäre, sondern weil es im Kern als Stellungnahme zu ihnen verstanden werden muß - und will. Es als Standard-Lehrbuch zur Geschichte des Privatrechts seit dem Mittelalter einzuordnen, ist geradezu falsch. Von "Privatrecht" ist eigentlich gar nicht Rede. Wer säuberlich den Marsch der "Dogmen" durch die Geschichte verfolgen will, wird (mit gutem Recht übrigens) enttäuscht. Treffender wäre es, von der Geschichte des Rechtsdenkens zu sprechen, wenn man darin wie Wieacker Rechtswissenschaft global als philosophisch-tatsächliches Hybrid-Wesen erfassen kann. Ganz programmatisch und auf der ersten Seite heißt es: "...gilt diese Privatrechtsgeschichte der Neuzeit den geistigen und wissenschaftlichen Voraussetzungen des heutigen Privatrecht"129. Daß und wie Wieacker "geistig" und "wissenschaftlich" trennt und trennen kann, halte ich für einen, wenn nicht den Schlüssel zum gesamten Buch.

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Schon in der Rezension zu Koschakers Krisen-Buch hatte Wieacker, in wichtiger Übereinstimmung mit Koschaker, die echten "Gefahren" für Romanistik und Rechtsgeschichte in der "allgemeine(n) europäische(n) Kulturkrise" gesehen, in der es um den "äußeren Niedergang fast aller Geisteswissenschaften" gehe.130 In der ersten Auflage von 1952 ist dann von der "Gerechtigkeitskrise unseres Jahrhunderts"131 die Rede, es geht dann selbst in den Überschriften um "Rückwege zur materialen Gerechtigkeit"132. Das blieb die bestimmende Haltung. Daß Recht und Gerechtigkeit prinzipiell zwei Dinge sind, war für Wieacker selbstverständlich, Naturrecht daher, trotz mannigfacher eigener Kritik an allzu naiven "direkten" Ableitungen aus der Geschichte, immer "Ermutigung für die Suche nach der Gerechtigkeit"133. Nicht zufällig endet die Privatrechtsgeschichte "Auf der Suche nach der Gerechtigkeit".134

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Damit sei angedeutet, daß Wieackers Buch eng mit den hier skizzierten Phänomenen verbunden ist. Es nachzuweisen, zumal in einer Gesamtschau, die deutlich machen könnte, daß und wie das Buch noch viel mehr enthält, ist hier nicht möglich.135 Ein Aspekt bietet sich immerhin an, um das Buch kennenzulernen: Der von Wieacker gewählte Aufbau. Er bietet den Zugang zum Buch, im doppelten Sinn. Beide zu den Besinnungs-Büchern skizzierte Topoi, den kulturkritischen Zug und den ausgeprägten Anti-Positivismus, finden sich hier wieder.

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7.1. Topos Anti-Positivismus

Der Gang der Darstellung ("mittelalterliche Grundlagen" - Rezeption - Usus modernus - "Vernunftrecht" - Historische Rechtsschule, Pandektenwissenschaft und "nationalstaatlicher Positivismus" - "Privatrecht in der Krise des Positivismus") suggeriert meist (jedenfalls bei Studenten) eine gewöhnliche Periodisierung am Rechtsstoff. Tatsächlich ist darin eine Geschichte wissenschaftlicher Methoden erzählt. Hier erweist sich, daß es Wieacker um eine Geschichte des Rechtsdenkens und nicht um eine des Rechts geht. Es ist Wieacker selbst, der das ausdrücklich betont und klarstellt, und zwar gleich in der Einleitung; es wird (zumal im Studium) selten nachgelesen (ein weiterer Nachteil der "Standardwerk"-Einordnung, die das Buch nur als Steinbruch benutzt). Auch hier sollte man ihn ernst nehmen:

"Der Aufbau dieser Darstellung ist durch die Überzeugung bestimmt, daß die Epochen der Privatrechtsgeschichte jeweils durch methodische Neueinsätze des europäischen Denkens hervorgerufen worden sind. Es orientiert sich an den Typen des wissenschaftlichen Denkens"136.

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So erhält die "Periodisierung" eine ganz besondere Bedeutung. Während die Gewichtung von Mittelalter - Rezeption - Usus noch überzeugt, ist auffällig, daß jetzt nur noch drei "Perioden" übrig sein sollen. Über sie wird hier eine eindeutige Geschichte erzählt: Sie handelt von einem Bruch innerhalb des Naturrechtsdenkens, der nicht mehr ausheilt. Tatort ist die Zeit zwischen 1600-1800 innerhalb der "Vernunftrechtsepochen"137 und inhaltlich geht es um die "theologische" (Althusius, Grotius) und die "profane" (Pufendorf, Hobbes) Naturrechts"generation"138; virulent wird die so angelegte Trennung indem die "dadurch ermöglichte Rationalisierung und Mathematisierung" begonnen haben soll, "den ethischen Kern des Naturrechts auszuhöhlen"139. Damit ist einer der zentralen Angelpunkte in Wieackers Darstellung der Privatrechtsgeschichte erreicht. Das so bezeichnete "vernunftrechtliche" Denken entpuppt sich nicht nur als "naiver Apriorismus"140, "geschichtsfeindlicher und abstrakter Rationalismus"141 und "totale (...) Ideologisierung des öffentlichen Lebens"142, diese "kaum zu überschätzende"143 Wendung zu "Konstruktion" und Formalisierung wird von Wieacker zugleich zum Ursprungsort des "Positivismus" erklärt. Die "synthetische" Rechtsgewinnung vor allem bei Thomasius, im Gegensatz zum früheren "analytischen" Schluß aus dem Corpus Iuris, macht so aus Thomasius den "eigentliche[n] Vater" von "Begriffs- oder [!] Konstruktionsjurisprudenz"144, ja "Vernunftrecht" selbst ist "Begriffsjurisprudenz"145, während andererseits die Rechtsschule "Krypto-Naturrecht" sei.146 Bei Savigny befindet sich demnach das "von der [Historischen Rechts-]Schule selbst später verleugnete naturrechtliche Erbe"147, das aber tatsächlich "Rückgrat"148 ist. Entscheidend ist, daß diese Seite Savignys "trotz Methodenkrisen (!) noch heute eine beschränkte Geltung behalten hat"149 oder, noch schärfer in der Vorauflage 15 Jahre zuvor, "alles noch heute beherrscht"150. Gemeint ist die "Entartung des Positivismus"151, die in ihrer Bestimmung des Rechts "durch ein formales Kriterium" unter der "kausalen Erklärung der Naturwissenschaften" steht, und darin an das Vernunftrecht anknüpft.152 Damit wird eine direkte (absteigende) Linie "formaler" Rechtserfassung konstruiert, eine "Geschichte von Entartungsstufen" (Rückert), die ausgehend vom Vernunftrecht und unter Ausbau der in "Begriffsjurisprudenz" mündenden Historischen Rechtsschule unmittelbar in die "Entartung" des "Positivismus" mündet. Deswegen ist Historische Rechtsschule, Pandektenwissenschaft und nationalstaatlicher Positivismus zusammengezogen in einer Periode: Sie sind für Wieacker methodisch ein und dasselbe, und nach methodischen Neuansätzen wollte er gliedern.

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7.2. Topos Kulturkritik

Im Ganzen ist zugleich eine betont metaphysische Position durchgeführt. Das Vernunftrecht Thomasius´ ist, indem es Recht und Moral deutlich trennt, "bedenklich" weil "die Metaphysik des älteren Naturrechts zerstören(d)"153 und "gefährliche Schwächung seiner philosophischen Substanz"154, der "unheilbare Riß" zwischen "Recht und Sittlichkeit"155, diese "Verweisung der Ethik aus dem Bereich des Rechts"156 ist "ethische Verarmung"157, ja "sittlicher Zusammenbruch"158, denn sie sei "indifferent gegen die Gerechtigkeit"159. Diese Argumentation beruht auf Wieackers Grundhaltung vom Gang eines "Rechtsgedankens" durch die Privatrechtsgeschichte160, den er mit Coing, Mitteis, Welzel etc. teilt. Das ist viel Nähe zu Diskussionen und Haltungen, die man 1967 für längst beendet halten könnte.

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8. Schluß: Ein großes Buch

Die hier erzählte Geschichte handelte von der unablässigen Anrufung "metaphysischer" "Gehalte" im Recht und seiner Geschichte, von durchgehendem Anti-Positivismus und von der Verdammung der "Moderne" des Rechts mittels ihrer Stilisierung als Krise. Sie hat keine belehrende Pointe. Daß die hier geschilderten Inhalte in Wieackers "Privatrechtsgeschichte der Neuzeit" eine so bestimmende Rolle spielen, macht das Buch schon deswegen nicht "schlecht" weil die geschilderten Inhalte weder "schlecht" noch "gut" sind. Ob sie Schaden gestiftet haben, oder zumindest tendenziell dazu geeignet sind, wäre zu klären, nach Klärung des Schadensbegriffs. Solche und andere Bewertungen von Wieackers Buch sind hier also nicht nahegelegt.161 Im Gegenteil ist gerade jener (hier metaphorisch gemeinte) Anteil an Wieackers Darstellung, der in der Herstellung metaphysisch-ganzheitlicher Bezüge ausdrücklich über das "bloße Faktum"162 hinausgeht, zugleich auch jenes Element, das nach einhelliger Auffassung der Schüler/Freunde/Nachrufer die besondere Leistung, ja zu einem erheblichen Teil das Lebenswerk Franz Wieackers ausmachen soll, und das man in der "Privatrechtsgeschichte der Neuzeit" auf so virtuose Weise ausgeführt sieht:

"Was ihn vollends zur Ausnahmeerscheinung erhob, war die Fähigkeit, (...) nicht nur als Historiker des vergangenen Rechts juristisch und als Jurist des geltenden Rechts historisch zu argumentieren, sondern auch das geltende Recht und seine Geschichte in vollem Maße geschichtsphilosophisch, methodisch und ethisch-anthropologisch zu reflektieren"163.

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Schon gar nicht kann es darum gehen, diese Tendenz in Wieackers "Privatrechtsgeschichte" in Kenntnis seines Wirkens zwischen 1933-1945164 mit dem "Dritten Reich" zu identifizieren. Die hier skizzierten Phänomene sind keineswegs nach 1933 entstanden. Ihre Gleichsetzung mit dem "Dritten Reich" entpuppt sich, obwohl scheinbar anti-apologetische "Aufdeckung", sehr schnell als geradezu apologetische Verdeckung der wirklichen historischen Muster und ihrer Verwendung.165 Denn wer allzu sehr auf 1933 schaut, wird meist auch nicht hinter 1945 sehen. Ob und wie die hier skizzierten Elemente großer Besinnungs-Literatur in der Rechtswissenschaftsgeschichte seit 1945 fortwirken, wäre aber gerade nachzuprüfen. Dafür gibt es Anhaltspunkte. Fest dürfte stehen, daß das wissenschaftliche Programm von Hans Kelsen nach 1945 nicht nach Deutschland zurückgekehrt ist.166 Von einer "reinen" Rechtswissenschaft ist die deutsche Jurisprudenz jedenfalls denkbar weit entfernt.167 Im Zivilrecht käme niemand auf die Idee, das Gerede von den "ethischen Grundlagen"168 des Privatrechts zu beenden und so wenigstens dem Begriff nach politische, moralische und andere Argumente aus dem juristischen (!) Diskurs auszuschliessen.169 Zum Schimpfwort "Positivismus" gehört das Modewort "Materialisierung", als Auszeichnung versteht sich. Verkauft wird es als Triumph.170

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Darin ist schon auf den ersten Blick viel Rechtsgeschichte enthalten, als Bild vom Recht als Gewordenes. Für diese Verbindung von Rechtsgeschichts-Bild und scheinbar so "praktischem" juristischen Alltags-Handwerk bietet Wieacker besonderen Anlaß.171 Wer die "Privatrechtsgeschichte der Neuzeit" als großes Buch mit großen Themen und großen Fragen ernst nimmt, und dafür plädiere ich, muß so mehr übersehen und mehr einbeziehen als bloße Erzählung vom Privatrecht "wie es gewesen ist". Darin liegt das Besondere, Außergewöhnliche, wenn man will: "Bedeutende", dieses Buches. Es nicht zu beachten, hieße der Intention des Autors nicht gerecht werden. Es nicht kritisch zu überprüfen, hieße einer Geschichte der Rechtswissenschaft seit 1945 aus dem Weg zu gehen. "Daß wir und wie sehr wir in diesen Fesseln liegen, ist zu erwägen"172. In der Tat.

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Fußnoten:

* Ich danke Robin Pierson für wichtige Gespräche.

1F. Wieacker, Rudolph von Jhering, Berlin 1968 [zuerst 1942], 36.

2E.-W. Böckenförde, Das Bild vom Menschen in der Perspektive der heutigen Rechtsordnung, In: ders., Recht - Staat - Freiheit, Frankfurt am Main 1991, 66.

3 Siehe nur d. Nachruf auf Wieacker von Dieter Simon in RJ 13 (1994), 3ff.

4 Siehe die Sammlung bei W.Maihofer (Hg.), Naturrecht und Rechtspositivismus, Darmstadt 1966; sowie die Liste im Anhang bei J.Rückert, Zu Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der juristischen Methodendiskussion nach 1945, In: Acham/Nörr/ Schefold (Hg.), Erkenntnisgewinne, Erkenntnisverluste. Kontinuitäten und Diskontinuitäten in den Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften zwischen den 20er und 50er Jahren, Stuttgart 1998, 113ff., Liste bei 155ff.

5P.Koschaker, Europa und das römische Recht, München 1947, 147 und anderswo.

6F.v.Hippel, Die nationalsozialistische Herrschaftsordnung als Warnung und Lehre, Tübingen 1946.

7 Nach H.Mohnhaupt, Zur "Neugründung" des Naturrechts nach 1945: Helmut Coings "Die obersten Grundsätze des Rechts" (1947), In: H. Schröder (Hg.), Rechtsgeschichtswissenschaft in Deutschland 1945 bis 1952, Frankfurt am Main 2001, 97ff., 99, der sich auf persönliche Gespräche stützt.

8 So Koschaker selbst im Vorwort des Europa-Buches (wie Fn.4).

9 Nämlich als Vortrag vor der NS-Akademie; dazu näher noch unten.

10 Siehe nur W.Hassemer, Einführung, In: Gustav Radbruch-Gesamtausgabe: Rechtsphilosophie III, Heidelberg 1990, 1ff., hier 8ff. Näher noch unten.

11 Zugänglich in H.Thieme, Ideengeschichte und Rechtsgeschichte. Gesammelte Schriften, 2 Bde, Köln/Wien 1986.

12 Siehe O.Sticht, Sachlogik als Naturrecht? Zur Rechtsphilosophie Hans Welzels (1904-1977), Paderborn 2000, insb 85ff (zur Wertlehre).

13 Dazu noch unten.

14 Dazu unverändert S.Gagnér, Zur Methodik neuerer rechtsgeschichtlicher Untersuchungen I. Eine Bestandsaufnahme aus den sechziger Jahren, Ebelsbach 1993; keine Erkenntnisse liefert leider G.Brun, Leben und Werk des Rechtshistorikers Heinrich Mitteis unter besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zum Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1991.

15 Dazu noch näher unten.

16 Das ist die Zeit der Entstehung; Publikation zuerst 1945.

17 Auch hier die Jahre der Entstehung.

18 So Popper selbst im Vorwort zur 7.Aufl., Tübingen 1992, Bd.I, IX. (bei aller gebotenen Vorsicht ob solch nachträglicher autobiographischer Zuspitzungen).

19 Zu Bloch in Cambridge anschaulich die Darstellung von Jan-Robert-Bloch, zugänglich unter http://www.ernst-bloch.net/akt/mitbei/index.html; zu Neumann in New York siehe in R.Erd (Hg.), Reform und Resignation. Gespräche über Franz L. Neumann, Frankfurt am Main 1985, 183ff., (vor allem zu Neumanns bemerkenswerter Außenseiter-Position im Institut) und die Darstellung von Alice Maier, der Neumann den "Behemoth" diktiert hat, bei 98ff.; zu Fraenkel siehe A.v.Brünneck, Nachwort: Leben und Werk von Ernst Fraenkel (1898-1975), in: E.Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, Frankfurt/ M. 1991, 360ff.; siehe auch W.Steffani, Ernst Fraenkel als Persönlichkeit, Zeitschr.f.Politikwissenschaft 7 (1997), 1261ff.; zu Popper in Christchurch siehe M.Geier, Karl Popper, 4.Aufl., Reinbek 2003, 81ff.; mit Kelsen verhält es sich 1934 sicher anders, wenn auch die Schweizer Zeit spätere Pressionen wohl vorwegnahm.

20 Nach M.Stolleis, "Fortschritte der Rechtsgeschichte" in der Zeit des Nationalsozialismus, In: ders., Recht im Unrecht, Frankfurt am Main 1994, 68ff.

21 Ich verwende die Definition von M.Stolleis, ebd.: Anerkennung als "relative Verbesserung" durch die scientific community.

22 Siehe das (polemische) Urteil von R.Wahsner, Die deutsche Rechtsgeschichte und der Faschismus, In: Red. KJ (Hg.), Der Unrechts-Staat, Baden-Baden 1979, 95ff, 104: NS hätte die Germanistik erfinden müssen wenn es Sie nicht gegeben hätte. Bemerkenswert auch hier das affirmative Zitat der Wieacker-Kritik von 1935 [Germanistik solle sich in der "Rechtserneuerung" mehr engagieren] (bei 96).

23 Nachgewiesen für: Die Trennung öffentliches Recht - Privatrecht, Rezeption als Vorgang der Verwissenschaftlichung, römischrechtlicher "Individualismus" (Stolleis, "Fortschritte" (wie Fn.17)).

24F.Wieacker, Gnomon 21 (1949), 187ff., hier 191.

25 Das ist (als These von der "beabsichtigten" Modernisierung) bekanntlich sehr umstritten, siehe jetzt R.Bavaj, Die Ambivalenz ft in Deutschland 1945 bis 1952, Fraünchen 2003; zuvor grundlegend Prinz/Zitelmann (Hg.), Nationalsozialismus und Modernisierung, Darmstadt 1991; die Kritik bei H.Mommsen, Der Nationalsozialismus als vorgetäuschte Modernisierung, In: ders., Der Nationalsozialis-mus und die deutsche Gesellschaft, Reinbek 1991, 405ff.

26 Koschaker selbst sprach sogar von bloß (erweiterter) "Wiederholung" (in: Österreichische Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen II, Innsbruck 1951, 123).

27P.Koschaker, Die Krise des römischen Rechts und die romanistische Rechtswissenschaft [Schriften der Akademie für deutsches Recht, hg.v. Hans Frank, Gruppe Römisches Recht und fremde Rechte No.1], München 1938.

28 So bereits im Vorwort, III, ebd.

29 Ebd., 75.

30 Ebd., 85.

31 Ebd., 74.

32 Ebd., 70 [Hervorhebung von mir].

33 Ebd., 73 (nur Kapitalismus-Kritik sei gemeint).

34 Ebd., 86.

35 So Koschaker selbst in der Selbstdarstellung, (wie Fn. 23), 123.

36P.Koschaker, Europa (wie Fn.4), 314.

37 Sehr scharf hierzu T.Giaro, Der Troubadour des Abendlandes. Paul Koschakers geistige Radiographie, In: H. Schröder (Hg.), Rechtsgeschichtswissenschaft in Deutschland 1945 bis 1952, Frankfurt am Main 2001, 31ff.: "Flirt mit den Nationalsozialisten" (35), "kultureller Antisemitismus", "stillschweigende Bejahung" (jüdischer Minderwertigkeit) (beide 43; siehe aber dann auch zum "Judenprotektor" bei 65),

38A. Demandt, Klassik als Klischee. Hitler und die Antike, HZ 274 (2002), 281ff.

39 Treffend T.Girao, Troubadour (wie Fn.34), 40: "Mit derart maßvollen Gegnern der Romanistik wie den Nationalsozialisten läßt es sich also leben"; Giaro spricht aber zu Recht auch vom "Mutigen", dem "einzigen Romanisten, der den Nationalsozialisten in irgendeinem Punkt widersprach" - freilich als "Einäugiger unter den Blinden" (alles bei 47).

40 Nicht zufällig sind meist auch heutige Krisen-Beschwörungen eigentlich Stellungnahmen mit dezidierter eigener Meinung, siehe übertrieben sarkastisch E.Picker, Von Traumen und Träumen der Rechtsgeschicht(l)e(r). Zu Krise, Paralyse und Katharsis einer gebeutelten Wissenschaft, in: Colloquia für Dieter Schwab, Bielefeld 2000, 137ff.: "Um so entschiedener aber müßte sich damit zur Therapie der Krise empfehlen, daß man den praktischen Nutzen der Rechtsgeschichte herausstellt" als "Akt der Selbstrettung" (139).

41M.Stolleis, "Fortschritte" (wie Fn.17), 72. Fortgeschleppt wird die Trennung in "romanistische" und "germanistische" Forschung freilich bis in die Gegenwart, siehe nur die Anmerkungen bei M.Stolleis, RJ 4 (1985), 262.

42 Siehe nur F.Wieacker, Die Stellung der römischen Rechtsgeschichte in der heutigen Rechtsausbildung, Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht 1939, 403ff.

43F.Wieacker, Rez. Zu Koschaker (wie Fn.21), 190. Lohnenswert auch ein Blick in die Darstellung dieses Paradigmenwechsels in ders., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2.Aufl., Göttingen 1967, 416ff. ("Entdeckung der Rechtsgeschichte"), mit (für Wieacker typischen) sehr versöhnlichem Resumée in Fn.33 (424).

44 So O.Behrends (wie Fn.42), XIII.

45 Siehe nur F.Wieacker, PRG, 2.Aufl, (wie Fn.40), 15: Beendet sei die "Verhexung" der Rechtsgeschichte durch den Blick vom geltenden Recht aus.

46 Siehe vorerst O.Behrends, Franz Wieacker, 5.8.1908-17.2.1994, SZ RA 112 (1995), XIIIff., XXIIff. und durchgehend.

47 Das war nach 1933 auch semantisch besonders strapazierbar.

48 Zu Wieackers Bild vom römischen Recht aufschlußreich ders., Das antike römische Recht und der neuzeitliche Individualismus, ZfgesStW 101 (1941), 167ff. (zB "Vernichtung" der "wohltätigen bäuerlichen Nutzungsformen" durch die "klassizistische" (!) Interpretation [des Eigentumsbegriffes]). Zum Individualismus-Topos (Kaser!) siehe M.Stolleis, "Fortschritte" (wie Fn.13).

49F.Wieacker, Lex Commissoria. Erfüllungszwang und Widerruf im römischen Kaufrecht, Berlin 1932; ders., Societas. Hausgemeinschaft und Erwerbsgesellschaft, Weimar 1936.

50 In der Habilitationsschrift von F.S.Meissel, Societas: Struktur und Typenvielfalt des römischen Gesellschaftsvertrages, Frankfurt am Main 2004, 27ff.

51F.Wieacker, ´Wandlungen der Eigentumsverfassung´ revisited, Quaderni Fiorentini per la storia del pensiero guiridico moderno 5/6 (1977/1978), 842: "eigene absurde Weltfremdheit" (in einer auch ansonsten ganz bemerkenswerten Selbst-Befragung und Selbst-Erforschung).

52J.Rückert, Der Rechtsbegriff der Deutschen Rechtsgeschichte in der NS-Zeit: der Sieg des "Lebens" und des konkreten Ordnungsdenkens, seine Vorgeschichte und seine Nachwirkungen, In: ders.,/Willoweit (Hg.), Die Deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit. Ihre Vorgeschichte und ihre Nachwirkungen, Tübingen 1995, 177ff.

53 Interview von 1991, Zeitschrift für Rechtssoziologie 21 (2000), 217ff., hier 220. (als prägend erklärte Luhmann übrigens so Vorliebe für "praktische" juristische Fragen....!).

54O.Behrends (Nachruf [wie Fn.42], XXV) macht diesen Rechtfertigungsdruck für die nationalsozialistisch gefärbten Beiträge Wieackers nach 1934 verantwortlich: "Ein junger, ehrgeiziger Dozent, der bisher nur in eben diesem Recht (dem römischen) ausgewiesen war und größere Forschungsvorhaben nur hier verfolgte, mußte zusehen, daß er seine Berufungschancen verbesserte".

55 Überlegenswert ist, ob nicht eine Ursache für die auffallende Ansammlung von Talent in dieser Generation (Larenz Jahrgang 1903, Huber 1903, Wieacker 1908, Welzel 1904) nicht auch mit den besonderen Chancen dieser 1933 höchstens 30jährigen zusammenhängt.

56 Was die Kieler Zeit konkret bedeutete, steht freilich alles andere als fest, und bedarf noch der Erforschung (Kiel ist nicht gleich Kiel; Wieacker blieb auch "nur" 2 Semester). Ähnlich, wenn auch etwas abgeschwächt, gilt dies auch für die berüchtigte Teilnahme Wieackers am "Kitzeberger Lager junger Rechtslehrer"; in beiden Fällen besteht zumindest die Gefahr, daß man einfach damalige (!) Stilisierungen übernimmt.

57 Siehe nur H.Mitteis, Vom Lebenswert der Rechtsgeschichte, Weimar 1947.

58 Das gilt für Neumann ebenso wie für Popper, für Fraenkel und Kelsen wohl schwächer, für Bloch und Hayek besonders stark.

59R.Koselleck, Art. Krise, In: HistWPhil (I-K), Basel 1976, 1235ff.

60 Einige Nachweise bei R.Koselleck, ebd., (Nietzsche, Burckhardt).

61H.Siebert, Deutschland in der Krise - wie wird die Starre aufgelöst?, Kiel 2003; K.Bühler, Die Krise der Psychologie, Jena 1929; B.Aschner, Die Krise der Medizin, Stuttgart 1928.

62M.Kaup, Medien in der Krise, Bad Homburg 2003; T.Gebel, Krise des Begehrens, Theorien zu Sexualität und Geschlechterbeziehungen im späten 20. Jahrhundert, Hamburg 2002.

63 Hier geht es freilich eher um "Aktualisierung".

64 So insbesondere von Reinhard Zimmermann, zuletzt: Europa und das römische Recht, AcP 202 (2002), 243ff.; siehe aber auch schon H.Coing, Von Bologna bis Brüssel, Europäische Gemeinsamkeiten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Köln 1989.

65 Dieter Simon spricht, nicht ganz frei von Ironie, von "Römischem Europarecht" (D.Simon, RJ 12 (1993), 315ff.).

66 Eingehend T.Giaro, Europäische Privatrechtsgeschichte: Werkzeug der Rechtsvereinheitlichung und Produkt der Kategorienvermengung, IC 21 (1994), 1ff.; ders., Europa und das Pandektenrecht, RJ 12 (1993), 326ff.

67 Daß D.Simon vom "Untergang" des römischen Rechts spricht (RJ 4 (1985), 265) findet etwa T.Mayer-Maly (ebd., 268) "schlimm" ("der schlimmste Befund von Stolleis und Simon").

68 Aus der Zeit "zwischen" Koschaker und Zimmermann siehe nur M.Kaser, Gegenwartsbedeutung des römischen Rechts, Labeo 18 (1972), 147ff.

69H.Rommen, Die ewige Wiederkehr des Naturrechts, 2.Aufl., München 1947, 140.

70 Hinweis nach J.Rückert, Kontinuitäten und Diskontinuitäten (wie Fn.3), 130.

71J.Rückert, ebd.

72 Auch Coing und Welzel taten sich, gleichsam parallel zu ihren "Besinnungs"-Werken, nicht zufällig mit Urteilsanmerkungen zu den entsprechenden Rechtsfällen hervor, siehe H.Welzel, MDR 1949, 373ff.; H.Coing, Deutsche Rechtszeitschrift 1947, 342; siehe auch ders., SJZ 1947, Sp.61ff.

73 Siehe den großen "Rückblick" am Schluß (Welzel, Naturrecht, 236ff.).

74 Die erste Auflage erschien in den USA (siehe jetzt H.Rommen, The Natural Law: A Study in Legal and Social History and Philosophy, Indianapolis 1998) und blieb, wenn mein Eindruck richtig ist, auch nach 1947 trotz unentwegter Berufung auf Rommens Titel eher abseits der Hauptdiskussion.

75Stammler, Wirtschaft und Recht, 2.Aufl., Leipzig 1906, 181

76A.Künnecke, Auf der Suche nach dem Kern des Naturrechts : ein Vergleich der schwachen säkularen Naturrechtslehren Radbruchs, Coings, Harts, Welzels und Fullers ab 1945, Hamburg 2003.

77H.Coing, Die obersten Grundsätze des Rechts. Ein Versuch Zur Neugründung des Naturrechts, Heidelberg 1947.

78 Ebd., 57.

79 Ebd., 130.

80 So auch H.Mohnhaupt, Coing (wie Fn.6), 97ff. insb. das Coing-Zitat121.

81H.Coing, Grundsätze (wie Fn.73), 8 [Hervorhebung von mir].

82 Das geht aus einem kleinen Zettel hervor, der in der mir zugänglichen Ausgabe lose beigefügt ist. Darin bedauert der Verlag den Fehler im Druckverfahren, dieser könne jedoch aufgrund der Papierlage (August 1947!) leider nicht mehr behoben werden. Meist wird noch mit "Neugründung" katalogisiert.

83 Daß dies nach 1945 nicht nur die (vielgestaltigen) Vorprägungen von vor 1945, sondern auch von vor 1933 waren, entnehme ich O.Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, München 1994, 219ff.

84 Siehe auch noch 1952 (F.Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, Göttingen 1952, 141): "ewige Frage".

85 Daß man in nicht wenigen Besinnungs-Büchern dazu tendiert, eher in 1945 denn in 1933, 1938, Auschwitz etc. die "Katastrophe" zu sehen, ist eine Geschichte für sich.

86 Ich denke da natürlich vor allem an Carl Schmitt (siehe noch unten). Das Trennende zu Personen wie Thieme, Welzel, Mitteis, aber auch Wieacker (Coing sowieso) wäre mitzubedenken.

87 Bzw die von Dresden; siehe oben Fn.79.

88 Ich meine vor allem H.Schorn, Der Richter im Dritten Reich, Frankfurt am Main 1959.

89 So T.Würtenberger in seiner (freilich auch kritischen) Rezension zu Coings "Grundsätzen" in: AcP 150 (1949), 189ff. hier 189.

90A. Kaufmann, Naturrecht und Geschichtlichekit, Tübingen 1957, 12; daß in dieser Formulierung die jederzeitige Rückkehr naturrechtlicher Argumente eingeschlossen ist, ist nicht zu übersehen. Die hier und anderswo gewählte Sprache bedürfte eigener Beschäftigung.

91 Das entnehme ich den Forschungen von Diethelm Klippel, siehe nur D.Klippel (Hg.), Naturrecht im 19. Jahrhundert: Kontinuität - Inhalt - Funktion - Wirkung, Goldbach 1997.

92 Nachweise zu den 20er Jahren bei K.Kühl, Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Naturrechtsdenken des 20. Jahrhunderts, In: Acham/Nörr/Schefold (Hg.), Erkenntnisgewinne, Erkenntnisverluste. Kontinuitäten und Diskontinuitäten in den Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften zwischen den 20er und 50er Jahren, Stuttgart 1998, 605ff., hier 608f. Eine bemerkenswerte Ausnahme zur hiesigen Kontinuität, zumal als eines der BesinnungsBücher von 1947 ist W.R.Beyer, Rechtsphilosophische Besinnung, Karlsruhe 1947, der bereits im Untertitel "Eine Warnung vor der Wiederkehr des Naturrechts" ist und als solche deutliche Trennungen zwischen Recht und Moral / Recht und Politik vornimmt. Das wird ein wenig getrübt von Beyers Neuhegelianismus (siehe den Nachruf zu Beyer von R.Geffken, NJW 1992, 2467).

93 Das gilt insbesondere für die amerikanische "Revolution", wo das positive Recht eigentlich die Rückkehr in englische Herrschaft gebot (dazu W.P.Adams, Republikanische Verfassung und bürgerliche Freiheit: die Verfassungen und politischen Ideen der amerikanischen Revolution, Darmstadt 1973.)

94F.v.Hippel, Warnung und Lehre (wie Fn.5).

95H.Rommen, Die ewige Wiederkehr des Naturrecht, 2.Aufl., München 1947, 140.

96H.Thieme, Das Naturrecht und die europäische Privatrechtsgeschichte, Basel 1947 , 51.

97H.Coing, Grundsätze (wie Fn.73), 10.

98A.Kaufmann, Naturrecht und Geschichtlichkeit, Tübingen 1957, 12. zu Kaufmann siehe den sachlichen und daher wertvollen Nachruf von K.Kühl, ZStW 113 (2001), 641ff. Nimmt man noch das "Staatsrecht" hinzu, wo man "Positivist" zur selben Zeit offenbar als Beleidigung (!) verstand (W.Heun, Der Staat 28 (1989), 377) hat man ein einigermaßen "rundes" Bild für alle drei Rechtsgebiete.

99H.Mitteis (wie Fn. 54), 119.

100G.Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, SJZ 1946, 105ff.

101 Kritisch J.Rückert, Kontinuitäten und Diskontinuitäten (wie Fn.3), 130; wie hier (wenn auch vorsichtiger) K.Kühl, (wie Fn.88), 605.

102 Zum vermeintlichen "Bruch" in Radbruchs Werk siehe nur W.Hassemer (Fn.9), 8ff.

103O.Lepsius, Die Wiederentdeckung Weimars durch die bundesdeutsche Staatsrechtslehre, In: C.Gusy (Hg.), Weimars lange Schatten - "Weimar" als Argument nach 1945, Baden-Baden 2003, 354ff., zu Kelsen bei 369ff.

104 Die Radbruch-These muß hingegen als widerlegt bezeichnet werden, siehe nur M.Walther, Hat der juristische Positivismus die deutschen Juristen im "Dritten Reich" wehrlos gemacht? Zur Analyse und Kritik der Radbruch-These, In: Dreier/Sellert (Hg.), Recht und Justiz im Dritten Reich, Frankfurt am Main 1989, 323ff.

105 Dafür darf man sich noch immer berufen auf B.Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1973.

106J.Rückert, Kontinuitäten und Diskontinuitäten (wie Fn.3), 153.

107H.Coing, Grundsätze (wie Fn. 73), 8.

108F.v.Hippel, Die Perversion von Rechtsordnungen, Tübingen 1955, 162.

109H.Fehr, Die Ausstrahlungen des Naturrechts der Aufklärung in die neue und neueste Zeit, Bern 1938, 5.

110H.Thieme, Naturrecht (wie Fn.93), 54.

111 Ebd.

112 Eindrucksvoll (weil in und mit den Texten) nachgewiesen von S.Gagnér (wie Fn.13).

113H.Coing, Grundsätze (wie Fn.73), 7.

114 Für Coing freilich gilt das wohl am wenigsten; wenn ich recht sehe, wich dort der wertphilosophische Ansatz auch zunehmend einem ("optimistisch") rechtsvergleichenden Zugriff, siehe H.Coing, Bologna (wie Fn.60), insb, 19f. (mit Berufung auf Kötz und Rabel).

115P.Koschaker, Krise (wie Fn.24), 53; auch hier spitz T.Giaro, Troubadour (wie Fn.34), 39: "banale Kulturkritik des dem Massenmenschen abgeneigten Bildungsbürgers".

116W.R.Beyer, (wie Fn.89), 87.

117T.Würtenberger, Rez. Zu Coing, (wie Fn.85), 191.

118H.Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, Berlin 1950, VIII.

119 Gute Gründe dazu etwa bei R.Vierhaus, Die Ideologie eines eigenen deutschen Weges der politischen und sozialen Entwicklung, In: R.v.Thadden (Hg.), Die Krise des Liberalismus zwischen den Weltkriegen, Göttingen 1978, 96ff.

120Siehe nur R.George, In Defense of Natural Law, Oxford 1999; M.Zuckert, Do Natural Rights Derive From Natural Law? 20 Harvard Journal of Law and Public Policy 695 (1997); P.Soper, Making Sense of Modern Jurisprudence: The Paradox of Positivism and the Challenge for Natural Law, 22 Creighton Law Review 67 (1988); und selbst mitten in "Legal Realism"-Blütezeit der angeblich so "soziologische" R.Pound, The ideal element in Law, Indianapolis 2002 [zuerst 1948]; ders., Idea of an Universal Law, UCLA Law Review 1 (1953), 7ff.; zu Pound jetzt V.Winkler, ZeuP 2005, 105ff.

121 Grundlegend F.Stern, The politics of cultural despair. A study in the rise of the German ideology, Berkeley 1961.

122 Die zentrale Rolle von Kulturkritik bei Carl Schmitt zeigt vor allem das ("satirische") Frühwerk, siehe sehr aufschlußreich I.Villinger, Carl Schmitts Kulturkritik der Moderne : Text, Kommentar und Analyse der "Schattenrisse" des Johannes Negelinus, Berlin 1995.

123 Dazu noch als unmittelbare Reaktion R.Saage, Neokonservatives Denken in der Bundesrepublik, In: ders., Rückkehr zum starken Staat?, Frankfurt am Main 1983, 229ff. (dort vor allem "seit 1973").

124 Zum 19.Jahrhundert A.Bunyan (Hg.), Kulturkritik, Erinnerungskunst und Utopie nach 1848, Bielefeld 2003; J.Heinßen, Historismus und Kulturkritik: Studien zur deutschen Geschichtskultur im späten 19. Jahrhundert, Göttingen 2003; und besonders aufschlußreich die Habilitationsschrift von G.Kamphausen, Die Erfindung Amerikas in der Kulturkritik der Generation von 1890, Weilerswist 2002; zum 18.Jahrhundert U.Kronauer, Gegenwelten der Aufklärung, Heidelberg 2003; siehe aber auch D.Murray (Hg.), American cultural critics, Exeter 1995.

125 Das gilt für Fraenkels "Dual State" ebenso wie für Neumanns "Behemoth" (wenn auch für Letzteren vielleicht etwas weniger); siehe M.Wildt, Die politische Ordnung der Volksgemeinschaft. Ernst Fraenkels "Doppelstaat" neu betrachtet, Mittelweg 36 (2003/04), 45ff.; R.Saage, Das sozio-politische Herrschaftssystem des Nationalsozialismus. Reflexionen zu Franz Neumanns Behemoth, In: ders., Rückkehr zum starken Staat?, Frankfurt am Main 1983, 135ff.

126 Zum Gegenbild E.-W. Böckenförde, Das Bild vom Menschen in der Perspektive der heutigen Rechtsordnung, In: ders., Recht-Staat-Freiheit, Frankfurt am Main 1991, 58ff.: "In die heutige Rechtsordnung geht der Mensch nicht mit seiner metaphysischen oder transzendentalen Bestimmung ein" (60), "die höhere Bestimmung des Menschen bleibt ausgespart" (61), "keine Vorgabe an Orientierung" (62) - "Kann der Mensch so leben?" (66).

127E.Bloch, Bloch, Prinzip Hoffnung, Bd.5, Frankfurt am Main 1985, 1628. Hier ging es um Gleiches in Tendenz (und Latenz [Bloch]), Trennendes in Inhalt und Ideologie war bekanntlich immens; gerade zu Bloch wäre etwa Popper zu nennen, siehe R.Saage, Zur Utopiekritik Karl R. Poppers, in: ders., Vermessungen des Nirgendwo, Darmstadt 1995, 69ff.

128 Zur ersten Auflage bestehen riesige (und sehr interessante) Unterschiede, ich wähle vor allem die zweite Auflage, weil es mir darum geht, wie die hier skizzierten Phänomene mit Wieacker in die Rechtswissenschaftsgeschichte nach 1945 hineinragen.

129Wieacker, PRG 2.Aufl (wie Fn.40) [fortan: PRG 2], 13.

130Wieacker. Rez. zu Koschaker (wie Fn21), 187.

131Wieacker, PRG 1.Aufl. (wie Fn.81) [fortan: PRG 1], 359.

132 Ebd., 348.

133Wieacker, Zum heutigen Stand der Naturrechtsdiskussion, Opladen 1965, 15.

134 Siehe die Überschrift bei Wieacker, PRG 2 (wie Fn.40), 586.

135 Zahlreiche Nachweise bei J.Rückert, 150f., und natürlich S.Gagnér (wie Fn.13 [Wieackers besondere Rolle in dem Werk zeigt schon die Widmung])

136 Ebd., 20 [Hervorhebungen von mir].

137 Ebd., 269.

138 Ebd., 270.

139 Ebd., 271.

140 Ebd., 23.

141 PRG 1 (wie Fn.81), 14.

142 PRG 2 (wie Fn.40), 272.

143 Ebd., 320.

144 Ebd.,, 320 [Hervorhebung von mir]. In all dem ist Kantorowicz kaum zu übersehen.

145 So noch PRG 1 (wie Fn.81), 56.

146 Ebd., 244.

147 PRG 2 (wie Fn.40), 372.

148 Ebd., 376.

149 Ebd., 320 [Hervorhebung von mir].

150 PRG 1 (wie Fn.81), 156.

151 PRG 2 (wie Fn.40), 558.

152 PRG 1 (wie Fn.81), 15.

153 PRG 2 (wie Fn. 40), 316.

154 Ebd., 314.

155 Ebd., 316.

156 Ebd.

157 Ebd., 317.

158 PRG 1 (wie Fn.81), 134.

159 Ebd., 15.

160 Deutlich etwa ebd., 16; PRG 2 (wie Fn.40), 618, oft auch "Rechtsidee" u.ä.

161 Ich folge D.Junker, Über die Legitimität von Werturteilen in den Sozialwissenschaften und der Geschichtswissenschaft, HZ 211 (1970), 1ff., der M.Weber folgt.

162 Dazu J.Rückert, Das bloße Faktum, RJ 5 (1986), 209ff.

163O.Behrends, Nachruf (wie Fn.42), XIII [Hervorhebungen von mir]; siehe auch Dieter Simon in seinem Nachruf (RJ 13 (1994), 3): "Symbol und Maßstab sind dahin. Der Held und Schutzpatron hat die Bühne verlassen. (...) In Zukunft wird die Disziplin sich mühen müssen, ihre Blößen selbst zu bedecken. Die Hoffnung, daß ihr dies gelingen wird, sollte nicht sehr groß sein. Geräumte Gegenden verwahrlosen und werden von kraftlosen Enkeln schnell aufgegeben. Die Sprunglatten senken sich, und Beschränktheit gibt sich als arbeitsteilige Weisheit aus"; dort auch siehe die "Gesamtheit des geschichtlichen Denkens" als Signum Wieackers (bei 13).

164 Dieses "Wirken" ist keineswegs ausgemacht, weder in die eine noch in die andere Richtung. Die "Nachrufe" sind naturgemäß keine sehr gute Quelle hierfür.

165 "Wenn gelegentlich gesagt wird, einen tieferen Kontinuitätsbruch als 1933 könne es rechtsgeschichtlich nicht geben, so kann dem nicht nur nicht zugestimmt werden, es muß gerade von dem Gegenteil ausgegangen werden" (O.Lepsius, Begriffsbildung, (wie Fn.80), 382 für das öffentliche Recht; für das Strafrecht siehe K.Marxen, Der Kampf gegen das liberale Strafrecht: eine Studie zum Antiliberalismus in der Strafrechtswissenschaft der zwanziger und dreißiger Jahre, Berlin 1975.

166 Differenzierter O.Lepsius, Wiederentdeckung (wie Fn.100), 369ff. (insb zur demokratietheoretischen "Rezeption")

167 Stimmen wie die von N.Hoerster, Verteidigung des Rechtspositivismus, Frankfurt am Main 1989, sind einsame Rufe in die Wissenschaftslandschaft. Dabei mag der Mißerfolg heute, nach fünfzigjähriger Erfolgsgeschichte verfassungsgerichtlicher "Wertungs-Jurisprudenz", ganz andere Gründe haben als noch 1947.

168 Siehe nur statt vieler F.Bydlinski/T.Mayer-Maly (Hg.), Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, Wien/New York 1994; dazu wenigstens einige Korrekturen bei T.Kreuder, Die Ethik und das Privatrecht, RJ 14 (1995), 150ff.

169 Wie sehr dies in heutigen Diskursen virulent ist, habe ich konkret zu zeigen versucht in V.Winkler, Dubious Heritage. The German Debate on the Anti-Discrimination Law, 15 Iowa Journal of Transnational Law and Contemporary Problems (2005; im Erscheinen).

170 Siegreich C.-W.Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts. Tendenzen zu seiner "Materialisierung", AcP 200 (2000), 273ff.; und siehe jüngst M.Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit. Generalklauseln im Spiegel der Antinomien des Privatrechtsdenkens, Tübingen 2005.

171 "Gab es einen Rechtshistoriker dieser Epoche, von dem man ohne Zögern sagen könnte, daß er im geltenden Recht nicht nur mitgearbeitet, sondern es auch sichtbar beeinflußt und verändert habe? Eigentlich nicht - es sei denn: Wieacker" (D.Simon, Nachruf, RJ 13 (1994), 3ff).

172J.Rückert, Kontinuitäten und Diskontinuitäten (wie Fn.3), 145.

Articles July 29, 2005
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ISSN: 1860-5605
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July 29, 2005

  • citation suggestion Viktor Winkler, Moderne als Krise, Krise als Modernisierung: Franz Wieacker und die großen Besinnungs-Bücher nach 1945 (July 29, 2005), in forum historiae iuris, https://forhistiur.net2005-07-winkler