- Zusammenfassung -
Joseph Spring war im Jahr 1943 zusammen mit zwei Vettern von schweizerischen
Grenzbeamten den deutschen Behörden übergeben worden – samt den richtigen
Papieren, die sie als Juden auswiesen. Im Gegensatz zu seinen Vettern
überlebte Joseph Spring die nachfolgende Internierung im Konzentrationslager
Auschwitz. Mit dem Entscheid BGE 126 II 145 aus dem Jahr 2000 wies das
schweizerische Bundesgericht die Klage von Joseph Spring gegen die Schweizerische
Eidgenossenschaft auf eine Genugtuungssumme von Fr. 100'000.- vollumfänglich
ab, sprach ihm jedoch die verlangte Summe als Parteientschädigung zu.
In der zentralen Argumentationslinie erklärte das Bundesgericht die
damaligen Rechtsgrundlagen einer solchen Überweisung an die deutschen
Behörden im Lichte des Kriegsnotrechts als nicht rechtswidrig und knüpfte
zur Begründung im Wesentlichen an den 1954 vom schweizerischen Bundesrat
in Auftrag gegebenen und 1957 publizierten Ludwig-Bericht an, welcher
am Anfang der historischen wie auch juristischen Aufarbeitung der schweizerischen
Flüchtlingspolitik des zweiten Weltkriegs stand. Der Ludwig-Bericht
erklärte die schweizerische Flüchtlingsrechtspolitik mit Überfremdung,
Überbelastung des Arbeitsmarktes und Bedrohung von Außen. Unter Juristen
und Rechtshistorikern hat der Entscheid Spring, obwohl er die neuere
Forschung ignoriert, erstaunlich wenig Wellen geworfen. Der vorliegende
Text widerspricht der immer noch weit verbreiteten Ansicht, die auch
dem Bundesgerichtsentscheid zugrunde liegt, dass die schweizerische
Flüchtlingspolitik und die entsprechenden rechtlichen Regelungen ihren
zentralen Grund im Ereignis des zweiten Weltkriegs hatten, anhand einer
Analyse jener Diskurse, die zu zentralen Regelungen des Flüchtlingsrechts
führten. Es wird untersucht, welche politischen und rechtspolitischen
Diskurse – und welche Brüche und Kontinuitäten in den jeweiligen Diskursen
– zentrale Regelungen der schweizerischen Flüchtlingspolitik während
des Zweiten Weltkriegs maßgeblich beeinflussten, oder anders gewendet:
welche Diskurse die diesbezügliche Konstruktion von gesellschaftlicher
Wirklichkeit und von Recht- und Machtstrukturen vor, während und nach
dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich aufgeladen haben.